Beats International – Excursion On The Version
Aus dem Grenzgebiet zwischen Rap, Reggae, Soul und Jazz sind in jüngster Zeit die frischesten Impulse von der britischen Insel gedrungen. Die zweite LP der Band aus Brighton macht da keine Ausnahme
Im Fahrwasser von Soul II Soul prägt die Musik von Massive, Young Disciples, Galliano und Definition Of Sound das neue Klima — und „Excursion On The Version“ fügt sich nahtlos in den rasant ausschlagenden Stammbaum cooler Grenzpioniere ein. Dabei heben sich die Beats von der Konkurrenz dadurch ab, daß die Hauptingredienz ihres Gebräus weniger Rap und Soul ist als Reggae-Elemente aus den frühen 70er Jahren: schräge Klangspässe ä la Lee Perry, zwerchfellerschütternde Bässe wie bei King Tubby, simple schöne Lieder wie bei Ken Boothe. Errungenschaften der Neuzeit finden im Digitalsound und den rauhen Raps der Dancehalls ihren Niederschlag (Ragga-Hip Hop-Urvater Daddy Freddy ist einer der Gesangs-Gäste).
Der Reggae-Drall bestimmt etwa die Hälfte des Albums — die restlichen Titel schlagen abwechselnd in Richtung Jazz („Change Your Mind“) und Soul/Funk (»Love Is Green“, ein Tribut an AI Green, gesungen von David Grant) aus. Den roten Faden bilden dabei die starken Stimmen, der melodische Witz sowie Norman Cooks Produktion, die ungeniert die gesamte Popgeschichte zitiert.
Angesichts der Fülle ausgewachsener Ohrwürmer und cleverer Klangtricks fällt’s überhaupt nicht ins Gewicht, daß mit einer Version von „In The Ghetto“ leider auch ein Stinker flauester Sorte auftaucht.
BASTELSTUBE
.Ich liebe es, Remixes herzustellen‘.
schwärmt Norman Cook, der es dafür um so mehr haßt, sich mit Gesang herumschlagen zu müssen: ,Dos Ist eine unheimliche Plackerei — und dann erst die ständige Frage: Ist das nun der optimale Vocal-Track oder nicht? Beim Mischen hat die Knochenarbeit, das Schreiben des Songs, das Singen und die ,deflnltive‘ Aufnahme schon jemand anders gemacht. Beim Mischen kann Ich mich austoben und die verrücktesten Dinge ausprobieren.“
Die Karriere des Norman Cook hat in den vergangenen drei Jahren kuriose Haken geschlagen. Dem internationalen Publikum fiel er erstmals auf, als er bei den Housemartins die Gitarre zupfte und auch mal ans Mikrophon trat. Ihrem gänzlich unglamourösen Anorak-Image zum Trotz schaffte das Quartett zwischen März ’86 und April ’88 acht Mal die britischen Pop-Charts.
Abseits vom Rampenlicht aber betätigte sich Cook in seiner Heimatstadt Brlghton schon damals als DJ: .Es faszinierte mich, wie schnell Soul und Funk sich nach ,Saturday Night Foyer* weiterentwickelten. Diesem Trend folgend, schaltete ich immer mehr von New Wave auf Funk um.“
Insgeheim fertigte er damals schon seine eigenen „extended mixes“ von gängigen Tanzhits an. Und als die Housemartins sich auflösten, vertrieb er sich die Zeit im Heimstudio mit Re-Mixes. Mit dem Obergreifen von Hip Hop in den Mainstream schlugen seine poppigen Neuversionen plötzlich ein: Seine Arbeit an ,I Know You Got Soul‘ verhalf Eric B. & Rakim zum ersten Crossover-Hit.
Unterdessen gehört er längst zum Establishment der Re-Mixers. Roxanne Shonte, Kid V Play, Nitro Deluxe, The Fine Young Cannibals, Stetsasonic, Shinehead und unzählige mehr haben sich alle schon seiner Tricks bedient. Coole: .Die Erfahrungen, die ich so sammle, kommen dann wieder Beats International zu Gute. Im Feld, wo wir uns bewegen, herrscht derzeit eine unglaubliche Aktivität. Ke-Mlxes helfen mir, die Entwicklungen von Innen mitzuverfolgen.‘
GRUPPEN-DYNAMIK
Sie waren selbst am meisten überrascht, als ihre süffige Mixtur eines Clash-Riffs und eines Hits der SOS Band 1990 allerorten die Hitparaden erklomm: .eigentlich waren’s bloß Lester und ich“, berichtet Norman Cook mit einem übergroßen Schmunzeln. .Aber prompt meinte die Plattenfirma, es wäre besser, wenn wir uns als Band präsentierten. So riefen wir ein paar Freunde an, die für Fotos und erste TV-Auftritte einsprangen. Die meisten hatten nie ein Instrument in der Hand gehabt.“
Selbst die Sängerin des Hits, Lindy Layton, fiel aus allen Wolken: Vorher bekannt als Schauspielerin, hatte sie Norman erst drei Wochen vor den Aufnahmen kennengelernt und dabei ein gewisses Interesse am Singen bekundet…
Der Großerfolg von ,Dub Be Good To Me* brachte auch Probleme. Vor allem wurden nun weitere Pop-Hits von einer .Gruppe* erwartet, die lieber experimentieren wollte; das Debüt-Album „Let Them Eat Bingo“ löste folglich einiges Kopfschütteln aus. Norman: .Am Anfang war alles so schnell gegangen, daß wir kaum mehr wußten, worum es uns Im Grunde ging. So nahmen wir’s ein halbes Jahr bewußt easy, spielten mit Ideen herum und versuchten uns an anderen Dingen.“
Dazu gehörte die Produktionsarbeit fürs neue Album des Ragga-Stars Shinehead und eine Tournee durch Zambia, Simbabwe, Botswana und Kenya. Auch fixierte man den Kern der Gruppe fest auf Norman, Lester und DJ Baptiste; Lindy Layton wanderte Richtung Solo-Karriere ab. Norman: .Wir holen Gäste je nach Bedarf hinzu. Einige wie die Sängerin Jordan Bailey, Gitarrist Oisin Linie und die Bläser von Microgroove sind aber praktisch permanent dabei.“
Rechtzeitig zum Erscheinen der neuen IP haben sich Beats International mit der Jazz-Funk-Combo Microgroove zusammengetan, um fortan auch eine formidable Live-Band zu sein, die sich keinerlei Tonbänder bedienen muß. Cook: „Endlich sind wir im Studio als auch auf der Bahne eine Band geworden.“