Befreiungsschlag im Dachboden


Der Götterpop von Neil Hannons The Divine Comedy ist hierzu Lande auch nach zwölf Schaffensjahren im- mer noch ein Geheimtipp. Das muss anders werden!

„Kleinen Moment“, näselt Neil Hannon, dann reißt ein taschentuchzerfetzendes „HAT-SCHI!“ an der Telefonleitung nach Dublin. Die erste Pollenattacke des Jahres? Würde schön passen, war es doch ein autobiographisches Lied über Heuschnupfen, mit dem der Autor einst Neil Hannon alias The Divine Comedy entdecken durfte. „The Pop Singers Fear Of The Pollen Count“ vom DC-Debüt liberation, das 1993 in der grungenden Prä-Britpop-Landschaft stand wie aus einer verirrten Zeitmaschine gepurzelt. Ah! liberation, Ohrwurm-Hydra, melodiensattes Meisterwerk des sophisticated Pop, vielleicht eines der besten Alben der Dekade, komponiert in der Dachwohnung im Haus seiner Eltern] und fast alleine eingespielt von einem 22-jährigen Stubenhocker mit blasiertem Vibrato im Crooner-Bariton, der sich mit Sonnenbrille, Anzug und Augenzwinkern als schöngeistiger Gentleman stilisierte und sich auf Scott Walker. Brei, Wilde und den gesellschaftskritischen Romantizismus von E.M. Forster („Zimmer mit Aussicht“! berief.

„Nein, für Pollen ist es noch zu früh, ich bin etwas erkältet. Der Anlass für den Anruf im feuchten Dublin, wo Hannon mit Frau und Kind lebt, ist freudig: Dieser Tage erscheint eine Platte, die in Sachen Groß-Pop liberation das Wasser reichen kann. Sie heißt absent friends und ist eine bis ins letzte Winkelchen der Streicherarrangements berauschende Wonne, die zum regierenden Garagenrock passt wie ein Glas Absinth zu einem Whopper-Sparmenü. Sie ist das neue Album von The Divine Comedy. „Ich habe immer gehofft, dass ich einmal so eine Platte hinkriegen würde“, sagt Hannon. „Auf den bisherigen Alben habe ich viel experimentiert. Und es waren dann immer ein, zwei Songs drauf, die zu weit gingen. Jetzt wollte ich auf den Punkt kommen, olles reinstecken, worin ich gut bin.“ Dass das einiges ist, zeigten die tollen, wenn auch in der Tat nicht unfehlbaren Alben, die LIBERATION folgten: PROMENADE (19941, CASANOVA,

das Hannon 96 endlich Charterfolg bescherte, a short album about love ’97), fin de siecle ’98I. Seit Ende 1996 waren The Divine Comedy eine richtige Band, Einzelgänger Hannon hatte eine Gang von Freunden um sich geschart. „Es war toll, anfangs. Ein Haufen Kumpels in einem großen Bus. “ Doch bald wurde das Korsett eng, und spätestens auf der Tour zum Album Regeneration I2001! wurde Hannon klar, dass er zurück musste auf den Dachboden. Ende 2001 löste er die Band auf. „Es war das schwerste, was ich je tun musste. Aber wenn du überzeugt bist, dass etwas das Beste für alle ist, musst du es tun. Wenn wir zusammengeblieben wären, wäre alles kreativ immer mehr abgesockt.“

Unterbrochen nur durch Kurztourneen in den USA, unter anderem zusammen mit dem befreundeten Ben Folds, folgte dem Split eine Phase der Klausur. Die Kompositionsarbeit an absent friends war eine einsame Unternehmung, nur die Labrador-Hündin Leia -„wie Prinzessin Leia aus ,Star Wars“ – sei immer bei ihm gewesen. So entstanden die ausgefeilten Demos der neuen Songs. „Da mache ich alles selber, ober das ist nicht so clever, wie es sich anhört“, lacht Hannon. „Ich spiele Gitarre und Keyboard, für die Orchestersamples habe ich meine Roland Super JV Sound Expansion Unit, damit lassen sich ganz anständige Skizzen von dem herstellen, was ich letztlich hören möchte.“ Diese Home Recordings verwandelte er dann mit seinem alten Weggefährten, dem Komponisten Joby Talbot, in die Arrangements für die Scharen von Musikern, die auf absent friends zu hören sind. „Ich bin wie ein Bildhauer, der ein Model! aus Ton anfertigt und Joby macht den Bronze* Guss. „Haler mal erwogen, seinen Helden Scott Walker als Produzent zu gewinnen, wie das Pulp vor drei Jahren gelungen ist?“ wehrt Hannon ab. „Niemals könnte ich mit diesem Mann im selben Raum sein, während ich an meiner läppischen kleinen Musik arbeite. Und ich wüsste auch gar nicht, wie wir uns gegenseitig helfen könnten. Ich kopiere ihn ja eh schon! Und hoffentlich noch sehr lange.