Big Day Out Sydney, Olympic Park
Für eine bessere Weit: Ein bunter Wanderzirkus tourt durch den australischen Sommer.
Tonight the world will change for the better. Man möchte es ja erstmal nicht glauben, dass sich hier und heute überhaupt irgendwas bewegen und verändern wird, so straff reglementiert wird alles auf dem Festivalgelände. Der den Australiern angeblich typische Hedonismus wird hier nach Kräften kanalisiert; man kann nur ahnen, welche selbstzerstörerischen Anwandlungen die Leute auf diesem Kontinent ständig reiten würden, beschützte man sie nicht vor sich selbst. „Arrive Alive“ eine Initiative, die von den Vorzügen überzeugen möchte, die es birgt, sich nicht derart wegzuballern, dass man auf dem Nachhauseweg ums Leben kommt, hat überall plakatiert. Wer Bier trinken will, muss sich in eine Schlange stellen und gegen Vorlage eines Ausweises ein „Alcohol Wristband“ holen, ergänzend gibt es die allgemein gültige „No More!“-Regelung, die es der Gastronomie verbietet, Angetrunkenen nachzuschenken. Auf das weit reichende Rauchverbot achtet die Royal Agricultural Society Of New South Wales. Wer auf Bäume steigt, fliegt vom Platz. Und um ganz sicher zu gehen, weisen noch ein paar Schilder darauf hin, dass auch Prostitution auf dem Gelände ziemlich strictly prohibited ist. Dann mal rein ins Vergnügen.
Vor einer Kulisse aus Bierfässern. Lebkuchenhaus, Kuckucksuhr und Matterhorn verfüttert ein dicker Mann in Lederhose Essiggurken und rohe Eier an rotgesichtige Prallnasen. Dies ist das „Bavarian Breakfast im „Lilypad“, eine Art Comedybühne, heuer mit dem Motto „Deutsche Gemütlichkeit“. Später gibt’s hier „Nude Aerobics with Heide The Sausage“. Es muss was passieren.
Zum Beispiel The Sleepy Jackson auf der Green Stage. Die Band um den pummeligen Elf Luke Steele mit seinem exzentrischen Make-Up spielt dessen großartige Songs zwischen Wavepop, Drahtrock und Country nicht einfach nur; die Musiker scheinen von ihrem wunderkindlichen Meisterhirn die Bühnenanweisung „sich vollkommen gehen lassen“ bekommen zu haben und reichern die sich euphorisch hochschraubenden Musik mit einer prallen Physis und glamourösen Posen an, die sich lustig mit dem Rugbyspieler-Look der vierschrötigen Typen beißen. Eine Rockschau von seltener Intensität, ein brüllender, zuckender, schillernder, herzgreifender Wirbel zwischen Schwitzarbeit und Konzeptkunst.
Dann in der prallen Nachmittagssonne die Band der Stunde: The Darkness. Justin Hawkins, das missing link zwischen David Lee Roth und Otto Waalkes, springt in seinem Teufelskostüm herum und sammelt die Herzen der Partywilligen ein, gackert von „boobies“, die er nunmehr gern im Publikum bloßgelegt sähe; blöde Gags und feiste Riffs, Falsett-Mitsingspielchen und Twin-Guitar-Soli und kein Arzt kommt. Was will man mehr? Auf jeden Fall nicht so sehr den Auftritt der verhärmt wirkenden Datsuns gleich hinterher, die vor einem Darwinismus-Problem stehen: 70er-Hardrock, breitbeinige Cockrock-Posen. Fiedelsoli – das hat man gerade eben viel lustvoller und unterhaltsamer bei The Darkness gesehen. Wird da jemand aus seiner Öko-Nische verdrängt?
Als einzige nicht-Rockband auf den Hauptbühnen zeigen dann die Black Eyed Peas vor dem bis dahin größten Menschenauflauf, dass mit HipHop-, Soul und Reggae-Grooves immer noch am meisten zu reißen ist unter der Open-Air-Sonne. Noch mit den Stumpfesten Mitmach-Spielchen haben sie die Arme der ganzen Arena in der Luft und beim großartigen Hit „Where ls The Love“ spürt man glatt einen kleinen Kloß im Hals.
Im Lilypad steht momentan ein Mann in einem goldenen Kaftan auf der Bühne, der aussieht wie
Muammar Gaddafi und „Waltzing Matilda‘ singt. Drum schnell rüber zu den immer wieder sehenswerten Dandy Warhols „Xia McCabe! Ich werde sie heiraten“, informiert ein enthusiasmierter Nebenmann, „sie weiß es nur noch nicht!“ Den ersten der zwei Festivalhöhepunkte setzen dann die Strokes mit einem supertighten Set siehe Seite 34l ohne Ausfälle und – wie schrieb es ein Kollege einmal so schön – mehr Hooklines als in einem Anglereifachgeschäft. Metallica sorgen dann als Headliner auf der Hauptbühne rifftechnisch für klare Verhältnisse. „Did you bring your anger with you?“ fragt James Hetfield das Publikum im abendlichen Wolkenbruch und macht ein Angebot, das niemand ablehnen mag: „Would you like to teave it here?“ Ka-wumm, neben „Frantic“ und „St. Anger“ gibt’s jetzt auch „Dirty Window“ vom st. ANGER-Album. Und tolle schlechte-Laune-Hits nonstop.
Den eventuell vorhandenen Zorn losgeworden, ist man bereit für die Himmelfahrt. „Tonight the world will change for the better“ verheißen unter dem ohrenbetäubenden Tosen von Orffs „0 Fortuna“ als Ouvertüre riesige Lettern auf der Leinwand der Festivalabschlussgötterband The Fläming Lips. Und wie sie dieses Versprechen einlösen werden. Ein unglaublich euphorisierender, hinreißender Sturm fegt heran: Philosophie. Prog-Pomp, Existenzialismus und Luftballons. Budenzauber, von Herbert von Karajan dirigierte Atomexplosionen, „7 Nation Army‘-Cover und das wundervolle „Golden Path“, Humor und blutiger Ernst, singende Gumminonnen und hereinbrechende Bilder des Grauens, Leidenschaft, Kunst und alberne Rockgeschichten: „Auf so einem Festival“, schwadroniert Wayne Coyne – weißer Anzug inmitten der wilden Horde tanzender Stoffviecher lin den Fellen stecken enthemmte Gäste und Crewmitglieder] -, „kommt man backstage schon mal ins Plaudern. Und so sind wir heute drauf gekommen, dass Justin von TheDarkness ein frisches Piercing an seinem – wie sagt ihr hier? -Prince Albert hat. Ersagt, es heilt gut aus und er hat es bereits einem Testlauf unterzogen. Ich glaube, das zeigt, wie Rock ’n Roll The Darkness wirklich sind.“ Und gleich wieder rüttelt er an den Leuten wie ein manischer Priester. „Come on! Sing your lungs out!“ bis man in dem wundervollen Getöse gar nicht mehr anders kann. Dann ist die Mission erfüllt. „Thanks for your enthusiasm!“, bedankt sich Coyne, theaterblutüberströmt. „Thanks for not holding back! The world is cold enough, this is not a time to be cool/’Wo er recht hat, wird einem klar, hat er recht. Als zum Abspann Louis Armstrongs „What A Wonderful World“ läuft, hat es sich noch nie so gut angehört. Was daran liegen muss, dass die Welt tatsächlich ein klein wenig besser geworden ist.