Björk


Sie liebt Extreme und haßt Interviews. Eine Kombination, die Björk Gudmundsdottir zu einer ungewöhnlichen Maßnahme veran- laßte: Islands Pop-Prinzessin hielt Hof im Orient Express. Reisenotizen von Michael Weilacher.

Schwerfällig schiebt sich der schwarze Zug durch den Bahnhof von Boulogne sur mer. Derweil machen es sich in den vornehmen Coupes im Stil der Belle Epoque die Fahrgäste bequem — reiche Ruheständler reisen im Orient Express, neureiche Geschäftsleute mit ihren Geliebten… und heute auch eine superreiche Pop-Prinzessin. Ihr Name: Björk. Ihr Reichtum: musikalisches Talent. Damit ist die 29jährige Isländerin in einem Maße ausgestattet, das in der gesamten Musikszene seinesgleichen sucht. Mutig fügt die zierliche Kindfrau zusammen, was nicht zusammengehört, verbindet harte Technotöne mit altbackenem Big Band-Swing, haucht mit pubertärem Lolitacharme einen Text zum Walzertakt, um gleich darauf wie ein Vulkan zu explodieren. „Ich mag nun mal extreme Dinge“, bemerkt Björk, die sich in ihrem grasgrünen Seidenpyjama deutlich von ihren Mitreisenden abhebt. Doch das drollige Wikingermädchen, das in seltsamer Weise an die Titelfigur aus Peter Hoegs Eskimokrimi ‚Fräulein Smillas Gespür für Schnee‘ erinnert, fällt nicht weiter auf. Denn anders als die restlichen Reisenden bewohnt Björk ein ganzes Abteil für sich allein. Hier, inmitten von Edelholz und Gobelin (die Zugleitung hat zudem eine Flasche Champagner bereitgestellt), empfängt der supertalentierte Troll aus dem hohen Norden Journalisten aus halb Europa. Was man sich spielend leisten kann. Immerhin konnte Björk von ‚Debüt‘, der ersten Platte nach ihrer Karriere als Sängerin der Sugarcubes, weltweit zweieinhalb Millionen Exemplare verkaufen. ‚Post‘, der Nachfolger, soll diesen Erfolg noch übertrumpfen. Und so wird auch in werblicher Hinsicht nicht gekleckert, sondern geklotzt, hält Björk, die Prinzessin aus dem Eis, zwölf Tage lang Hof im exklusivsten Zug Europas. Mit dabei: eine persönliche Betreuerin und ein höflich aber bestimmt agierender PR-Mann, der dafür sorgt, daß alle Termine eingehalten werden.

Allein auf der vergleichsweise kurzen Etappe von Boulogne nach Paris gibt Björk drei Interviews. Nacheinander werden deutsche, holländische und japanische Journalisten durch ihr Abteil geschleust. Am schlimmsten sind die Japaner: ein Redakteur, sein Übersetzer, ein Fotograf mit gewaltiger Ausrüstung und eine Abgeordnete der japanischen Sektion von Björks Plattenfirma. Alle zusammen tummeln sich auf den anderthalb Quadratmetern vor der mit Blumen verzierten Sitzbank, auf der eine sichtlich angespannte Sängerin versucht, Ruhe zu bewahren. Ein Unterfangen, das Björk nicht eben leichtfällt. „Ich hasse Interviews“, gibt der genialische Gnom unumwunden zu, und genau das merkt man Björk auch an. Von einem nervösen Zucken der Gesichtsmuskeln geplagt, rümpft die ernste Exotin mit dem meist leicht strubbeligen, brünetten Haar im Sekundenabstand die hübsche Nase und wirkt dabei wie ein Häschen auf Duftmarkensuche. Warum, zum Teufel, tut man sich eine Interviewtour wie diese an, wenn man den ganzen Medienrummel im Grunde verabscheut? „Weil es sein muß“, antwortet Björk mit pragmatischer Kühle, um gleich darauf bei geöffnetem Mund in hektische Bewegungen mit der Zunge zu verfallen.

Der ganze Aufwand also, die ganze Nervosität, um Promotion für eine Platte zu machen, die sich auch ohne Orient Express zu Hunderttausenden verkaufen wird? „Ganz so kann man es nicht sehen“, meint Björk. „Um das Gespräch mit den Medien kommt man nicht herum. Da ist es doch nur logisch, daß man die Promotionkampagne so praktisch wie möglich gestaltet. Als Bahnreise zum Beispiel. Ich fahre durch Europa, bleibe dabei an einem festen Ort, und die Journalisten kommen und gehen.“ Außerdem, so das feurige Fräulein mit dem kratzigen Charme, habe sie ein Faible für Dinge, die sich bewegten. „Für Flugzeuge und Züge eben, wobei dieser hier besonders schön ist.“ Wer würde da widersprechen? Schön ist er wirklich, der Orient Express. Schön vornehm vor allem. Striktes Jeansverbot und Krawattenzwang sorgen für jene Atmosphäre, die man aus den Clubs von Britanniens besserer Gesellschaft kennt. Im Restaurantwagen — gereicht werden Babyhummer, Tournedos, erlesener Käse und helle Mousse im Saucenspiegel — dominieren Dinnerjacket und Smoking, Abendkleid und Stola. Björk, dieser hochbegabte Pumuckl des Pop, scheint das Drum und Dran dieser Reise regelrecht zu genießen: „Mir gefällt’s hier so gut, daß ich am liebsten gar nicht mehr weggehen würde.“ Alles eine Frage des Geldes. Und davon besitzt Björk doch inzwischen genug. „Fuck the money“, entfährt es da der deftigen Worten nicht abgeneigten Sängerin mit den vollen Augenbrauen. „Wenn wir nicht in diesem Zug sitzen würden, dann säßen wir eben irgendwo da draußen im Wald und würden und bei billigem Rotwein über meine Musik unterhalten.“

Keine Frage, jetzt spricht aus Björk jenes Kind, das dereinst im fernen Reykjavik im Hippiehaushalt von Vater und Mutter Gudmundsdottir aufwuchs. In einem Umfeld, dessen verträumt gleichgültiger Lebensstil Björk bis heute auf die Nerven geht („Meine Mutter hätte drei Jobs gleichzeitig haben können, angenommen hat sie keinen“), der sie aber letztlich so nachhaltig geprägt hat wie kaum eine andere Erfahrung. Im Gesprach lehnt die energische Exzentrikerin aus dem Eis die ganze verkiffte Hippieherrlichkeit zwar rundherum ab, verfällt aber gleich darauf in jene völlig verkitschten Phrasen, die vor einem Vierteljahrhundert die Vordenker der Flower Power-Generation formulierten: „Popmusik ist eine der stärksten Kräfte, die in dieser Welt existieren. Für mich steht sie in einer Reihe mit Religion, Sex, Ernährung und Politik. Sie ist in der Lage, unser Denken und damit auch die Welt zu verändern.“

Mit Geld, so Björk, habe das — wie auch unsere Reise — nicht das geringste zu tun. „Das will uns die Industrie nur weismachen. In Wirklichkeit ist Geld nicht wichtig. Was die Leute wollen, ist Magie. Und die kann überall entstehen. Sogar hier in diesem Zug“ (fahrig fährt Björk dem Autor über Hemd, Gesicht und Haar). „Du brauchst dir nur einen Strich auf die Stirn malen, und schon entsteht Magie.“

Da es nun nicht mehr ganz leicht ist, den Ausführungen der wunderlichen Plattenmillionärin zu folgen, greift Björk zu einem Beispiel, das sich dem Zuhörer schon eher erschließt: „Die Leute denken, Glamour hätte etwas mit Magie zu tun. Bullshit! Selbst meine Putzfrau erzeugt mehr Magie als ‚fucking Mariah Carey'“. Gut und schön, aber die Putzfrau sitzt trotzdem nicht im Orient Express und trinkt teuren Champagner…

Was aber durchaus möglich sei, meint Björk, denn letztlich könne jeder Mensch alles, wenn er es sich nur fest genug vornehme. Angesichts Millionen Arbeitsloser, die nur zwischen Straße und Sozialamt wählen können, eine eher gewagte These. Doch Björk winkt ab: „Ich selbst hatte auch keine Wahl. Zu Hause waren die Verhältnisse ärmlich. Also habe ich in einer Fischfabrik gearbeitet und bei Coca Cola. Trotzdem wußte ich immer genau, was ich wirklich wollte. Du mußt ein Ziel vor Augen haben und gnadenlos daraufzuarbeiten.“

Im Falle von Björk, nach persönlichem Bekunden ein „Workaholic“, der die eigenen Karrierefäden gern fest in der Hand hält und mit Ex-Lover und Sugarcube Thor einen Verlag und ein Plattenlabel betreibt, war dieses Ziel von Kindesbeinen an die Musik. Schon im zarten Mädchenalter von elf Jahren nimmt Björk die erste Platte auf — ein Werk mit Liedern ihrer isländischen Heimat. Mit 14 geht sie von zu Hause fort, nimmt Gelegenheitsjobs an und knüpft erste Kontakte zu lokalen Bands. Jahre später wird sie als Sängerin der Sugarcubes zur Kultfigur der Independentszene. Doch an dieser Zeit des ersten Erfolgs läßt die eigenwillige Isländerin, die vor zwei Jahren mit Sohn Sindri (9) „aus praktischen Gründen“ nach London umzog, wenig Gutes: „Die Sugarcubes waren ein Witz. Eine Band, die mehr aus Literaten als aus Musikern bestand. Eigentlich hatten wir Island nie verlassen wollen. Doch dann kamen die ganzen Angebote der Plattenindustrie. Und weil wir damals meinten, daß es mit 80 mal nichts zu bereuen geben solle, waren- wir plötzlich Teil dieser ganzen Maschinerie, ohne es wirklicrrzu wollen.“

Draußen vor dem Abteil zieht die Kulisse von Amiens mit seiner gotischen Kathedrale vorbei. Doch Björk kratzt sich nur völlig ungeniert dort, wo Damen in Gesellschaft sich sonst nie kratzen. Langeweile? „Nein, obwohl ich sonst an jedem gottverdammten Tag was Neues machen muß. Aber diese Reise ist anders. Hier geht’s um meine neue Platte, um mein jüngstes Baby. Seit ich Musik mache, also schon ziemlich lange, versuche ich, den besten Popsong der Welt zu schreiben. Und ich glaube, daß ich diesmal meinem Ziel ein Stück nähergekommen bis. Das muß ich den Leuten doch sagen.“ Was der taffe Troll bei einem Zwischenstopp in Paris denn auch tut. Am Bahnsteig wartet ein französisches TV-Team, dem Björk von ihrem Abteil aus ein Interview gibt.

In gewohnt exaltierter Weise hangelt sich das liebenswert herbe Pop-Unikat aus dem Zugfenster und erzählt von seiner neuen Platte. Doch wie aus heiterem Himmel ist plötzlich von einem Bruder die Rede, von dessen Existenz zuvor niemand etwas wußte. Björk, so viel ist sicher, hat ihren Spaß daran, der Welt Rätsel aufzugeben und Verwirrung zu stiften: „Ich gelte als Sonderling. Das gefällt mir ganz gut. Es macht mich nämlich interessanter, als ich eigentlich bin.“