Bleich Macher
Aus Schwarz mach Weiß: Die britischen Stereo MCs bringen der Pop-Welt Soul, Funk und Rap bei. Und U2 das Tanzen.
Im Halbdunkel des Backstageraumes in den Katakomben einer Hamburger Konzerthalle sehen die drei Briten fast so schwarz aus wie sie klingen. Aus dem Cassettenrekorder, der in der Ekke auf einem Stuhl steht, leiern Reggae-Songs ihre tiefschwarzen, hypnotisch-monotonen Rhythmen. Mein Gegenüber, eigentlich eher bläßlich, hager, in übergroßer Kleidung — blickt entrückt, als starre er in ein schwarzes Loch. Mit ausladender Geste weist er auf den abgegriffenen Plastikbeutel, der vor uns auf dem Tisch liegt: „This is, what keeps vou on earlh!“ — Schwarzer Afghane.
Rob Birch stammt aus Nottingham, einer Industriestadt in den englischen Midlands. Als er den Fabrikmief lange genug eingeatmet hatte, ging er nach London, gründete das HipHop-Trio Stereo MCs und schaffte 1989 mit dem Erstlingswerk „3345-78“ einen Achtungserfolg. Wohlwollend behielt die britische Musikpresse die Band fortan im Auge, schafften die Drei es doch, schwarze musikalische Einflüsse Pop-gerecht zu bleichen, ohne dabei zu Verrätern an Soul, Funk und Blues zu werden.
Bereits für ihr zweites Album „Supernatural“ (1990) hatten sie ihren DJ Cesare gegen den Drummer Owen If ausgetauscht — ein Schritt, der das Trio rasch zu einer der gefragtesten Club-Livebands Englands machte:
„The Stereos rocked the place good and the crowd loved it to death — they wem down a storm“, staunte das britische Pop-Magazin „Melody Maker“ nach ihrem Auftritt beim renommierten Reading-Festival. Dort war der Abgang der Stereo MCs von der Bühne von uneingeschränkt begeistertem Applaus begleitet worden, nachdem das Publikum zunächst so skeptisch wie irritiert war: Denn auf jenem jährlich stattfindenden Rock-, Hardrock- und Underground-Festival war nie zuvor eine Rap-Band aufgetreten und mußte daher in einer Reihe mit Nick Cave. The Fall und Faith No More eklatant befremdlich wirken.
Doch auch zwischen allen Stühlen läßt es sich bequem sitzen — spätestens seit ihrem letzten und dritten Album „Connected“ (1992) ist HipHop lediglich das tragende musikalische Bauteilchen, auf dem Rob Birch, Nick „The Head“ und Owen If Soul, Reggae und Funk aufschichten.
„Alle Formen von Musik sind miteinander verbunden, man kann sie gar nicht trennen. Musik ist ein offenes System, das Energie aus sich selber schöpft, aus dem immer wieder Neues geboren wird“, philosophiert Rob Birch. „Alles wächst aus einer Wurzel und entspringt aus einer Quelle. Musik benötigt Kreativität und Inspiration — sprituelle Energie, gegeben von einer höheren, göttlichen Macht. Das Leben, die Musik und der Schöpfer stehen in Beziehung zueinander. „
Obwohl derart Metaphysisches Birch fasziniert und daher auch in den Songtexten der Stereo MCs immer wieder auftaucht, distanziert er sich weitgehend von religiösen Lehren — vom Wirken der christlichen Kirchen, die er als reaktionär bezeichnet, sowieso: „Viele nennen sich Christen und benehmen sich höchst unchristlich, als hätten sie niemals begriffen, was Jesus gesagt hat. Besserwisserisch tolerieren sie keine Religion neben der ihren und haben damit ßr viele Ressentiments, für Unterdrückung und Leid gesorgt.
Ich fihle mich dagegen der Denkweise der Rasiafaris nahe: Sei demütig in der Welt, gehe friedvoll durch das Leben, verurteile nicht den anderen. Ich sehe jeden Menschen auf der Straße als meinen Bruder oder meine Schwester an. Wir müssen unsere Intelligenz zusammenßhren und uns in diesen schweren Zeiten gegenseitig über Wasser halten.“
So sind die Konzerte der Stereo MCs — die in diesem Sommer nun im Vorprogramm von U2 (Bono: „Wir wollten, daß uns diesmal die besten Dance-Bands der Weh Supporten. In Amerika entschieden wir uns für Public Enemy, ßr die Europa-Tour wählten wir die Stereo MCs aus. „) auf den europäischen Stadionbühnen zu sehen sein werden — stets beseelt von einer Aura betonter Friedfertigkeit.
Dieses Familien-Gefühl, das den Stereos live aus den Sälen entgegenschwappt, laßt Rob Birch mehr denn je an die massentherapeutische Wirkung seiner Tätigkeit glauben: „Es gibt so wenig, woran man heute glauben kann, da ist es gut, wenn Musik etwas ist, was einen durch das Leben leitet. Denn ein Konzert kannßrein Publikum wie ein kollektiver Orgasmus sein. „