Blind Melon


Grimmigen Grunge-Gesichtern begegneten Blind Melon mit einem freundlichen Lächeln. Und hatten damit prompt Erfolg.

Am Anfang war die Biene. Mit putzigem Lächeln und linkischen Pirouetten tanzte das bebrillte Pummelchen im Video zu ‚No Rain‘ sämtlichen Glamour Girls der Konkurrenz den Rang ab. Auf diese Weise gelang dem Bienenbambino, worum sich Hunderte von Videoschaffenden und Musikern tagein tagaus vergeblich bemühen: sich mittels bunter Bilder vom Rest der Rockwelt abzusetzen. Mit dem fleißigen Bienchen führten Blind Melon das bierernste Business von Slackern, Alternativen, Post-Grungern und anderen gedanklich zerzausten Zeitgeistern ad absurdum. Wo sonst junge Millionäre ihre Verzweiflung über diese schlimme, schlimme Welt zur Schau tragen —- auf MTV und Viva nämlich — turnte nun ein Sinnbild für hausbackene Harmlosigkeit durchs Programm und reduzierte die Rockmusik auf das, was sie heute in erster Linie ist: pure Unterhaltung.

Eine Bezeichnung, mit der Blind Melon nicht das geringste Problem haben. Wie denn auch? Immerhin verarbeiten die fünf Amerikaner in ihrer Musik Einflüsse von Black Sabbath bis Tool, von den Beatles bis zu Velvet Underground. Und diese Mischung funktioniert. Von ihrem Debütalbum setzten Blind Melon allein in den USA bis heute über zwei Millionen Exemplare ab. Freut man sich den wenigstens über das viele Geld? „Na ja, die Kohle ist schon cool“, knarzt die Stimme von Gitarrist Christopher Thorn, „ich habe mir ein Haus gekauft und im Keller ein Studio eingerichtet.

Jetzt kann ich jede Nacht Musik machen und muß dafür nur die Treppe runtergehen.“ Gut möglich, daß der Luxus, den sich Blind Melon leisten können, in Zukunft sogar noch eine Nummer größer ausfällt. Denn auch ‚Soup‘, das neue Album der Amis, hat die besten Aussichten, ein kommerzieller Erfolg zu werden. Kasse also dank cleverer Konzeption? Christopher Thorn winkt ab: „Es gab nie auch nur den Ansatz einer Diskussion darüber, in welche Richtung wir uns nach dem großen Erfolg des zurückliegenden Albums bewegen sollten. Nur wiederholen wollten wir uns nicht.“ Ein Vorsatz, den Blind Melon weitgehend in die Tat umsetzten.

Obwohl ein gelungener weil problemlos nachvollziehbarer Brückenschlag zwischen den den Aufnahmen zum Debütalbum im Jahr 1992 und Blind Melons musikalischer Gegenwart, hebt sich ‚Soup‘ doch deutlich von seinem Vorgänger ab. Daß der neue Longplayer mit den Posaunen, Trommeln und Trompeten von Kermit Ruffins und seiner Little Rascals Band losschlägt, ist bloß die erste Überraschung und zeigt, wie offen die Band ist, wenn es darum geht, eine veränderte Umgebung spontan in ihre Musik einzubeziehen.

‚Soup‘ entstand in New Orleans, und so erklärt sich auch die zeitweilige Verwendung von Instrumenten, die sonst eher im Jazz zu Hause sind. Überhaupt, so scheint’s, hatte das leichtlebige Flair der Metropole am Mississippi nur die allerbesten Auswirkungen auf den Produktionsprozeß von ‚Soup‘. „Von den üblichen Studios mit Aufnahmeraum, Glasscheibe und Kontrollraum hatten wir genug“, erzählt Chris Thorn rückblickend, „da hörten wir vom Kingsway Studio in New Orleans, schauten es uns an und waren regelrecht überwältigt: eine riesige alte Villa mitten im Französischen Viertel. Und das French Quarter ist ja bekannterweise ein verrücktes, verrücktes Pflaster.“

Doch nicht nur das jazzige Ambiente von New Orleans gibt ‚Soup‘ die notwendige Würze. Die Stilpalette reicht vom kazoogetnebenen Folkblues über mandolinenverzierten Southernrock bis hin zu Gitarrenpop mit Bossa Nova-Attitüde. Ähnlich breit gefächert sind auch die Themen, die Sänger Shannon Hoon in seinen Texten anspricht. Hier reicht das Spektrum von einer Hommage an Hoons Großmutter (‚Vornie‘) bis hin zu einer Geschichte über den Massenmörder Ed Gein (‚Skinned‘). „Die erste LP bestand fast ausschließlich aus Songs, die wir zusammen geschrieben hatten“, erzählt Christopher Thorn, „bei ‚Soup‘ aber gingen wir anders vor. Jeder verkroch sich in seine vier Wände und sammelte Ideen. Das Beste davon landete am Ende auf der Platte.“ Schon jetzt findet Thorn es spannend, sich auszumalen, welche Themen dereinst auf dem fünften Album von Blind Melon abgehandelt werden.

Ganz schön mutig für das Mitglied einer Band, deren Musiker bis vor kurzem noch kaum einer kannte. Gitarrist Rogers Stevens beispielsweise, Bassist Brad Smith und Drummer Glen Graham hatten jahrelang in Westpoint/Mississippi gedarbt, einer Stadt, „wo wir die einzigen männlichen Wesen mit einem Haarschnitt waren, der über die Ohren reichte“. Smiths Vater war es, der in dieser Umgebung ungebeten zum Namensgeber der späteren Plattenmillionäre wurde. Die Hippies der benachbarten Kommune waren für Daddy Smith nichts weiter als ‚blind melons‘.

Auch Christopher Thorn blickt letztlich nur mit Verachtung auf das Kaff in Pennsylvania zurück, in dem er einst aufwuchs. Seine Mutter jedoch nimmt er ausdrücklich in Schutz. Sie war es, die ihm als aktive Musikerin — Mama Thorn war Mitglied einer Bluegrass Band — Jim Croce und John Denver, aber auch Jimi Hendrix mit auf den Weg gab. Ein Weg, auf dem ihm später der Sänger Shannon Hoon aus Lafayette/Indiana begegnen sollte. „Bis ich 17 wurde, war ich ein beschränktes Arschloch“, meint Hoon heute selbstkritisch, „aber wenn man in einer solchen Gegend aufwächst, begegnet man allem, was ungewohnt ist, mit Mißtrauen.“ Damit hat Hoon heute keine Probleme mehr — Erfolg, weiß man, macht eben selbstbewußt.