Blur: Blur – 13
Ein Bad im Plattensee Eintauchen und sich wohl fühlen: Die besten Alben 1999 aus der Sicht und mit den Worten der ME/Sounds-Redaktion.
„Zärtlich ist die Nacht, zärtlich die Berührung von jemandem, den du zu sehr liebst…“ Was für ein weichgespülter Quatsch. Was für eine fürchterliche Single. Das muss vorweggeschickt werden, wie Blur dieses „Tender“ ihrem Album vorwegschicken mussten. Geschlagene sieben Minuten Tralala, im hormonellen Niemandsland zwischen John Lennons“Cive Peace A Chance“ und „You Can’t Always Get What You Want“ von den Rolling Stones. Auf Platte hätte man es auskratzen müssen, im Zeitalter der CD tut’s die Skip-Taste. Und siehe da: „Tender“ war nur das falsche Grinsen, mit dem der irre Elektriker dich einlullt, bevor er die Bohrmaschine an deine Schläfe setzt. Sprichwörtlich. Das Werkzeug kreischt in „Bugman“, einer übersteuerten Gitarre gleich, und alles wird anders. Der hysterische Artpop der Anfangstage beispielsweise wich dem erleuchteten Artpop der Reife. Und wo zuvor zärtlich mit Punk geflirtet wurde („Song 2“), da wird jetzt plattgewalzt, was sich in den Weg stellt („B.L.U.R.-E.M.I.“). Organisierter Lärm und kontrolliert dahinfließendes Chaos bestimmten das Klima dieser Platte -wobei Blur jenen Spruch zu beherzigen schienen, den angehende Drehbuchautoren zuerst eingebleut bekommen: „Stell’deinen Helden vor, sorg‘ dafür, dass die Leute ihn lieben und dann schick’ihn durch die Hölle!“ Beim musikalischen Direktor Graham Coxon klingt das dann so: „Je länger das Album läuft, umso unkonventioneller wird es. Und sicherlich wird es gegen Ende auch beklemmender.“ Was Beklemmung ist, hat Coxon 1998 auf seinem Soloalbum „The Sky Is Too High“ ausgelotet. Was brillante Popsongs sind, daran erinnerten uns Blur, trotz allem, mit Songs wie dem unglaublichen „Coffee&T.V.“ und dem lässig dahingroovenden „Trailerpark“ -Textzeilen wie“l lost my girl to the Rolling Stones“ bedürfen ohnehin keiner Beurteilung mehr, nur noch der inständigen Bitte: Mehr davon, mehr davon! Und voila: „l’ve gotta stop smoking, l’ve gotta get better. Where is the magic? We’ve got to get better!“ murmelt Damon Albarn in „Caramel“, dankeschön, dankeschön. Es sind Songs wie diese, die laut Damon Albarn „einfach irgendwo anfangen, sich irgendwo hinbewegen und einfach irgendwo aufhören“, die „13“ zu einem großen Album, dem größten des Jahres 1999 machten. Die Verantwortung dafür ist auch William Orbit in die Schuhe zu schieben, der zuvor etwa Madonna die Flötentöne bei- und mit „13“ den Britpop endgültig umgebracht hat. „Es ist unser amerikanischstes Album“, behauptete Graham Coxon – was die sphärische Weite dieser Sammlung von Kompositionen und Improvisationen angeht, könnte er damit sogar Recht haben. Die atmosphärische Dichte indes, das über-, neben- und untereinander der verschiedensten Ebenen bleibt britisch. „13“ erzählt uns etwas über das Leben. Und verweist dabei auf nichts anderes als sich selbst, seinen eigenen beseelten Kosmos. Ach ja: Fuck „Tender“! Or skip it.