Blur: München. Southside Festival


REGEN WIE AUS EIMERN LÄUFT AN BINDFADEN AUF DIE ERDE. Drunten harren 26.000 verbissen vergnügungswillig aus. „Die Sonne scheint!“, grölt ein Häufchen hemdloser Festivalpiraten im Morast kauernd ihre aberwitzige Durchhalteparole. Sie werden belohnt. Imaginäre Sonne aus, Spot an: „Entschuldigung für die Wetter“, begrüßt Damon Albarn die Durchweichten. Alsdann erwärmen Blur die Herzen, als hätten sie große Verantwortung zu tragen für ihr enthusiastisches Gefolge. „Tender“ heißt das uns frottierende, liebkosende Intro. Was ist schon Regen gegen Liebe? Oh, my baby! Die Masse schunkelt, schluckt ein ums andere Mal, schaut sich pärchenweise ganz tief in die feucht gewordenen Augen. Eben war das Festival noch ein so entbehrungsreicher Ort, ein meidenswertes Schlammloch, schon schwelgt die Schar in kollektiver Glückseligkeit, wie sie das nur hier, unter freiem, wolkenverstopftem Himmel, im Meer geschundener Gleichgesinnter vermag. Zwei, drei Ewigkeiten gospelt man so, Graham Coxon fährt uns mit diesem Verwöhnriff um den Nacken, Luschenschnute Alex James wippt locker mit dem Kontrabaß im Arm, als führte er ein Jungmodel aus. Damon entrückt gänzlich. Oh, my baby! Und wir hintendrein. Dann reißen uns Blur plötzlich die wärmende Decke vom Leib und pusten das Kaminfeuer wieder aus. Schluß mit der Kirchentagsharmonie! Wer sind wir denn? „Bugman“ kracht und scheppert, als würde ein notlandendes Flugzeug den zum Festivalgelände umfunktionierten Flugplatz ansteuern.Wirbelsturm und Donnerschlag. Blur haben ein Experiment zu verteidigen, „13“,, ihr jüngstes und bestes Album. Es füllt das ganze Programm. Das hat sich mancher wohl etwas anders vorgestellt. Wo darf hier im Takt geklatscht werden, wo können wir Fischerchor sein, und wo, bitte, ist der Ausgang aus dieser Feedbackwolke? Blur zeigen kein Interesse, Pflichtaufgaben zu erfüllen. Sie kommen nur bis zur halben Strecke entgegen, auch unter den widrigen Umständen muß man sich auf sie einlassen, hören und fühlen, nicht toben und feiern. Sie lassen tatsächlich dem ganzen Album Entfaltung, Raum und Zeit. Und gehen dann. Nicht, daß der Applaus verhalten wäre, doch Beifallsstürme schallen anders. Erst zur Zugabe kündigt Dämon „some old songs“ an. „Beetlebum“, „Girls And Boys“, „This Is A Low“ werden gefeiert und ausgetobt. Das haben wir uns verdient. Doch ein bißchen darf man ihnen hier und heute schon nachtrauern auf ihrem selbst-erwählten Weg zur Can-Werdung, der vorzüglichen Partyband Blur und dem größten Springinsfeld im Universum namens Damon. Solange sie uns in Zukunft nur „Song 2“ nicht auch noch vorenthalten.