Boa Conflictor


Zwei Herzen schlagen ach in seiner Brust. Seiner alten Liebe, dem Voodooclub, fühlt Phillip Boa sich nach wie vor verbunden. Feuer und Flamme aber ist er in diesen Tagen nur für den metallischen Voodoocult.

Doch, er mag sie noch, seine alte Muse. Aber: „Der Voodooclub hat einfach nicht ausgereicht, um meinen Schaffensdrang zu befriedigen.“ Mit diesen Worten begründet Phillip Boa, Querdenker unter den deutschen Pop-Artisten, seine Hinwendung zu knochenhartem Thrash-Metal, die im vergangenen Jahr mit dem Album ‚Jesus Killing Machine‘ ihren ersten Niederschlag fand und dabei für einiges Erstaunen sorgte. Für Boa selbst allerdings scheint sein unerwartetes Schaffen als Metallarbeiter bis heute durchaus konsequent. „Der Voodooclub hat speziell auf den Alben ‚Boaphenia‘ und ‚God‘ sehr viel experimentiert, mit Dance-Beats und Loops gearbeitet und so versucht, den Songs auf Crossover-Basis ein unkonventionelles Gesicht zu geben. Dazu bedurfte es allerdings einer langwierigen Bastelei im Studio. Als Gegenpol zu dieser Detailarbeit sehnte ich mich danach, wieder einmal Musik aus dem Bauch heraus zu machen.“

Gedacht, getan. Boa suchte Kontakt zu den Metallern Dave Lombardo (Schlagwerker bei Slayer), Gabby Abularach (Gitarrist bei den Cro-Mags) und zu dem in Death- und Doom-Kreisen hochgeschätzten Produzenten Waldemar Sorychta. In diesem Umfeld beschränkte Boa sich, für den kreativen Kopf bis dahin eher ungewohnt, auf die Rolle des Sängers in einem rundherum festen Bandgefüge.

Von Kids und Kritik wurde Boas Metal-Projekt mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Vor allem, was Konzerte betraf, mochten viele Fans Phillips waghalsigem Spagat – der Voodooclub-Show folgte jeweils eine volle Breitseite des Voodoocults nicht so recht folgen. Die Zuschauerzahlen sanken um mehr als die Hälfte. „Das Publikum bestand zu 90 Prozent aus harten Metalfans, und die haben uns natürlich mit den Top Acts der Szene verglichen“, erzählt Boa rückblickend. „Ich fühlte mich in der Rolle des Metalsängers unsicher und glaube auch nicht, daß wir richtig gut waren. Andererseits war es wichtig, wieder um die Gunst der Fans kämpfen zu müssen. Es half, die im Laufe der Jahre unbewußt aufgebaute Arroganz zu verlieren.“

Dennoch: Nach der Tour spielte Boa ernsthaft mit dem Gedanken aufzuhören.

Das nötige Selbstvertrauen gewann Phillip erst nach einigen Auftritten seiner Metalband im Vorprogramm der brasilianischen Thrash-Könige Sepultura zurück. Denn diese Konzerte (am Voodoocult-Schlagzeug saß inzwischen der vormalige Despair-Trommler Markus Freiwald) wurden vom Publikum begeistert aufgenommen. Grund genug, mit frischem Elan ein neues Album anzugehen. Inzwischen ist das Werk, das schlicht auf den Namen ‚Voodoocult‘ getauft wurde, fertig. Eine handgemachte, energiegeladene Platte, die jedoch im Vergleich zu ihrem reinmetallischen

Vorläufer eine ganze Reihe unterschiedlicher Einflüsse erkennen läßt. So treffen Hardcore und Metal-Elemente auf Elektro-Beats, auf Loops oder geschickt ausgewählte Samples. „Wir arbeiten mit Mitteln, die nicht der Zeit hinterher hinken“, erklärt Boa sein Vorgehen, „aber letztlich ist die Arbeitsweise nicht entscheidend. Denn was zählt – ob nun bei Pop, Dance oder Metal – ist am Ende einzig und allein der jeweilige Song.“

Da hat der deutsche Pop-Denker zweifelsfrei recht – und kann zudem auch noch rundherum zufrieden sein. Denn Boas Songs brillieren nicht nur auf höchstem Energie-Level, sondern besitzen darüber hinaus auch noch musikalische Substanz. Egal, ob es sich nun um den metallischen Track ‚The Stranger‘ (frei nach Albert Camus), den Midtempo-Titel ‚I Close My Eyes Before Bleed To Death‘ oder Boas Betrachtungen zu ‚Erotica‘, der Maschine, handelt. Und auch der Sound stimmt. Dafür sorgte von der Aufnahme der einzelnen Tracks im renommierten ‚Ocean‘-Studio in Los Angeles bis hin zur Abmischung in Hannover der bis dahin eher für klassische Hardrock-Töne zuständige Victory-Musiker und Produzent Tommy Newton. Als Gastmusiker kam bei den Aufnahmen in L.A.

auch ein echter Promi zum Zuge:

der Faith No More-Exgitarrist Jim Martin. Dennoch: Bei aller Liebe Boas zu seinem Voodoocult stellt sich die Frage, was aus dem ehrwürdigen Voodooclub, der im vergangenen Jahr noch zeitgleich mit Phillips erster Metalplatte durch ein verquer-brillantes Pop-Album überzeugte, werden soll. Wie, so möchte man wissen, will Boa den Konflikt zwischen Metal und Muse lösen? „Der Voodooclub“, erläutert er, „ist meine alte Liebe und wird vorerst weiterexistieren.“ Etwa durch „Collagenarbeit und Pop-Architektur“. Auf jeden Fall, so Boa, werde er „noch ein bis zwei Platten in diesem Jahr herausbringen“. Ganz schön viel. Doch Boa (33) wehrt ab: „Viel kann ich eh nicht mehr machen, denn für einen Popmusiker bin ich schon ganz schön alt. Ich weiß nicht, ob ich mit 40 noch auf der Bühne stehen will, um ‚Kill Your Idols 1 zu schreien.“ Beim Gedanken an rockende Rentner spielt die Vokabel ‚Stolz‘ für Boa eine Schlüsselrolle. Als Kultfiguren, die er auch im vorgerückten Alter noch als solche gelten läßt, nennt Phillip Holger Czukay, Bryan Ferry, Lou Reed, David Bowie und Lemmy Kilmister. Boa selbst hat für die Zukunft eine klare Perspektive. Wenn er den extrovertierten Sänger mal nicht mehr geben mag, will er sich verstärkt als Mixer und Produzent hervortun, denn: „Das einzige, was mir neben dem Texten zur Zeit richtig Spaß macht, ist das Produzieren.“ Dazu dürfte Phillip Boa demnächst auch in seiner zweiten Heimat Malta reichlich Gelegenheit haben. Wenn das dortige Studio eines Freundes vollständig ausgebaut ist, bekommt ihn von der Insel niemand so schnell wieder weg. „Schon wegen des Klimas“, grinst Boa und blickt auf die verregneten Straßen eines grauen Nachmittags in Hannover.