Bob Dylan, New Jersey, State Arts Center
TOTGESACTE LEBEN LÄNGER: ALS BOB DYLAN AM 25. Mai mit Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sah ihn die New Yorker Presse schon mit einem Bein im Grab. Berichte über seinen Zustand lasen sich wie Nachrufe. Ernst muß es immerhin gewesen sein, denn eine geplante Europatournee wurde abgesagt, damit Dylan sich erholen konnte. Zehn Wochen später steht der 56jährige wieder auf der Bühne. Zwar bewegt er sich wenig und viel Farbe hat er auch nicht auf den Wangen, doch manchmal, wenn seine Fans alte Hits bejubeln, huscht ihm sogar ein Lächeln übers Gesicht. Von früherem Zynismus und Bitterkeit ist nicht viel zu spüren. Dylan wirkt aufgeräumt und scheint in versöhnlicher Stimmung. Das Garden State Arts Center ist bei weitem nicht ausverkauft, doch immerhin 6.500 Anhänger sind gekommen, die sich zu Beginn zunächst zufrieden zurücklehnen, sich aber bald begeistert aus den orangefarbenen Plastikschalensitzen der Arena erheben. Dylan wirkt nicht nur körperlich, sondern auch musikalisch regeneriert. Vorbei die Zeiten, als ein gerüttelt Maß an Geduld, wenn nicht Leidensfähigkeit notwendig war, um ein ganzes Konzert durchzustehen, weil Dylan es vorzog, seine Melodien bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln. Eins freilich blieb beim Alten: der Meister kräht, näselt und nuschelt sich nach wie vor unverständlich durch seine Texte. Die Live-Versionen seiner Songs klingen mit ihrem rockig-bluesigen Grundton wie in den Siebzigern und doch frisch und inspiriert. Dazu trägt vor allem die ausgezeichnete Begleitband bei: Gitarrist Larry Campbell, der neue Drummer Dave Kern per, Bassist Tony Garnier und Bucky Baxter an der Pedal Steel-Gitarre machen optisch zwar eher den Eindruck einer Galaband, sind an den Instrumenten aber Meister ihres Faches. Sie begleiten akustische Nummern wie „Mr. Tambourine Man“ und „Tangled Up in Blue“ sparsam und gefühlvoll, kriegen bei „Watching the River Flow“ und „Silvio“ den „suppigen Groove“ hin und glänzen vor allem in Solopassagen. In den zum Teil zehnminütigen Stücken liefern sich Dylan, Campbell und Baxter sogar Gitarrenduelle – ganz wie damals. Das Repertoire paßt perfekt dazu: Classic Dylan, eine wohldosierte Mischung aus Hits und weniger bekannten Songs. Das Konzert wird für die Fans zum emotionalen Vollbad: Gleich nach dem Opener „Absolutely Sweet Marie“ läßt Dylan „Lay, Lady, Lay“ in die Wanne ein, und mit den seligen Jugenderinnerungen der Fans als Badezusatz setzt sofortige mentale Entspannung im Publikum ein. Aufgemuntert von Zeilen wie „Every-body must get stoned“ stecken sich einige shortstragende Bartträger genüßlich einen Joint an. Mit der Zugabe „Like A Rolling Stone“ ist dann die Wanne voll – und die Wannenkapitäne singen selig, sentimental und aus vollem Hals mit. Als Dylan für“My Back Pages“ schließlich noch zur Mundharmonika greift, zieht der Menge kollektiv wohlige Gänsehaut über den Rücken. Die Ordner geben den Bühnenrand frei. Ein Mädchen faßt sich ein Herz, erklettert die Bühne und fällt Dylan um den Hals. Der läßt es still über sich ergehen soviel Wohlgefühl muß denn nun doch nicht sein. Dylan zieht den Stöpsel -er geht.