Bob Geldof


Schwer liegt die Last auf seinen Schultern. Ob er nun mehr am Leid der Welt trägt oder an seiner Karriere, die dank seiner karitativen Kreuzzüge etwas unter die Räder geriet, ließ sich bislang kaum auseinanderhalten. Warum er künftig den Heiligenschein zu Hause lassen will, erklärte "Saint Bob" im ME/Sounds-Interview Steve Lake.

ME/SOUNDS: In „Great Song Of Indifference“, der ersten Single-Auskopplung von deinem neuen Album VEGETARIANS OF LOVE, vertrittst du eine ganz Geldof-untypische Geisteshaltung: „I don’t care if they tear down trees… I don’t mind if culture crumbles …I don’t care if the Third World fries“ usw. Meinst du, die Plattenkäufer kommen dahinter, daß das ironisch gemeint ist?

GELDOF: In Deutschland wahrscheinlich nicht. Für die meisten wird es wohl wie eine Art Trinklied klingen, und wer sich näher damit beschäftigen will, kann ja den Text lesen. Probleme gibt es eigentlich eher in England, wo die Presse schon einen ganz schönen Wirbel macht. Komisch, wenn jemand einen Song in der ersten Person schreibt, meinen sofort alle, das müsse autobiographisch sein. Wie sich vielleicht schon herumgesprochen hat, kann man mir Gleichgültigkeit nun ganz und gar nicht vorwerfen …

Aber dieses Problem hatte ich schon am Anfang meiner Karriere mit „Looking After Number One“. Dem Mann auf der Straße ist das sowieso herzlich egal. Entweder mag er den Song oder nicht, eine durchaus akzeptable Einstellung. Ich gebe mich nicht der Illusion hin. in meinen Songs irgendwelche wichtigen Aussagen zu machen.

ME/SOUNDS: Gibt es bei dir denn nie Tage, an denen du dich so fühlst wie die Person in deinem Song? An denen du es satt hast, die Probleme der Welt mit dir herumzuschleppen, und dir denkst: Ihr könnt mich alle mal?

GELDOF: Nein, weil ich mich namlich relativ unbelastet fühle. Sicher, wenn ich etwas sehe, das mich gründlich irritiert oder das einem denkenden Menschen absurd erscheinen muß, werde ich sauer, und das veranlaßt mich dann möglicherweise zu dem Versuch, etwas dagegen zu unternehmen. Aber ich verzweifle nicht an der Welt, obwohl sich das in „End Of The World“ vielleicht anders anhört: „There’s nothing more useless than a car that won’t start and it’s even more useless at the end of the world.“ (Lacht) Ich bm mir der globalen Probleme schon bewußt, aber aufladen tue ich sie mir nur dann, wenn ich das Gefühl habe, mich durch geflissentliches Übersehen mitschuldig zu machen.

ME/SOUNDS: In „End OfThe World“ begibst du dich gleich in die illustre Gesellschaft großer Propheten: „Nostradamus and Jesus and Buddha and me“…

GELDOF: Kerne Ahnung, wie das zustande kam. Der Produzent war gerade auf Toilette, und ich sang einfach, was mir so einfiel. Wer das ernst nimmt, ist selber schuld. Die Platte steckt voller Ironie, das geht schon beim Titel los.

ME/SOUNDS: Beruhigend zu hören. Was zum Teufel bedeutet „Vegetarians of Love“?

GELDOF: Nichts. Es klang einfach gut. Macht auch auf Französisch und Italienisch was her. Ich wollte in einer Band spielen, die Vegetarians Of Love heißt.

ME/SOUNDS: Waren die Aufnahmen tatsächlich so spontan wie das Ergebnis vermuten läßt? Oder hat es eine Menge Zeit und Geld gekostet, die Platte so lässig und hingerotzt klingen zu lassen?

GELDOF: Wir waren genau fünf Tage im Studio. In diesen fünf Tagen haben wir 28 Songs aufgenommen, und die Plattenfirma durfte sich zwölf aussuchen. Einige Texte entstanden live vor dem Mikro, und ich mußte hinterher herausfinden, was sie eigentlich bedeuten sollen. Ich hatte keinen blassen Schimmer, über was ich da sang. „A Rose At Night“ gefällt mir gut. schöne Bilder, aber mit Interpretationen kann ich leider nicht dienen.

ME/SOUNDS: Glaubst du, daß gerade die Iren eine besondere Begabung für verbale Spontaneität haben?

GELDOF: Interessante Frage. Ja, kann sein. Flottes Mundwerk und so. Das ist bei uns Volkssport, wird in jedem Pub trainiert. Ein Ire nimmt so gut wie jeden Standpunkt ein, wenn er dadurch eine interessante Diskussion in Gang bringen kann. Zuerst ein Schluck Guinness und dann kommt so etwas wie: „Da stand was in der Zeitung über diesen rechtsradikalen Franzosen Le Pen. Hat manchmal gar nicht so schlechte Ideen, der Typ…“ Pure Provokation, und spätestens nach fünf Minuten schreien alle wild durcheinander. In sowas sind wir gut.

Und die Iren sind natürlich auch sehr stolz auf ihre literarische Tradition, viel mehr als die Engländer. Selbst Leute, die noch nie auch nur eine Seite James Joyce gelesen haben, können dir was über seine Erzähltechnik des Bewußtseinsstroms erzählen. Das hat sicherlich auch die irische Rockszene beeinflußt. Irische Bands sind ganz anders als englische oder amerikanische Gruppen, vor allem was die Texte betrifft. Eine echte irische Pop-Band, die nur die gängigen Klischees verwurstet, hat es noch nie gegeben. Ich glaube, die üblichen Herz-und-Schmerz-Texte wären irischen Songwritern einfach zu banal. Leute wie Van Morrison, U2, sogar Phil Lynott stehen da drüber.

ME/SOUNDS: Hast du viel irische Volksmusik oder Cajun gehört, bevor ihr diese Platte aufnahmt? Sie klingt ziemlich rustikal und bodenständig.

GELDOF: Nein, eigentlich nicht. Ich wollte nur, daß sie anders klingt als die letzte, die reichlich überproduziert war, und dachte dabei so ein bißchen an die Stimmung von Cajun-Musik. Ich wollte nur etwas von dieser Atmosphäre einfangen, spielen könnte ich das sowieso nicht. Es sollte gute Tanzmusik werden, mit ein paar akustischen Instrumenten und einer Menge Energie, irgendwie rauh und mit viel Luft drin und einfachen bluesartigen Strukturen, die zu einem breiten Themenspektrum passen. Das joie de vivre des Cajun, darauf hatte ich’s abgesehen.

Zum Teil war das wohl auch eine Reaktion auf dieses ganze Techno-Ding. House Music und HipHop hängen mir gewaltig zum Hals raus – langweiliges, altmodisches Zeug. Neu ist meine Musik natürlich auch nicht, aber zeitlos und lebendig, hoffe ich jedenfalls.

Mit echter irischer Volksmusik kann man mich allerdings auch jagen. Das wurde mir in der Schule bis zum Erbrechen vorgesetzt, und immer hieß es „Das ist deine Kultur“. ‚Fuck off‘ war mein Kommentar. Meine Roots sind die Beatles, Stones, Them, Kinks, Small Faces, die alle am Anfang eine Art Rhythm & Blues spielten und mich dadurch zu den alten Blues-Leuten brachten, Muddy Waters, Son House, Robert Johnson. Diese Musik war mir nahe und sie ist immer ein Einfluß gewesen.

Aber damit ist mein Bedarf an ethnischer Musik gedeckt. Selbst die Leute, die Weltmusikmäßig gerade angesagt sind, wie beispielsweise Youssou N’Dour oder Salif Keita – ganz okay, aber nach einer halben Stunde fange ich an zu gähnen.

ME/SOUNDS: Ein merkwürdiges Eingeständnis für jemanden, der an dem vor kurzem auch im Fernsehen dokumentierten Projekt ONE WORLD und an der dazugehörigen Platte beteiligt war. Da ging es ja schließlich auch um ethnische Musik aus aller Welt.

GELDOF: Oh, ich fand, das war eine phantastische Sache.

ME/SOUNDS: Wirklich??

GELDOF: Normalerweise bin ich bei solchen Mammut-Unternehmen sehr mißtrauisch. Aber weil Rupert Hine und Kevin Godley alte Freunde von mir sind, sagte ich: Alles klar, ich bin dabei. Ich dachte mir, Pop im Fersehen wäre eine gute Möglichkeit, auf ein Problem hinzuweisen. Ich hatte die Nase voll von all diesen Mega-Konzerten, die seit Live Aid auf der Tagesordnung stehen. Ich fand es beeindruckend, wie Rupert Hine diese vielen Einzelbeiträge zu einem zusammenhängenden, emotional aufrüttelnden Ganzen verbunden hat.

ME/SOUNDS: Für mich war da nicht viel Zusammenhang erkennbar. Es machte eher den Eindruck, als wären die ethnischen Musiker zur farbenprächtigen Dekoration ßr die beteiligten Popstars degradiert worden.

GELDOF: Salif Keita ist in seiner Heimat ebenso ein Popstar wie Sting hier im Westen. Dave Stewart würde sagen, daß Pop Englands wichtigster Beitrag zur Weltkultur ist, und für mich hat er recht. Deine Haltung ist doch nichts weiter als maskierte Gleichgültigkeit. Ihr Kritiker sitzt da und nörgelt, während die Welt derweil den Bach runtergeht. Die Leute, die du so verächtlich als Popstars titulierst – sie bezeichnen sich übrigens selbst als Musiker – arbeiten wenigstens für eine gute Sache.

ME/SOUNDS: Ich bin nicht gleichgültig, ich weiß bloß nicht, warum die Welt seit „Do They Know It’s Christmas“ anscheinend nicht anders als mit lausiger Musik gerettet werden kann.

GELDOF: Ich sagte bereits, meiner Meinung nach war das sehr gute Musik.

ME/SOUNDS: „Meinst du, Nusrat Faleh Ali Khan würde da zustimmen?

GELDOF: Wer zum Teufel ist das denn nun schon wieder?

ME/SOUNDS: Der beste Sänger der ganzen Sendung, der Typ aus Pakistan, der als Background-Staffage herhalten durfte.

GELDOF: (Seufzend, gottergeben) Darum geht’s doch gar nicht, und außerdem glaube ich nicht, daß er so entsetzlich darunter leidet. Die Popstars, um deinen Ausdruck zu verwenden, haben ein Publikum, und sie können die Aufmerksamkeit der Leute wecken. Bei Live Aid war es dasselbe. Manche Journalisten sagten, die Bands hätten nur ihrem Ego zuliebe mitgemacht. In manchen Fällen mag das sogar gestimmt haben, aber macht das irgendeinen Unterschied? Tatsache ist, daß es kaum ein besseres Mittel als Musik gibt, um den Menschen in aller Welt Probleme ins Bewußtsein zu bringen. Warum mußten wir denn überhaupt ein Konzert veranstalten? Warum haben die Leute ihr Geld nicht einfach so nach Afrika geschickt?

Ich habe oft das Gefühl, daß Musiker die einzigen sind, die sich überhaupt noch für etwas engagieren. Und wenn sie bei so einer Sache wie ONE WORLD mitmachen und sagen, schaut her, wir haben nur diesen einen Planeten, laßt uns etwas dafür tun, bevor es zu spät ist, dann finde ich das bewundernswert…

ME/SOUNDS: Glaubst du nicht, daß die Mitleids-Reserven des Publikums nach den zahllosen Kreuzzügen der letzten fünf Jahre im Moment ziemlich erschöpft sind?

GELDOF: Ich würde sagen, sie leiden an Wohltätigkeits-Auszehrung. Jedenfalls geht es mir so. John Lennon hat einmal gesagt, man kann zu Tode gewohltätigt werden, und damit hatte er absolut recht. Ich mache da oft nicht mit. Natürlich will auch ich, daß die Blinden wieder sehen und die Tauben wieder hören und daß Schluß ist mit AIDS und Kriegen und Rassismus. Aber wenn ich an sämtlichen Fronten kämpfe, verliert mein Name an Gewicht. Durch Band Aid habe ich sehr viel Zeit in Afrika verbracht und fühle mich deswegen in der Lage, zu diesem konkreten Thema etwas zu sagen. Wenn es um Dinge geht, über die ich weniger gut Bescheid weiß, überlasse ich das lieber anderen.

Außerdem bin ich von der Effektivität dieser Groß-Ereignisse oft nicht so ganz überzeugt. Konzerte gegen Apartheid? Ich fürchte, das ist eine bedeutungslose Geste. Was solche Sachen anbetrifft, werde ich leicht ein bißchen ungeduldig. Ich bin kern Träumer. Ich bin ein sehr pragmatischer Mensch. Spenden sammeln? Okay. Ich mag konkrete, praktische Ergebnisse.

ME/SOUNDS: Deine Autobiographie hat sich besonders in England sehr gut verkauft. Erwägst du neben der Musik etwa auch noch eine Karriere als Schriftsteller?

GELDOF: Nein, weil ich festgestellt habe, daß Schreiben der einsamste und langweiligste Job der Welt ist.

ME/SOUNDS: War dir das in deiner Zeil ab Musikjournalist, bevor es mit den Boomtown Rats losging, noch nicht bewußt?

GELDOF: Nein, aber meine letzte Plattenkritik war dann nur noch vier Wolle lang:

„This record is shit.“ Über Musikjounialismus sollten wir besser nicht sprechen. Mir tun diese Jungs so leid, die in Popsongs nach Symbolen und Metaphern suchen! (Lacht) ME/SOUNDS: Nach Live Aid hat man dir den Beinamen „Saint Bob“ gegeben. Was hat diese Auszeichnung für Auswirkungen auf dein Ego gehabt?

GELDOF: Oh, es hat mich nicht weiter gestört. Ich fand es komisch. Allerdings wurde dieser unsägliche Persönlichkeitskult, die Kehrseite des Ruhms, mit der Zeit doch ziemlich anstrengend. Ich versuchte ganz gezielt, mich davon fernzuhalten. Ich las grundsätzlich keine Artikel über Bob Geldof mehr. Das Video zu Live Aid habe ich nie gesehen.

Wirklich ärgerlich wurde es nur, wenn mich Leute auf der Straße wie Mutter Teresa behandelten, meinen Ärmel berührten und dann womöglich in Tränen ausbrachen. So etwas passierte häufig und war sehr beunruhigend für mich. Ich konnte mit dieser Mentalität nichts anfangen. Ich wußte nicht, was diese Leute eigentlich wollten. Zum Glück ist dieser Spuk jetzt vorbei.

In England meinten alle, daß ich nach Live Aid in die Politik gehen oder in BBC-Dokumentarfilmen den moralischen Zeigefinger erheben würde, aber daran dachte ich nicht mal im Traum. Ich glaube, den Engländern ist es irgendwie peinlich, daß ich weiterhin Musik mache. Die können das nicht begreifen.

ME/SOUNDS: Und warum machst du weiter?

GELDOF: Weil es mir Spaß macht. Es gäbe sicherlich andere Möglichkeiten, Film zum Beispiel, aber am liebsten bin ich allein mit meiner Gitarre und denke mir Songs aus. Nur ist das natürlich witzlos, wenn niemand deine Sachen hört. Ich brauche ein Publikum, erst dann hat meine Arbeit einen Sinn.

Am glücklichsten bin ich wahrscheinlich auf der Bühne. Wenn ich längere Zeit nicht aufgetreten bin, vergesse ich das manchmal. Aber bei unserem ersten Gig mit den Vegetarians of Love in Helsinki fiel es mir wieder ein. Ich dachte, das wäre ein guter Ort, um unter Ausschluß der Öffentlichkeit einen netten kleinen Aufwärm-Gig zu spielen – und dann kamen 40.000 Leute! Zuerst starb ich fast vor Angst, aber als wir dann loslegten, dachte ich ‚Genau, hier gehörst du hin.‘

ME/SOUNDS: Du bist jetzt 36 Jahre alt. Muß man sich irgendwann in den Rock’n’Roll-Ruhestand begeben?

GELDOF: Wahrscheinlich. Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt, ganz bestimmt. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Es sieht beinahe so aus, als hätte dieser Mythos vom Rock als der Musik der Jugend in Wirklichkeit keine Basis mehr. Die Rolling Stones sind so gut wie nie. Wie alt ist der Bassist?

ME/SOUNDS: 54.

GELDOF: Die anderen sind fast Fünfzig. Wenn man davon ausgeht, wie populär sie zur Zeit sind, könnten sie auch noch mit Sechzig auf der Bühne stehen. Das klingt lächerlich, unglaublich, auch für mich, aber wenn die Musik gut ist, warum nicht? Dylan ist auch schon fast Fünfzig. Ich will mich natürlich nicht mit diesen Säulenheiligen der Popkultur vergleichen. Ich bin kein Mick Jagger. In der Popgeschichte bin ich nur eine Fußnote. Aber solange mich die Leute hören wollen, mache ich weiter.

Wahrscheinlich könnte ich es selbst dann nicht lassen, wenn man nicht mehr so scharf auf mich wäre. Alt und grau und mit ein paar Freunden die Clubs und Pubs heimsuchen – das wäre genau das Richtige für mich. Eine ehrenwerte Art, den Lebensabend zu verbringen.