Böser Bube


Er habe einiges über sich gelernt, sagt Marilyn Manson. Zum Beispiel, dass er sich ein wenig fühle wie der Erfinder der Atombombe.

Sündenbock Manson. Die amerikanische Öffentlichkeit schob ihm nach dem Massaker in Littleton die Verantwortung für beinahe jede Gewalt unter Kids in die Schuhe. Angeblich, weil Manson mit seiner Musik heranwachsende Teenager fehlleitet. Er kriegte Geld dafür, dass er nicht auftrat, und hinzu kam, dass sein letztes Studioalbum „Mechanical Animals“ kommerziell nicht so erfolgreich war, wie sich das seine Plattenfirma wohl vorgestellt hatte.

Das 10g auch an Manson nicht spurlos vorüber: Er verschwand von der Bildfläche. „Drei Monate lang habe ich mein Haus nicht verlassen und den Kontakt zur Außenwelt vollkommen abgebrochen. Ich litt unter klaustrophobischen Zuständen und dachte, dass alles, was hinter meiner Wohnungstür lauerte, gegen mich gerichtet sei.“ Zwei Wochen vor diesem Gespräch mit einem zu diesem Zeitpunkt aber bereits wieder erstarkten Marilyn, Anfang Juli, hatte er im Studio in Los Angeles sechs Stücke des kommenden Albums „Holy Wood (In The Shadow Of The Valley Of Death)“ vorab hören lassen. Erster Eindruck: Manson gibt nicht klein bei. Wäre auch vermessen gewesen, das wirklich zu glauben.

Mit „Holy Wood“ teilt er wieder richtig aus Der Sound geht zurück in Richtung „Antichrist Superstar“, die Glamphase von „Mechanical Animals“ ist vorbei. Stattdessen wird das Bild durch elektronische Effekte, hämmernde Beats, donnernde Drums, bellenden Gesang, wütendes Geschrei, dunkle Basslinien, beängstigende Atmosphären, ineinanderstürzende Songaufbauten, verschachtelte Strukturen und ein Höchstmaß an Aggression bestimmt. „Holy Wood“ bringt eine von Marilyn Manson (30) erdachte Trilogie zum Abschluss, die 1996 mit „Antichrist Superstar“ begann.

Manson ist es sehr wichtig, dass seine Arbeit als Musiker verständlich wird für seine Fans und Hörer. Er arrangiert seine Songs so, dass man als unvoreingenommer Zuhörer durchaus Faszinierendes, wenn auch von morbidem Charakter, entdecken kann. „Holy Wood“ liegt ihm besonders am Herzen. Damit es nicht falsch verstanden wird, stellt er das Album in den Kontext der beiden anderen Platten: „‚Antichrist Superstar‘ war sehr wütend. Eine Kritik an der amerikanischen Kultur und ihrer Religion. Mechanical Animals‘ hingegen war emotionsgeladen und selbstkritisch. Holy Wood‘ kombiniert diese Gefühle und das, was ich über mich gelernt habe, so dass ich jetzt mit neu gefundenen Kräften und als selbstsichere Person die Welt attackieren kann. Ich schließe die Metamorphose mit diesem Album ab. Ich entschlüpfe meiner Schale. Der Wurm wird zum Schmetterling. Jetzt bin ich endlich der Marilyn Manson, zu dem ich in all den Jahren heranwachsen wollte – das ekelerregendste und wundervollste Wesen der Welt zugleich.“

Und einmal mehr wird er für Verwirrung sorgen. Stiess schon das letzte Album auf Unverständnis, so wird „Holy Wood“ einen ganzen Sturm an Entrüstung losbrechen lassen, wenn es das hält, was Manson verspricht. „Die neue Platte wird an all die Dinge erinnern, die ihr gehasst habt“, freut Manson sich. „Ich bin nun mal nicht der Typ, der kleine Kinder küsst, Händchen hält oder Geld für wohltätige Zwecke spendet. Ich erachte es als effektiver, Dinge zu zerstören.‘ Holy Wood‘ macht genau das, wovor alle Angst haben. Es ruft zur Gewalt und zur Revolution auf. Es ist eine boshafte Attacke. Eine verdammte Kriegserklärung und gleichzeitig meine beste Waffe. letzt fühle mich wie mein Vater in Vietnam. Auf der einen Seite fürchte ich um mein Leben, weil ich solch ein gewaltiges Album aufgenommen habe. Auf der anderen Seite weiß ich, dass ich es machen musste, weil es sonst niemand anders getan hätte. Wenn ich diese Waffe auf den Markt bringe, dann gebe ich sie in die Hände der Menschheit, die sich damit selbst auslöschen kann. Ich fühle mich ein wenig wie der Erfinder der Atombombe.“

Das Album „Holy Wood“ ist aber längst nicht das einzige Produkt, an dem Manson in letzter Zeit, u.a. mit Unterstützung von Co-Produzent Dave Sardy (Barkmarket, Slayer) und Elektro-Mastermind Bon Harris (Nitzer Ebb), gearbeitet hat. Er vollendet derzeit noch das gleichnamige Buch, das die Hintergründe zu dieser Trilogie in detaillierter Form aufarbeitet, und schreibt auch immer noch an dem Drehbuch zu seinem ersten Spielfilm, für den er aber noch keine Produktionsfirma gefunden hat. Des Weiteren wird seine Autobiographie „The Long Hard Road Out Of Hell“ in den nächsten Wochen in deutscher Sprache erscheinen, und zum Zeitpunkt dieses Interviews hatte er gerade eine Nebenrolle für das neueste Eminem-Video abgedreht. Das Licht der Welt erblicken soll „Holy Wood“ im Oktober, sofern nicht ein eventuell anstehender Bruch des Reznor-Labels Nothing Records, bei der Manson seine Alben veröffentlicht, mit der Major-Firma Interscope die Veröffentlichung verzögert. „Wenn das passiert, muss ich einigen Leuten mächtig weh tun“, sagt Marilyn Manson – und lacht. Updates: ->

www.marilynmanson.com)