Boom Box
Die Hip-Hop-Kolumne
Vom Dealer zum Millionär. Vom Millionär zum Wanderprediger. Vom Schulabbrecher zum Politpopstreber. Die Hip-Hop-Welt kennt allerlei abenteuerliche Lebenswege. Sie lebt davon. Neu ist allerdings: vom Strafvollzugsbeamten zum Liebling der Stylepolizei. Über den Umweg einer frei erfundenen Gangsterbiografie wohlgemerkt. Über Nacht war der Rapper Rick Ross vor fünf Jahren auf der großen Bühne erschienen; wie ein Hummer ohne Bremsen rollte sein Hit „Hustlin“ von Miami aus über den Planet Rock. Zu monströsem Bassgrollen und stramm auf Drama gebürsteter Orgelei brach Ross in aller Seelenruhe seinen Lifestyle runter. Jeden Tag sei er am schaffen – wobei es im Gegensatz zu seinen Kollegen weniger um die schnelle Mark am Straßeneck denn um ganze Schiffsladungen reinen Kokains und Direktbeziehungen nach Medellín ging. Diese Vita unterstrich er durchaus glaubhaft durch sein Äußeres: ein Drei-Zentner-Klops mit Braunbärstimme, Vollbart und angewachsener Sonnenbrille, der seine Interviews grundsätzlich oberkörperfrei gab. Die perfekte Comicfigur für Hobbyhustler. Das unbedingte Starpotenzial witternd, sprangen ihm mächtige Männer zur Seite, Jay-Z etwa und TLC-Entdecker L.A. Reid. Nicht darunter war, wie sich später herausstellen sollte, Pablo Noriega. Dessen Duzfreundschaft hatte sich Ross auf „Hustlin“ noch wortreich gerühmt. Im Sommer 2008 aber – ein zweites Album war soeben mit einigem Erfolg bei Def Jam erschienen – tauchten plötzlich Fotos auf, die den angeblichen Drogenbaron beim Wachdienst im Zuchthaus zeigten. Das Todesurteil für einen Gangstarapper. Eigentlich. Denn es geschah Wunderliches: Anstatt ihn wie zu erwarten übel abzustrafen, umarmte die Szenestasi den Schwindler aus South Beach. Einige Blogger nennen ihn seitdem liebevoll „Officer Rawse“, loben im gleichen Atemzug aber seine Musik: opulente Soul-Collagen unter unverändert blumigen Erzählungen von Großdeals, Yachten und dem ewigen Neid der Neider. Nun steht sein viertes Album „Teflon Don“ an, und das dürfte nach gegenwärtiger Erkenntnislage großartig werden. Denn alles was Ricky Rosé derzeit anpackt, wird zu purem Gold. Egal ob er seine Prahlhansreime auf Hits von Drake und Erykah Badu brummt, mit dem Sänger Ne-Yo ein Leben wie im Rausch vertont („Super High“), oder regionales Talent wie Roscoe Dash und Rocko fördert: Es wird sich im Sommer 2010 kaum Unterhaltsameres finden als diese einzigartige Mischung aus gleißendem Größenwahn, weit zurückgelehntem Maybach-Flow und großartig grotesken Bildern, die in ihrer Überdrehtheit kleinen Filmen gleichen. „It’s a movie, baby“, lautet denn auch der Schlachtruf Ross‘. Und für deren Wahrheitsgehalt interessiert sich bekanntlich kein Schwein.