Boom Box


Die Hip-Hop-Kolumne von Davide Bortot

Als das führende Branchenblatt JUICE unlängst zur Umfrage nach dem besten Hip-Hop-Produzenten des Landes trommelte, herrschte vornehmlich Ratlosigkeit. Woher wählen, wenn nicht stehlen? Unter den Top 10 landeten diverse hauptberufliche Rapper, Sänger und Architekten; der Sieger Roe Beardie verfügt zwar über ein blütenreines Berufsbild und einen ansehnlichen Katalog, über einen durchschnittlichen Schulhof schlenderte er dennoch unerkannt. Deutschrap hat längst Beats – aber noch lange keine Produzentenkultur.

Im Hinterhof dieses Elends schafft sich eine Gruppe junger Beatbastler derzeit ihre eigene Szene. Ihr Augenmerk gilt nicht der nächsten Auftragsarbeit, sondern dem Beat um des Beats Willen. Dem puren, unverschnittenen Funk. Spirituelles Zentrum dieser Bewegung ist die Kölner Kellerkneipe „Stecken“, und mit dem Label MPM hat der Klüngel sogar eine kleine Plattform für sein kurios eigenständiges Subuniversum gefunden. In dem deutscher Hip-Hop ausnahmsweise mal wieder Musik sein und sogar Spaß machen darf.

Der gebürtige Rumäne Hubert Daviz etwa plündert auf „Proceduri de Rutina“ die reiche Jazzgeschichte seines Vaterlandes. Suff Daddy aus Düsseldorf vertont seine Liebe zum Wacholderschnaps („The Gin Diaries“) und füllt kennerhaft neuen Wein in alte Schläuche aus Brooklyn und Leipzig („Suff Refills“). Eben dort pflegt Morlockk Dilemma mit dem befreundeten Berliner Hiob eine Brachialästhetik im Stile des jungen RZA, während fLako die rhythmische Algebra der kalifornischen Brainfeeder-Bande mit Kreuzberger DIY-Ethos und den Bässen seiner Wahlheimat London kreuzt. Der brillante Brenk, ein bekennender Crip aus Kaisermühlen mit starker Bande zu vorgenannten Piffkes, kocht mit seiner Instrumental-Sammlung „Gumbo“ die Wiener Variante Detroiter Donuts auf.

Gerappt wird dabei eher selten – und wenn, dann gerne selbst. Der Retrogott etwa, ein weiteres Hätschelkind aus dem Umfeld dieser sympathisch hängengebliebenen Beats-Blase, zerpflückt nicht nur die Samplekonstrukte seiner Kölner Kumpanen Hulk Hodn und Twit One, sondern mit Vorliebe auch seine eigenen. Und der großgewachsene Schwabe Dexter hat unlängst ein Album aufgenommen, auf dem wechselweise auf Deutsch (er) und Englisch (Maniac) über Gras, törichte Pro-Tools-Dilettanten und andere Jungsrunden-Topoi geplappert wird. Der Lil‘ Wayne des Ländle wird Dexter nimmer. Will er auch gar nicht sein. Überambitionierte Rapper gibt es in Deutschland schließlich schon genug, genau wie seelenlosen Synthiemüll. Und dank Dexter, Daviz, Daddy und Konsorten vielleicht bald auch eine echte Produzentenkultur.