Boss Hog


Man hatte sich auf eine lautstarke Veranstaltung eingerichtet. Auf rotzfrech herausgeplärrte Sex-Geschichten und urgewaltig zelebrierten Rock’n’Roll voll animalischer Kraft. Den wollen Boss Hog wohl auch spielen, doch klingt er in natura merkwürdig unterkühlt und gebremst. Unüberhörbar die Bemühungen der Band, ihrem primitiven Garagen-R&B-Blues-Punk rhythmische Raffinesse einzuimpfen. Vor allem Neumitglied Mark Boyce tut sich mit Funk verströmenden Tastentricks hervor. Das erfordert Umdenken auf Seiten Jon Spencers, der sich an der Gitarre zwar noch lange nicht schont, aber doch ziemlich kontrolliert wirkt -Chefin, Sängerin, Ex-Model und Jetzt-Mutter Cristina Martinez will es eben so. Nur macht sie zu wenig aus der Freiheit der Frontfrau. Früher sonnte sie sich regelrecht in der Rolle des männermordenden Rock-Vamps, doch heute scheint sie manchmal nicht so recht zu wissen, was sie auf der Bühne mit sich anfangen soll. Hier und da faucht sie den Zuhörern in der ersten Reihe semigefährlich ins Gesicht – das war es fast schon in Sachen Angriffslust. Kein neckisches Wackeln mehr mit dem von schwarzem Edelleder umhüllten Hintern. Und auch sonst keine lasziven Gesten, die ihren Ruf bislang begründeten. Nur ein zufriedenes Lachein huscht der dunklen Lady über die Lippen. Tja.Mama Martinez mag es jetzt domestiziert. Zu dieser Wandlung passt auch der unverblümt poppige Song „Cet ItWhileYou Wait“,ein Musterbeispiel an Disziplin und Ernsthaftigkeit. Und das Publikum? Es nimmt die Neuerungen reichlich zurückhaltend auf. Wirkliche Begeisterung stellt sich erst beim Zugabenblock ein. Da lassen Boss Hog die Zügel endlich locker und vergessen ihr Pflichtprogramm, das sie jeden Abend herunterspulen. Das bluesige „I Dig You“ sieht ausnahmsweise Jon Spencer in der Hauptrolle. Und dann ist da noch der Auftritt von Schlagzeugerin Hollis Queens. Sie singt eine Lead-Passage mit souliger Inbrunst, die im Publikum hörbar Zustimmung erregt. In diesem einen Moment ist der Sprung weg vom alten Dilettantismus hin zum professionellen Sound mit Potenzial gar nicht mal völlig undenkbar. Sollte vielleicht beim nächsten Mal die andere Boss Hog-Frau gleich den ganzen Abend lang singen?