Boys in den besten Jahren
Auch Biester werden erwachsen. Adam Horovitz, Adam Yauch & Mike D sind erfolgreiche Geschäftsleute. Bloß als Beastie Boys leben sie den Spieltrieb aus.
DAS NACHTLEBEN IN Lissabon ist eine herbe Enttäuschung. Entgegen anderen mediterranen Metropolen schließen die Cafes und Restaurants in der portugiesischen Hauptstadt selbst am Wochenende früh, während sich die wenigen Discotheken und Clubs als überteuert und nostalgisch erweisen. Warum die Beastie Boys, weltweit als Helden der Hipness gefeiert, ausgerechnet hier ihre neue Platte promoten, wissen sie nicht mal selbst so genau. „Wir waren zwar noch nie hier“, verkündet Mike D., „aber der Ausflug hierher klang nach einer netten Idee.“ Trotzdem: Im „Four Seasons“, einer Nobelherberge mit kitschigem 70er-Jahre-Flair, wirkt das Trio aus Amerika eher deplaziert. Mike D, 33 und neuerdings ohne Dreadlooks, ist einmal mehr Inbegriff des modischen B-Boys. Leger trägt er die aktuelle X-Large-Kollektion spazieren, also die Beastie Boys-eigene Fashionlinie. Demgegenüber ist Adam Horovitz auch mit 32 noch ganz das Kind im Manne: ein Kaugummi schmatzender Schlurf mit weiten Hosen, Schlabbershirt und unvorteilhaftem Kurzhaar. Auch Adam Yauch (33), oberster Pop-Beauftragter des Dalai Lama, ist in T-Shirt, Leinenhose und Wintermantel weit entfernt von einstigem Chic.
ÄUSSERLICHKEITEN ABER SIND IN LISSABON nebensächlich. Worum es wirklich geht, ist „Hello Nasty“, das fünfte Song-Epos der Beastie Boys – und damit um eine Platte, die allem Zeitaufwand zum Trotz nie ganz fertig geworden ist. Drei Jahre lang haben Adam Horovitz, Mike D und Adam Yauch in sechs New Yorker Studios an „Hello Nasty“ (Veröffentlichung: 13. Juli) gebastelt und dabei die unterschiedlichsten Ideen und Ansätze verfolgt. Am Ende saß die Dreierbande auf einem Berg von unausgegorenen Songfragmenten. Also bastelten die Boys weiter und weiter und weiter, um letztlich doch noch die längst überfällige Platte präsentieren zu können – als „nautisches Konzeptalbum, das in einem U-Boot entstand“, als „Country-Epos und Hommage an Garth Brooks“, als „Pop-Platte, die in einer Raumstation“ produziert wurde. Alles Quatsch! Mit seinen 22 Tracks und einer Gesamtspieldauer von über 70 Minuten wirkt „Hello Nasty“ zum einen äußerst abwechslungsreich und zeugt zum anderen von einer geradezu aberwitzigen Lust am Experiment. Um auch nur ja keine Strömung auszulassen, sind Drum’n‘-Bass-Bausteine auf dem neuen Album ebenso vertreten wie Elemente aus Big Beat, Jungk, Folk und Funk. Dazu gesellen sich jazzige Passagen, Ethnotöne und Old School HipHop. Selbst ein tieftrauriger Song in bester Scott Walker-Manier darf nicht fehlen.
Stellt sich die Frage, weswegen die Beastie Boys mit all diesen Stilrichtungen experimentieren, statt sich auf Bewährtes zu verlassen. „Wir waren letztes Jahr so lange im Studio, daß wir von außen so gut wie nichts mitbekommen haben – schon gar keine fremden Meinungen zu unserer Musik“, antwortet Mike D – darum also das hemmungslose Spiel mit Versatzstücken aus bekannten Stilrichtungen? So dürfe man das nicht sehen, meint Mike, „denn auf diesem Album ist nichts, aber auch gar nichts geplant. Was man darauf, hört, sind einfach nur unterschiedliche Sounds, mit denen wir über einen längeren Zeitraum hinweg experimentierten haben.“ Soll heißen: die besten Teile davon. Und ja: Manches klingt so cool, wie man es von den Beastie Boys erwarten kann. Anderes hinterläßt auch schon mal ein Gefühl der Ratlosigkeit. Dennoch, gestern wie heute ist es das außergewöhnlich hohe Maß an unkonventionellen Ideen, das die Musik von Adam Yauch, Mike D und Adam Horovitz zu etwas Besonderem macht. Die Begegnung mit den Dust Brothers schien die Phantasie der Beasties zu beflügeln und veranlaßte sie zu abenteuerlichen Experimenten. Bei „Ill Communication“ waren es die Eindrücke einer Asien-Reise, die in der Musik des Trios ihren Niederschlag fanden. Und heute? Ja heute muß sich der Zuhörer erneut mit ungewohnten und vor allem ungewöhnlichen Klangkombinationen auseinandersetzen – ein Hörerlebnis, das nicht nur Begeisterung hervorruft. Einerseits hat „Hello Nasty“ Highlights wie die witzige Dancefloor-Adaption „Super Disco Breakin'“ und die Basketball-Hymne „Unite“ zu bieten. Andererseits vermittelt das neue Album der Beastie Boys den Eindruck, als hätten sich Mike D und seine beiden Kumpels während der Aufnahmen so gut verschanzt, daß kein Wort der Kritik an ihre Ohren drang. Mike D bestätigt diese Therorie – wenn auch unfreiwillig und als Teil einer flapsigen Antwort: „Unser Proberaum liegt tief unter der Erde. Er ist düster und stinkt fürchterlich, weil es dort nicht das kleinste bißchen Frischluft gibt. Diese Arbeitsumstände haben uns ungemein beeinflußt. Genau wie unser Leibgericht während der Aufnahmen – Rührei auf Reis, eine Spezialität aus unserem Viertel.“ Nein, es macht nicht viel Sinn, einen Beastie Boy um eine kritische Selbstanalyse zu bitten. Alle drei sind grandiose Geschichtenerzähler. Einmal in Fahrt gekommen, drivten sie ab in eine Grundsatzdiskussion über den Kausalzusammenhang zwischen Mampfen und Musizieren, die in der Feststellung gipfelt, daß auch Nahrungsmittel visionäre Züge haben können – Kroketten zum Beispiel. Mike D: „Ich bin Vegetarier und hatte zunächst ziemliche Bedenken gegen diese Dinger. Dann habe ich erfahren, daß sie mit Kartoffelmasse gefüllt sind und erkannte darin die Speise des Jahrtausends. Jetzt überlegen wir, wie wir die ganze Welt mit Kroketten versorgen können. Vielleicht läßt sich daraus ja auch eine Bühne bauen. Die ließe sich dann zu 100 Prozent recyceln. Und wenn es draußen mal zu heiß sein sollte – hey Mann, lutsch‘ doch einfach eine gefrorene Krokette!“
ALS DAS THEMA NAHRUNG ENDLICH ZU ENDE diskutiert ist, bemüht sich Mister D, den Anwesenden Einblick in seine Arbeitsweise zu vermitteln: „Nimm‘ zum Beispiel einen Song wie ‚Putting Shame In Your Game‘. Da hatten wir zunächst einen lupenreinen Elektrobeat. Der wurde dann um so viele Soundschichten angereichert, bis eine Old School-Nummer dabei herauskam. Leider war das Ergebnis eher enttäuschend. Also nahmen wir die Soundschichten wieder aus dem Mix heraus und landeten am Ende bei exakt jenen Beats, mit denen wir angefangen hatten. Tja, das ist nun mal unsere ganz eigene Vorgehensweise. Wir spielen so lange mit irgendwelchen Klängen herum, bis sie zusammenpassen – oder auch nicht.“ Bei diesem nervenaufreibenden Produktionsprozeß soll dem Band-Unikum Adam Horovitz eine tragendere Rolle zugefallen sein als je zuvor – angeblich, weil die beiden anderen Beastie Boys viel zu sehr mit ihren übrigen Aktivitäten beschäftigt gewesen seien. „Das stimmt so nicht“, nimmt Adam die anderen in Schutz, „es sind zwar jede Menge Samples auf dem Album gelandet, die ich zu Hause auf meinem Keyboard eingespielt habe, aber das heißt noch lange nicht, daß alle Songs von mir stammen. Nein, diese Platte ist eine Gemeinschaftsproduktion. „
Womit Horovitz fraglos recht hat. Denn neben seinen beiden Kumpels waren auch noch etliche andere Musiker am Zustandekommen von „Hello Nasty“ beteiligt – Miho Hatori zum Beispiel von Cibo Mato, Jill Cunniff von Luscious Jackson und auch Dub-Altmeister Lee ‚Scratchy‘ Perry. Perry kommt auf „Dr. Lee, PhD“ zum Einsatz, einem bizarren Jungle-Dub-Track mit reichlich Kifferdampf unterm Dach. „Das lustige an der Zusammenarbeit mit Lee war, daß wir ihn ausgerechnet an Halloween vom Hotel abholten, erzählt Adam Yauch. „Er war völlig verrückt gekleidet, fiel aber zwischen all den kostümierten Leuten gar nicht weiter auf. Im Studio hat er seinen Text auf ein riesiges Poster geschrieben und in nur zwei Anläufen eingesungen.“ Da fallt es nicht weiter ins Gewicht, daß Perry die Beastie Boys versehentlich in Beastie Brothers umtaufte. „So viel steht fest“, meint Adam Yauch denn auch in Lissabon, „ein Mann wie Lee darf uns nennen, wie er möchte.“
AN DIESER STELLE DES GESPRÄCHS REICHT ES den Beasties schon wieder mit der Ernsthaftgkeit. Was den Boys dabei entgegenkommt, ist die Tatsache, daß in letzter Zeit einiges an Unsinn über sie berichtet wurde. So schrieb beispielsweise ein britisches Blatt, das Trio habe sich bei den Aufnahmen zu „Hello Nasty“ der Dienste von Rap-Weichspüler Puff Daddy bedient. MTV habe diese Ente sogar noch getoppt, indem der Clipkanal genau jenen Bödsinn berichtet habe, den Mike D dem Sender aufgetischt habe, glucksen die Beasties ob des geglückten Gags zufrieden vor sich hin. Herr D hatte den Leuten vom Fernsehen nämlich verzapft, daß die Beastie Boys nicht nur mit Puff Daddy, sondern zudem auch noch mit Garth Brooks an ihrer neuen Platte arbeiten würden. Obwohl, meint Mike, wenn man’s denn recht überlege – so abwegig sei die ganze Sache ja nun auch wieder nicht gewesen: „Wir sind ein Teil der Hitpyramide. Das ist ein Club, der untereinander Songs austauscht. Wir geben Garth Brooks einen Track, der schreibt eine Nummer für Mariah Carey, und die schickt ihrerseits einen Song an Puff Daddy.“ Und weil’s so schön ist, setzt Mike D sogar noch eins obendrauf: „Um ganz ehrlich zu sein – wir haben noch ein komplettes Album mit Garth Brooks-Songs in der Hinterhand.“
Wie die Boys, so ihre Songs. Mit einem ernsten Thema beschäftigt sich von den 22 Tracks auf „Hello Nasty“ nur eine einzige Nummer. „Putting Shame In Your Game“ befaßt sich mit dem imperialistischen Gebaren multinationaler Großkonzerne, die sich in Ländern der Dritten Welt aufführen wie Kolonialherren. Überhaupt, so hat es den Anschein, wandeln die Beastie Boys eher wachen Auges durch die Welt. „Kürzlich war ich in Ägypten“, berichtet Adam Yauch, „und auch dort gibt es Läden wie McDonalds oder Kentucky Fried Chicken. Aber anders als bei uns machen sich die Leute da unten richtig fein, wenn sie in einem dieser Läden essen gehen. Teuer ist es außerdem, jedenfalls wenn man die dortige Situation mit der unseren vergleicht. Die Leute gehen trotzdem hin, weil man ihnen ständig erzählt, ihr Leben wäre ohne diese Konsumgüter nichts wert. Das Schlimme ist, daß sie die Waren nicht selbst herstellen, sondern alles importieren. So sind sie nur die Konsumenten. Am Profit aber sind sie nicht beteiligt.“
DASS DERLEI STATEMENTS OB IHRER EIGENEN Rolle in der Gesellschaft zwangsläufig ein wenig seltsam anmuten müssen, scheint die Beastie Boys nicht weiter zu stören. Immerhin: Die drei Amerikaner machen nicht nur mit ihren Platten gute Geschäfte, sondern zudem auch noch mit einer eigenen Fashion-Linie (X-Large), eigenen Laden und einem eigenen Plattenlabel (Grand Royal). Bei so viel offen zur Schau gestellter Geschäftstüchtigkeit ist Kritik an anderen (Geschäftemachern) nicht ohne pikanten Beigeschmack. Doch der hält, zumindest auf der Zunge des Beastie Boys, nicht lange an. Immerhin setzt man sich für die Menschenrechte im allgemeinen und für die der Tibeter im besonderen ein und weiß sich damit auf der Seite der Gutmenschen. Trotzdem, was geschieht mit dem eigenen Profit, und wie muß man sich das Dasein an Angestellter der Firma Beastie Boys vorstellen? „Wir bemühen uns, unsere Angestellten so fair wie möglich zu behandeln“, ist Mike D sich sicher, „das basiert auf einer allgemeinen Verantwortung für alles, was wir tun. Den Profit auf Kosten seiner Angestellten zu steigern, ist definitiv der falsche Weg.“
Für ihre kommende Tournee, die Ende Juni mit Auftritten bei europäischen Festivals beginnt und dann über Amerika, lapan und Australien einmal rund um den Globus führt, haben die Beastie Boys sich etwas Besonderes einfallen lassen. Nun mag man dabei vielleicht an eine spezielle Bühne oder derlei Dinge denken. Doch weit gefehlt: „Wir haben eigens jemanden engagiert, der sich mit den jeweiligen Auftrittsorten befaßt, an denen wir unsere Show präsentieren werden. Diese Person soll herausfinden, welche Querverbindungen zwischen den einzelnen Hallen, den Sponsoren und den Pächtern bestehen.“ Man kann ja nie wissen. Lind falsche Freunde sollen sich auf gar keinen Fall mit dem Namen der geschäftstüchtigen, aber aufrechten Drei schmücken können.
Klar, daß bei der ausgedehnten Konzertreise auch die Songs der neuen Platte vorgestellt werden – beispielsweise die Single „Intergalactic“, ein Track, der sich offenkundig als P-Funk-Persiflage versteht. Die Vocoder-Orgie läßt zwar jeglichen Chart-Appeal vermissen, wurde dafür aber mit einem großartigen Video-Clip meisterlich visualisiert. „Wir hatten einfach keine Lust, den sichersten Song des Albums auszukoppeln“, erläutert Horovitz die fragwürdige Single-Entscheidung und ergänzt: „‚Intergalactic‘ ist einfach eines unserer Lieblingsstücke auf der neuen Platte. Aber wenn’s nicht ankommt – vielleicht sollten wir ja mal Meinungsumfragen durchführen, um festzustellen, welcher Song den Leuten draußen am besten gefällt. Ich glaube, das nennt man Marktanalyse.“ Was an „Hello Nasty“ besonders auffällt: Weder wartet das Album mit den obligatorischen Mönchs-Chorälen auf, noch mit den üblichen Hardcore-Elementen. „Hardcore-Stücke haben wir schon auf Aglio E Olio‘ eingesetzt. Daher haben wir bei den Aufnahmen zum neuen Album auf sämtliche Gitarren verzichtet – wir haben die Dinger einfach aus dem Rock verbannt“, feixt Horovitz.
AUF DIE GEGENWÄRTIGE BEGEISTERUNG FÜR den Buddhismus angesprochen, vergeht Horovitz und den Seinen allerdings das Lachen. Vor allem Adam Yauch, selbst bekennender Anhänger Buddhas, wirkt bei diesem Thema äußerst ernst. Wohl auch, weil die derzeitige Trendreligion mit Hilfe voller Kinosäle völlig kommerzialisiert wird. Eine Entwicklung, die Yauch mit großer Skepsis verfolgt: „Jede Religion besitzt ihre Kernaussage – zum Beispiel die Aufforderung, einander zu lieben und zu respektieren. Wenn daraus ein Trend entsteht, ist das im Grunde großartig. Wenn ein solcher Trend aber bedeutet, daß viele nur für kurze Zeit Interesse an wichtigen Dingen bekunden, ist das ein wenig wünschenswerter Effekt.“ Dennoch, die dritte Auflage des Tibetan Freedom Concert in Washington war so schnell ausverkauft wie noch nie. Diesen Umstand führt Mike D allerdings weniger auf das Interesse an Tibet oder die dortige Religion zurück, sondern viel mehr auf den sagenumwobenen Headliner Kraftwerk: „Stell dir vor, die haben uns angerufen und gefragt, ob sie auftreten dürften. Wir waren völlig platt und fühlten uns wirklich sehr geschmeichelt.“ Doch Kraftwerk hin, Tibet-Festival her: Inzwischen räumt Yauch ein, als Sprachrohr der ausführenden Milarepa-Organisation manchmal auch gewisse Bedenken zu haben.
„Als wir aufwuchsen“, meint der engagierte Beastie Boy, „gab es einfach viel zu viele Rockstars, die sich vor laufender Kamera für bestimmte Dinge stark machten. Das Problem war bloß, daß sie manchmal nicht die geringste Ahnung hatten, wovon sie da überhaupt sprachen.“ Er selbst, so Yauch, wisse hingegen ziemlich gut um den Hintergrund seiner Botschaften für die breite Masse. Ein seltsamer Beigeschmack bleibe trotzdem: „Solche Aussagen klingen immer irgendwie anmaßend. Wer weiß, vielleicht wirke ich ja in der Öffentlichkeit genauso seltsam wie all die anderen Saubermänner.“ Und wenn schon – der Popularität seiner Boys dürften derlei Begleiterscheinungen des Ruhms keinen nennenswerten Abbruch tun. Viel schlimmer wären da schon schlechte Platten. Bloß, die sind von Seiten der Beastie Boys nicht wirklich zu befürchten. Für Überraschungen jedoch sie allemal gut. So erhoffte sich ihre Plattenfirma mit Blick auf das neue Album einen weiteren Bestseller im Stil von „111 Communication“. Statt dessen geben sich die Beasties auf „Hello Nasty“ betont experimentell. Oder ob der Albumtitel am Ende gar eine Botschaft an all jene ist, die von einer Band immerzu das gleiche erwarten? Ins Deutsche übersetzt, bedeutet „nasty“ unter anderem „garstig“.