Brett Anderson


Seine Band Suede war die Initialzündung für Britpop, auch wenn sie mit Blur, Oasis und Pulp nicht viel anfangen konnte. Anderson sieht sein musikalisches Erbe eher in Bands wie Klaxons und Interpol. Zu seinen Idolen gehören auch nicht die Beatles und die Kinks, sondern die Sex Pistols. Denn in ihrem Inneren sei Suede nichts anderes als eine Punkband.

Hiermit endete meine Kindheit …

Sex Pistols

Never Mind The Bollocks, Here’s The Sex Pistols

Ich war gerade mal zwölf Jahre alt, als ich mir diese Platte kaufte. Ich wohnte damals noch auf dem Land, im Südosten Englands. Ich fuhr nach London, entdeckte diese Platte, und sie gab mir eine völlig neue Perspektive, Zuversicht und Energie. Zur selben Zeit habe ich allerdings auch viel klassische Musik, Franz Liszt und Hector Berlioz, gehört. Mein Vater hatte mir das nahegebracht. Meine Familie war sehr arm, aber Musik und Kunst wurden bei uns immer großgeschrieben. Während mein Vater Taxi fuhr, um etwas Geld nach Hause zu bringen, malte meine Mutter den ganzen Tag.

Dieses Album hat mich vor dem Wahnsinn bewahrt …

Brian Eno

Ambient 1: Music For Airports

Diese Platte ist das Beste, was dir passieren kann, wenn du’s ruhig brauchst. Ideale Musik zum Entspannen, besonders, wenn du in den Neunzigern von einer dieser selbstzerstörerischen Tourneen mit Suede nach Hause kommst.

Diese Platte hat meinen Horizont erweitert …

Crass

stations of the crass

So gern ich die Sex Pistols mochte, mit vielen der anderen Punkbands konnte ich nichts anfangen. Erst mit Post-Punk wurde mein Interesse für diese Art Musik wieder geweckt. Crass sprachen ganz andere Themen als all die anderen an, wie Tier- und Umweltschutz. In unserem Herzen ist Suede eine Punkband; wir mögen anders klingen, aber unsere Power und unser Ansatz haben viel mehr mit dem von Punk als dem von Britpop zu tun. Was ich von all den aktuellen Britpop-Reunions halte? Nun, Rechnungen müssen eben immer bezahlt werden, oder? Da scheinen ein paar Leute einfach ein kleines Finanzproblem zu haben. Wir waren damals sicherlich die Band, die diese Bewegung ermöglicht hat, haben uns aber nie als Teil von ihr gesehen.

Dieses Album hat mir beigebracht, was ein Album ist …

Kate Bush

Hounds Of Love

Eines der letzten Alben, die ihr Potenzial als Kunstform voll ausschöpfen. Die erste Seite ist voller Pophits, die zweite besteht aus einem Liederzyklus namens „The Ninth Wave“. Der hat nichts mehr mit Pop zu tun. Das ist Kunst, genial, komplex und erschreckend aufwühlend. „Konzeptalbum“ klingt immer so abstoßend, aber ich glaube, dass es sich bei Hounds Of Love um ein Konzeptalbum handelt und ich habe kein Problem damit. Ein Meisterwerk.

Mein Soundtrack für die Nullerjahre …

Interpol

Turn On The Bright Lights

Nun mal zu etwas Neuerem, wobei – Gott! – die Platte ist ja auch schon bald zehn Jahre alt. Der Song „NYC“ gehört zum Besten, was ich seither gehört habe. Ruhig, fast mantrahaft und doch mächtig, riesengroß. Ihr Sänger Paul Banks hat neulich in einem Interview gesagt, dass ihn unser „Animal Nitrate“ sehr geprägt hat, als er ein Teenager war.

Als ich meine heutige Frau kennenlernte …

Midlake

The Trials Of Van Occupanther

Ich habe vor Kurzem meine Freundin Jodie, der ich schon mein erstes Soloalbum widmete, geheiratet. Als wir uns kennenlernten, hörten wir immer wieder Midlake. Eine wunderbare Platte für frisch Verliebte. Zärtlich und doch aufregend. Dank dieses Albums werde ich nie vergessen, wie es sich angefühlt hat, Jodie kennenzulernen.

Diese Musik trägt den Spirit von Suede weiter …

Klaxons

Myths Of The Near Future

Ich habe mich vor einigen Jahren mit Jamie Reynolds, dem Sänger der Klaxons, unterhalten. Er sagte mir, wie groß Suedes Einfluss auf seine Musik sei. Ich könnte nicht mit Bestimmtheit sagen: „Ah, das wäre ohne meine Vorarbeit nicht möglich gewesen.“ Aber Jamie hat schon recht: Der ganze Spirit des Klaxons-Debüts kommt unserem nahe. Kein Wunder, dass mir die Platte gefällt. Jamie erzählte mir übrigens auch, dass er immer gute Chancen bei Frauen hat, wenn er in der Indiedisco zu Suede tanzt. Klar, das schmeichelt einem schon.

Randnotizen:

1. Damon Albarn geht davon aus, dass sich die meisten Texte auf Suedes Debütalbum um ihn drehen. Andersons Freundin und Suede-Mitbegründerin Justin Frischmann war kurz vor den Aufnahmen zu Albarn übergelaufen.

2. Anderson und Frischmann haben das Kriegsbeil längst be-graben, was sie unter anderem bei einem gemeinsamen Auftritt beim Reading-Festival 1997 bewiesen.

3. Suedes Debüt erzielte 1993 die höchste UK-Erstwochenverkaufszahl eines Einstandswerks seit Frankie Goes To Hollywoods Welcome To The Pleasuredome (1984).

4. Die Veröffentlichung von Suede markierte 1993 den Gipfel eines Hypes, den die britische Tageszeitung „The Independent“ als „größer als die um The Smiths und die Sex Pistols“ beschrieb.

5. Über „Positivity“, die Leadsingle des letzten, zu Recht gefloppten Suede-Albums A New Morning, sagt Anderson: „Wenn je ein einziger Song für den Untergang einer Band verantwortlich war, dann ist es dieser.“

6. Andersons flamboyantes Auftreten – vor allem in den frühen Jahren Suedes – lässt anderes vermuten, aber nach eigener Aussage waren alle Bettpartner Andersons bislang weiblich.

Der nächste Musikexpress erscheint am 10. Februar 2011.