Brian Wilson
Frankfurt, Alte Oper Smile! So ganz sorglos geschieht diese Erleuchtung ober nicht. Deralte, kranke Junge aus Kalifornien wirkt nicht zerbrechlich, er wirkt porös. Als könnten jeden Moment ganze Stücke aus seinem fahlen, grauen Gesicht platzen. Das Antlitz der lebenden, aber nur leidlich lebendigen Legende erscheint wie in Schiefer gehauen. Ein traurig bröselnder Fels, der im ersten Konzertdrittel zumindest im Halbkreis seiner Band etwas Geborgenheit findet. Wie eingefroren starrt Brian Wilson später dann aus kleinen Punkten nur immer auf die beiden Teleprompter, die ihm an sein gewaltiges Keyboard geschraubt worden sind. Die Tasten des Instruments indes drückt er höchst selten. Fast ertappt man sich dabei, nach einer Verkabelung von Wilson selbst zu suchen. Ein Pulstester wenigstens, ein Mann im Ohr. So schlimm steht es aber wohl doch nicht um das Genie, dessen 1967 im Wahnsinn verschüttgegangenes Werk smile im Hauptteil des Abends aufgeführt werden soll. Und doch interpretiert man unweigerlich jedes angestrengte Fingerschnipsen, jeden sicher getroffenen, wenn auch wenig festen Gesangston als Zeichen einer nicht mehr vollständig zu erwartenden Genesung. Wer diesen schwerwiegenden Umstand aus seiner Wahrnehmung zu streichen weiß, darf sich glücklich weit vor ignorant schätzen. Auf die Himmelstür, hinein mit allen Sinnen! Der kleine, dralle Mann jenseits der 50 in Reihe acht, Parkett, ein Studienrat natürlich oder selbständiger Bauplaner vielleicht, mit grauem Vollbart und ebensolchem Haarkranz von Ohr zu Ohr, befindet sich schon im Paradies und schmettert jede Zeile mit. Nur später dann im Finale, die große Nonstop-Hitparade von „Barbara Ann“ bis „Fun Fun Fun“, die nicht. Das Oldie-Medley ist ihm zu platt. Gleich hinter ihm wird ungeachtet aller schaffensperiodischen Feinheiten vom endlosen Surfsommer bis zur psychedelischen Teenage-Symphonie für Gott nur immer mit aller Kraft „Brian! Brian!“ gebrüllt. Ganz jung sind diese Enthusiasten aber auch nicht mehr. Und doch für den Moment verjüngt um Jahre. Musikalisch schenkt dieses Konzert schließlich allen Menschen Erleuchtung, besitzen die Kompositionen, die zum großen Teil aus der dereinst egomanisch geführten Feder Wilsons stammen, doch sogar spirituelle Qualitäten. Ja ja und blabla. Wir haben es schon so oft nachgelesen, überprüft, abgewogen – und doch ereilt einen live in concert augenbefeuchtend umso gewaltiger die Erkenntnis: Kaum einer hat jemals in der Popmusik jugendliche Euphorie und sakrale Schönheit in solcher Pracht zu verquicken gewusst. Auch wenn Wilsons Backingband zuweilen verstörend nahe am Original singend, betörend und im munteren Tausch der Instrumente kammersymphonisch Kleinod für Kleinod zelebrierend ein einschüchterndes Maß an Professionalität zur Schau trägt: Was sie dennoch in großer Lust und zuweilen, der ursprünglichen Absicht Wilsons angemessen. Verspieltheit und Albernheit rund um den zu stützenden Schöpfer in den kleinen Meisterwerken zu erwecken weiß, wird den Originalen durchaus gerecht. Bisweilen sogar mehr als das. Dann, wenn der große Krach, den die Kapelle überraschend schlägt, die Gewaltigkeit der Ursprungsarrangements bewusst macht. Wenn die ungeheure Komplexität der Kompositionen wortwörtlich vor Augen geführt wird. Vor allem aber, wenn das große Geheimnis smile endlich vollendet von „Our Prayer“ bis zum unerreichten Masterpiece „Good Vibrations in seiner verstiegenen Wunderlich- und Wunderbarkeit bis an den Rand des an Schönheit Auftürmbaren preisgegeben wird. Es ist nicht weniger als ein Fest. Doch war der Zeremonienmeister auch wirklich anwesend? Diese Frage lässt einen nicht mehr los.