Bryan Ferry: Bryan Ferrari – Mit Vollgas in die bayerische Hitparade
In Hochstimmung verließ Bryan Ferry am Tag nach seinem dritten Deutschlandkonzert sein Hamburger Hotel; zuversichtlich, daß der Popularitätspegel in der Bundesrepublik endlich auch einmal außerhalb der Konzertsäle ausschlägt. Drei erfolgreiche Auftritte im Kreise seiner fähigen Tourneeband, ein vielversprechendes Solo-Album und, wie er sagt, die Nummer 3-Position seiner Single „This Is Tomorrow“ in Bayern gaben ihm sichtlichen Auftrieb. Der Unnahbare mit dem Schickeria-Appeal war unvermutet gesprächig. Da sich in der Entwicklung seiner Solo-Karriere zur Zeit ein deutlicher Höhepunkt abzeichnet und Roxy Music vermutlich zu den Akten gelegt ist, engagiert er sich nunmehr höchstpersönlich. Denn die Erfahrung mit Roxy hat ihm mehr als einmal bewiesen: Von selbst läuft nichts.
Die Frustration war zu Roxy-Zeiten nach jeder Deutschland-Tour groß. Die Konzerte liefen jedesmal großartig und hinterher passierte nichts. „Nie fanden wir eine LP von uns in den deutschen Charts“, meinte Bryan. „Ich bin da ganz ehrlich, wir waren nahe dran, den deutschen Markt aufzugeben. Darum haben wir uns auch auf Gegenden konzentriert, von denen wir wußten, daß man uns mag. In Holland oder Skandinavien zum Beispiel hatten wir riesigen Erfolg!“
Diesmal will er sich die Chance, deutsche Hitlisten zu erobern, nicht durch die Lappen gehen lassen. Der Zeitpunkt ist günstig. Das neue Album „In My Mind“, erstes Produkt bei der neuen Schallplattenfirma, zeigt ihn in Hochform. Bryan Ferry hat sich damit als Songschreiber freigeschwommen. Gleichzeitig setzt die LP aber auch einen deutlichen Schlußstrich unter das Kapitel Roxy Music.
„Ich habe Koxy Music niemals als feste Band betrachtet, die über Ewigkeiten existiert,“ erklärt Ferry. Er starrt zwischendurch gewohnheitsmäßig auf den Bildschirm des Farbfernsehers, der unentwegt ohne Ton läuft. „So etwas bedeutet doch oft den Tod der Kreativität. Vier oder fünf Jahre, meine ich, kann eine Band kreativ arbeiten. Natürlich gibt es Formationen, die schon 14 Jahre lang zusammenspielen, doch die haben auch schon völlig das Interesse untereinander verloren. Es ist natürlich sehr schwer, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Man muß sich immer überlegen, ob die nächste LP noch besser werden kann, ob noch eine Steigerung möglich ist. Bei meinen Solo-Produktionen habe ich den Eindruck. Aber als wir „Siren“, das letzte Roxy-Album, produziert hatten, war ich der Ansicht, daß das der Höhepunkt des Gruppenprojektes sei.
Mag sein, daß es irgendwann noch einmal eine Roxy-LP gibt. Aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, wann …möglicherweise aber auch nicht.“
Ferry & Fnends live
Das selbstgeschneiderte Gruppen-Kostüm ist Bryan zu eng geworden, auch den Smoking hat er abgelegt. Im Moment ist er „back to Rock’n’Roll“. Für die Konzerte in England hatte er einen Anzug Marke 1960 ausgekramt. Bei seinem Deutschland-Besuch wackelte er sexy in knallenger Lederhose über die Bühne. Verglichen mit der Atmosphäre in der malerischen Londoner Royal Albert Hall (wo Bryan natürlich auch den Vorteil eines Heimspieles hatte) verliefen die nachfolgenden Auftritte hierzulande um einige Grade kühler, was nicht unbedingt den Musikern allein anzulasten ist. Die Stimmung auf der Bühne hängt ja zum großen Teil von der Wechselwirkung zwischen Gruppe und Publikum ab. Da die Deutschen bekanntlich nicht so leicht aus dem Häuschen zu locken sind, kamen Ferry & Friends für hiesige Verhältnisse jedoch fantastisch an.
Ferry’s Erfolg ist ein Phämomen, erklärbar allenfalls durch seine aufreizend dekadente Ausstrahlung. Er pflegt eine höchst unorthodoxe Gesangstechnik, die manch einen veranlaßt, ihm jegliches Talent als Sänger abzusprechen. Seine Show, oder besser: seine Bewegungen drücken manchmal verkrampften Dilettantismus aus, möchte man meinen. Sein Gesicht verzerrt sich schweißüberströmt. Ferry’s Auftritt ist Schwerstarbeit, erschafft sich durch innere Anspannung. Und all das, was so furchtbar ungekonnt wirkt, ist letztenendes nichts anderes als das Geheimnis seines Erfolges.
Schon möglich, daß er ohne seine derzeitige Band aufgeschmissen wäre. Aber ohne ihn und seine Ideen würde der fähige Haufen, der in erster Linie aus Session-Leuten besteht, als Gruppe niemals diese Art der Publicity genießen. Bryan braucht für die Weiterentwicklung seiner Musik flexible Leute. Die Band, die auch komplett an seinem neuen Album „In My Mind“ mitgearbeitet hat, entstand nicht von ungefähr: Alle Musiker spielen schon seit Jahren für Ferry im Studio. Gitarrist Phil Manzanera und Drummer Paul Thompson sind alte Roxy-Kollegen. Bassist John Wetton gehörte vor seinem Vertrag mit Uriah Heep ebenfalls dazu. Chris Spedding spielte Gitarre auf Ferry’s Solo-Album, ebenso sind die Bläser Mel Collins, Chris Mercer und Martin Drover auf ihn eingestimmt. Ann Odeü sitzt an den Keyboards, und die Singers Dyan Birch, Frankie Collins und Paddie McHugh waren früher mal bei Kokomo. König der Band ist Chris Spedding. Mit geleckter Rockerfrisur und ganz in Leder steht er unbeweglich und breitbeinig auf seinem Platz, rührt sich kaum vom Fleck und schießt ganz nebenbei seine Kunststücke ab. Phil Manzanera hielt sich neben Spedding zurück. Er hatte sich erst in letzter Minute der Tourband angeschlossen und beschränkte sich auch weitergehend auf das Rhythmusspiel.
Roxy-Waisen
„Die Band stand eigentlich erst zwei Wochen, bevor wir in der Albert Hall auftraten,“ erklärte Ferry. „Wir haben nie richtig zusammen geübt. Auch im Studio waren nie alle zusammen, da ich erst die Rhythmus-Tracks aufgenommen habe, dann Gitarren, dann Gesang und so weiter. Wir hätten besser drei Wochen vorher angefangen zu arbeiten, aber es lief von Abend zu Abend besser.“ Auf der Tour, so sagte er, habe habe es nicht einen schlechten Abend gegeben.
Nach den Europa-Konzerten geht es weiter nach Japan. Ausstralien und in die Staaten. „Die Amerika-Tournee ist in diesem Jahr das Entscheidende für mich“, meint Bryan. „Vielleicht mache ich einige Aufnahmen dort; in jedem Fall will ich einige Monate drübenbleiben.“ Aber was ist mit der Band? Wird sie nach der Tour wieder auseinandergehen? „Ich weiß es nicht,“ Bryan ist sich noch nicht sicher. „Ich fände es sehr gut, wenn diese Formation über eine längere Zeit zusammenbleiben würde, da sie aus sehr ausgeprägten Persönlichkeiten besteht. Ich könnte mir vorstellen, daß wir gemeinsam noch einige fantastische Dinge bringen würden. Trotzdem: Die Idee einer permanenten Gruppe habe ich schon weitgehend hinter mir gelassen. Wenn man ein Solo-Album produziert, verlangt oft jeder Song eine spezielle Art der Bearbeitung. Für meine neue LP habe ich vier oder fünf Gitarristen beschäftigt. Das Positive an der Arbeit mit Sessionleuten ist eben die totale Freiheit in der Auswahl.“ Die jüngste LP, „In My Mind“, ist für Bryan persönlich ein Höhepunkt. „Es ist das erste Mal, daß ich eine Schallplatte mit ausschließlich eigenem Material aufgenommen habe. Früher, als ich noch zwei Karrieren zu steuern hatte, war es weitaus schwerer für mich. Es hat mir Spaß gemacht, aber es kostete ungeheuer viel Energie.“
Die Form, die Solo-Ferry zur Zeit erreicht hat, könnte Roxy in Vergessenheit geraten lassen, da er viele der alten Fans auf seiner Seite hat. Phil und Paul arbeiten sowieso bei ihm, Eddie Jobson erfüllte sich einen Traum und ging zu Frank Zappa. Und auch Andy Mackay, der in einem Interview einst Gift gegen den Gruppenboß versprühte, ist ganz gut versorgt. Bryan hat kein schlechtes Gewissen und versucht auch, die Sticheleien der englischen Pop-Presse gelassen zu übergehen. Die hatte ihn schon zu Roxy-Zeiten im Visier, nicht zuletzt wegen seines befrackten Playboy-Images: Bryan, der Gruppen-Ausbeuter. „Ich kaufe keine Musik-Zeitungen, aber wenn ich im Studio bin, kommt ständig irgendjemand mit einem Blatt an. Dann lese ich es… krrr!!!… ärgere mich ein paar Stunden, aber dann ist es auch wieder vergessen.“ Ähnlich wie Steve Harley, der die englische Schreiberzunft als „verhinderte Rockmusiker“ beschreibt, analysiert auch Bryan. Und: „Es gibt soviel Snobismus in diesem Musik-Business. Früher, als wir noch unsere ersten Schallplatten verkauften, als unser Publikum noch klein und fast subkulturell war, sagte jeder, wie fantastisch wir seien. Doch sobald unsere Musik populär wurde…“ Das Gros der Rock-Kritiker fühle sich als Entdecker, meint Bryan. Und sobald eine „ihrer“ Gruppen aus dem Geheimtip-Stadium heraus sei, Allgemeingut werde und möglicherweise auch noch Geld verdiene, sei es mit der Sympatie aus.
So ist Ferry auch darauf bedacht, beim Interview lieber etwas tiefzustapeln. „Was sich gut anhört, sieht gedruckt vielleicht schon negativ aus,“ erklärt er.
Wahre Worte
„Ich will ein ernstzunehmender Musiker werden,“ hatte er vorher im Laufe des Gesprächs gesagt und gab später zögernd lächelnd zu, daß er sich mittlerweile doch schon als solchen betrachte. „Für mich ist immer der kommerzielle Aspekt wichtig gewesen…ein großes Publikum zu haben und (grinst) viel Geld zu verdienen. Hoffentlich!“ Sein Problem: „Es gibt Leute, die alles akzeptieren, was ich mache; die bisher jeden Wechsel mitgemacht haben. Aber es gibt noch viele, die meine Musik nicht gut finden.“ Voller Erwartung blickt er nun auf die deutschen Charts. Nach dem Silberstreif am bayrischen Horizont, wünscht er sich eine Nummer 1 in der deutschen LP-Hitparade.