Bühnen des Boykotts: Warum Musiker den Nahostkonflikt nicht mit ein paar abgesagten Konzerten lösen können
Das anti-israelische Boykott-Bündnis BDS agitiert immer häufiger auch in Deutschland und wirft Fragen auf: Ist der Boykott antisemitisch? Woher kommt die Bewegung? Und was hat sie mit dem Anti-Apartheids-Protest vergangener Jahrzehnte zu tun? Eine Einordnung.
Quizfrage: Was haben Richard Ashcroft, Kate Tempest, Adrian Sherwood, Matthew Herbert, Chuck D, Thurston Moore von Sonic Youth und Young Fathers gemeinsam? Nein, keinen Produzenten, keine Plattenfirma, kein gemeinsames Idol und keine gern genutzten Samples – sondern ihr Bekenntnis zur Israel-Boykott-Kampagne BDS, die seit wenigen Wochen auch in Deutschland für größere Aufregung sorgt. Spätestens seit Kate Tempest ihren Auftritt in Berlin wegen anhaltender Drohungen per Mail und Social Media wegen ihrer Unterstützung der anti-israelischen BDS-Kampagne absagte, aber auch schon im Sommer, als die Young Fathers aus Schottland ihre Teilnahme am Berliner „Pop Kultur“-Festival unisono mit einer Hand voll arabischer Bands cancelten, ist die Diskussion über die Hintergründe, Ziele und Verbündeten der anti-israelischen BDS-Kampagne auch in Deutschland voll aufgeflammt.
Das ist gleich aus mehreren Gründen überraschend. Denn erstens war der ursprüngliche Anlass der Diskussion allen Kriterien nach nichtig: Die israelische Botschaft hatte dem „Pop-Kultur“-Festival im Sommer einen Reisekostenzuschuss über 500 Euro gestattet, um den Auftritt der israelischen Sängerin Riff Cohen zu ermöglichen. Für BDS-Aktivisten ein Akt aggressiven israelischen Kulturmarketings und der Versuch des jüdischen Staates, sein politisch ramponiertes Image mit den Mitteln des Pop reinzuwaschen. Ein arg überreizter, wenn nicht von Böswilligkeit getriebener Vorwurf. Zweitens aber war die neuerliche Diskussion auch deshalb überraschend, weil die „Boycott, Divestment, Sanctions“-Kampagne – zu Deutsch grob: boykottieren, Investitionen stoppen, sanktionieren – im Grunde ein alter Hut ist, schon im Juli 2005 entstand, als Reaktion auf das Ende der über 55 Jahre andauernden Boykottpolitik der Arabischen Liga gegenüber Israel von 1945 bis 2001. Und drittens hatte BDS mit seiner Forderung nach wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Boykott in Deutschland nie sonderlich viel Unterstützung erfahren und war stets eine Versammlung der üblichen Verdächtigen in Sachen Palästina-Aktivismus geblieben. Viel mehr als ein paar vertriebene Palästinenser, Israel-Feinde, mal christlich, mal links-, mal rechtsradikal verbrämte Palästina-Freunde, Antisemiten und Antizionisten hatte die Kampagne unter ihrem Banner nie versammeln können.Woher also die plötzliche Aufregung? Die Antwort ist bei genauerer Betrachtung verblüffend einfach: Die Aufregung kommt nämlich aus Großbritannien. Viel stärker noch als in den USA oder Kanada hat die BDS-Bewegung dort in den vergangenen Jahren tatsächlich Fuß fassen und ein wahrnehmbares Eigenleben entwickeln können – zum Beispiel in Form der Musikerinitiative „Artists for Palestine UK“, der treibenden Kraft hinter vielen abgesagten Auftritten in Tel Aviv und auch hinter dem Boykott des „Pop Kultur“-Festivals.
Das liegt vor allem daran, dass der durchaus begründete Antisemitismus-Verdacht gegenüber manchen BDS-Aktivisten in Großbritannien gedanklich nicht sofort nach Auschwitz führt. Aber darüber hinaus gibt es dort auch so etwas wie einen Präzedenzfall für diese Art von Aktivismus: die jahrzehntelange britische Kampagne gegen das Apartheidregime in Südafrika.Das 1959 auf Initiative von südafrikanischen Exilanten gegründete Anti-Apartheid-Movement erwirkte, dass Südafrika 1961 aus dem Commonwealth und von 1964 an von den Olympischen Spielen ausgeschlossen wurde und zunehmend von Großbritannien, seinem wichtigsten Handelspartner, abgeschnitten wurde. Auch wenn der Boykott nie britische Regierungspolitik wurde: Durch die Kampagne konnte das südafrikanische Regime spürbar isoliert werden und sie trug damit von außen zu dessen Ende bei. „Wir bitten Sie, die Bürger Großbritanniens, nicht um einen Gefallen“, sagte der damalige tansanische Präsident Julius Nyerere. „Wir bitten Sie nur, der Apartheid ihre Unterstützung zu entziehen, indem sie keine südafrikanischen Produkte kaufen.“ Fast wortgleich wirbt heute Brian Eno auf der Kampagnenseite von BDS für den Boykott von Israel. Doch der Vergleich hinkt.
Warum die Forderungen und Unterstützer der BDS-Bewegung problematisch sind
Während Kritik an der israelischen Politik und speziell der israelischen Besetzung und Besiedlung des Westjordanlandes durchaus legitim ist, sind die Forderungen und Unterstützer der BDS-Bewegung problematisch. Während im Falle Südafrikas nämlich die Politik der Apartheid Ziel der Kampagne war, aber nicht dass Weiße in Südafrika leben können und dürfen, steht im Falle von BDS die Existenz Israels überhaupt zur Diskussion. Die von BDS aufgestellten Forderungen – ein vollständiges Ende der Besetzung allen arabischen Landes und ein Rückkehrrecht für alle Palästinenser – klingen nur oberflächlich gerecht. Was aber bedeutet: ein Ende allen besetzten arabischen Landes? Heißt das auch, dass Tel Aviv dem Erdboden gleichgemacht werden soll? Und wie der jüdische Staat Israel sämtlichen Enkeln und Nachfahren der vertriebenen Palästinenser ein Rückkehrrecht einräumen soll, ohne dass die Juden in Israel in kürzester Zeit zur Minderheit würden, auch das lässt BDS offen.
Die Young Fathers wollen sich zu ihrem BDS-Engagement dem Musikexpress gegenüber nicht äußern. Kate Tempest schrieb auf Facebook: „Ich möchte klarstellen, dass ich über die Handlungen der israelischen Regierung gegen die palästinensische Bevölkerung entsetzt bin. Ich bin eine Person jüdischer Abstammung und zutiefst von den Vorwürfen, ich würde eine antisemitische Organisation unterstützen, verletzt.“ Über die Frage, ob das BDS-Engagement per se antisemitisch, weil es an „Kauft nicht bei Juden“-Kampagnen erinnert, oder doch legitim ist, weil es eine friedliche Form des Protests ist, kann man sicherlich streiten. Dass sich aber im Koordinierungskomitee von BDS an führender Stelle die „Palestinian National and Islamic Forces“, eine Koalition teilweise offen antisemitischer, teilweise auch militanter palästinensischer Organisationen, wie etwa die von der EU als Terrororganisationen eingestufte Hamas und die Volksfront zur Befreiung Palästinas, PFLP, befinden, das ist Fakt.
Damit ist die Diskussion um die BDS-Kampagne mittlerweile ähnlich verfahren und aggressionsträchtig wie der Nahostkonflikt selbst, voller wechselseitiger Anschuldigungen, Verdächtigungen und Drohungen. Das liegt, leider, in der Natur der Sache. Denn so einfach sich Solidarität mit den Palästinensern im Westjordanland erklären lässt, so schwierig ist es, von außen tatsächlich an einer friedlichen Lösung des Nahostkonfliktes mitzuwirken, die nicht nur zu einem Ende der Besatzung des Westjordanlandes führt, sondern auch zu einem in Frieden existierenden, demokratischen und sicheren Staat Israel. Und das ist kein Anliegen, das ein paar Musiker mit abgesagten Konzerten lösen könnten.
Dieser Text ist zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 11/2017 erschienen.