Bush


Wer uns das Grunge-Klischee anhängt“, sagt der poetische Gutausseher kurz vor der Show, „hat bei unserer Musik nie hingehört!“ Bush-Sänger und -Schöngeist Gavin Rossdale dementiert jede Wahlverwandtschaft mit dem Seattle-Sound und Ähnlichkeiten mit Eddie Vedder. Schon der Konzert-Opener ‚Comedown‘ gibt ihm recht – die einzige Gemeinsamkeit zwischen Edkdie und Gavin ist offensichtlich der Friseur. Einen Song solcher Schwerkraft und moll-lastigen Schlichtheit kann man (nicht nur bei Pearl Jam) derzeit lange suchen. Danach ‚Body‘ – Lichtjahre jenseits von Mainstream und Mode. Der melancholische Song birst nahezu vor urgewaltiger, in Zeitlupe ausbrechender Energie. Die Bush-Musik oszilliert in einem Hochspannungsfeld zwischen beklemmender Traurigkeit (‚Little Things‘) und purem Punk (‚Monkey‘). No Grünge. Denn es ist astreiner Rock’n’Roll, den die Londoner Combo mit der Leidenschaft von Racheengeln inszeniert. Die vier Jungs sind noch nicht von Business, Kontostand und Zeitgeist gezähmt. Dave Parsons windet sich wie ein Schlangenmensch um das Gedärm seines grollenden Basses. Gitarrist Nigel Pulsford jagt Wah-Wah-Stürme und funkige Brachial-Riffs ins siedende Auditorium. Robin Goodridge, eben noch personifizierte Einfalt, wird zum Mr.-Hyde-Drummer. Die Menge rast. Beine und Arme mit schwitzenden Leibern dran werden in die Richtung der bedenklich niedrigen Decke geschleudert. Gavin Rossdale, unumstrittener Mittelpunkt der Band, besteigt die kniehohe Lautsprecherbox in Bühnenmitte wie ein antiker Olympionike einst das Siegerpodest. Das knallrote Hemd hat er abgelegt. Der Oberkörper glänzt im Schummerlicht. Mit starrem Blick tobt er durch die Miniversion des Überschall-Fetzens ‚X-Girlfriend‘. Im Alltag äußert Gav schon mal, er sei „König aller Zweifel“. Heute abend sind sein Charisma und der ebenso furiose wie entrückte Auftritt über alle Zweifel erhaben. Seine ‚Swim‘-Kadenzen wabern durch den Nebel. Das gefühlsgewaltige ‚Glycerine‘ verbreitet mehr Rockpower als die kompletten Top 20 des Monats. Als Zugabe ein Wechselbad zwischen letztem, grummelndem Wutausbruch (‚Everything Zen‘) und einem exzellenten Cover der R.E.M.-Hymne ‚The One I Love‘. Vom unerwarteten Erfolg des Debüt-Albums überrumpelt, von der Kritik im Gleichschritt hochgelobt, ist für Bush jeder Live-Gig eine neue Feuertaufe. Die vier Londoner sind Enthusiasten, denen Rock’n’Roll noch alles bedeutet. Wie nach einer mittelschweren Explosion befinden sie sich im Moment in freier Flugbahn. Vermutlich landen sie demnächst auf dem Gipfel.