Carl-Ludwig Reichert


„Warum schon wieder ein neues Lesebuch?“ lautet die Überschrift der Einführung, und ganz oben in der langen Liste von Antworten steht: „Weil es höchste Zeit ist, da die Lehrpläne geändert werden“.

Lehrpläne? Lesebuch? Schule? Pflichtlektüre für jeden „Heranwachsenden“, fächerübergreifendes Werk zwischen Musik, neuerer Geschichte und Sozialpsychologie, ein „Muß“ sozusagen?

Rowohlts „Rock-Session“-Reihe und deren überaus rühriges Herausgeber-Team haben mit diesem Buch einen weiteren Baustein zur kartographischen und bibliographischen Erfassung der Rockmusik bzw. Jugendkultur zusammengestellt. Und langsam wird einem Angst und Bange bei dieser Menge an wichtigen Büchern, die über das, was uns allen am Herzen liegt, zu lesen sind.

FANS, GANGS, BANDS enthält so an die fünfzig Beiträge unterschiedlicher Länge, von verschlüsselter Lyrik über ausgiebige Milieuschilderungen und Phantasien bis hin zum authentischen Stand der amerikanischen und/oder englischen Top Ten zu Anfang und Mitte des jeweiligen Jahrzehnts.

Richtig gehört! Das Buch behandelt in chronologischer Reihenfolge den ständigen Aufstieg (oder ständigen Abstieg, so sehen’s ja auch manche) der Rockmusik als Jugendkultur seit den frühen Fünfzigern: Jedes Jahrzehnt bekommt sein Kapitel, und als Bonbon gibt es zum Schluß noch etwas Science Fiction dazu.

Kernstück des Buches sind die persönlchen Ausführungen der Autoren zu ihrem eigenen Werdegang in den jeweilig gegebenen gesellschaftlichen Umständen, die meisten gängigen Rock-Mythen (Sex, Zoff, Revolution) werden hierbei einmal mehr offengelegt. Für meine Begriffe schwanken die Aufsätze in Qualität und Aussagekraft von großen Worten und/oder Projektionen auf der einen Seite zu (mir) sympathischer Nüchternheit auf der anderen, ins einzelne jedoch kann ich aufgrund persönlicher Befangenheit hier nicht gehen.

Bemerksens wert scheint mir auf jeden Fall, daß es kaum einen Text gibt, der nicht in irgendeiner Weise euphorisch über Musik berichtet: Ein jeder Autor scheint die Rockmusik für sich immens mit persönlichen Inhalten angereichert zu haben, anstatt sie als vergängliche, wandelbare Form zu begreifen. Deshalb spricht Reichert in seiner Einleitung auch vom „Großen Rock’n’Roll-Schwindel“ (wo auch „die Literaten reihenweise drauf reingefallen sind“, mit einigen Ausnahmen natürlich), den es zu durchschauen gilt, will man nicht über’s Ohr gehauen werden. Übersteigerte Ansprüche – Enttäuschung – Übersteigertes Mißtrauen: der R’n’R-Chronologie heute.

Versöhnlich stimmen dann aber die Beiträge von K. Kesey (hab‘ ich gelacht!), G. Brödl und W. Streletz, sowie die gute Idee, den Band mit der Gruppenparade des Ingolstädter Festivals aus ILLUMINATUS! (das Buch, das alles über die Rockmusik sagt) zu beschließen. „You’re nothing but a nothing“, heißt es dort.