„Casio, übernehmen Sie!“ – Maschinenmusik aus der Musikmaschine


Die Phantasie japanischer Ingenieure hat uns ein neues elektronisches Wunder beschert: den Casio VL-Tone. Mit ca. 160,-DM ist der Mini-Synthi nicht nur für betuchte Musiker konzipiert, sondern auch für Otto Normalverbraucher.

Mühsam mußten unsere affigen Ur-Ahnen noch selbst den Holzknüppel schwingen und auf Baumstämme trommeln, wenn sie Musik machen wollten. Wieviel einfacher hat’s doch der moderne Mensch mit all seinen intelligenten Maschinen. Ein Druck auf den Knopf und – Dein Wille geschehe. Je nachdem, welche Maschine angeschlossen ist, öffnen sich Türen, ertönt Musik, starten Atomraketen oder spült sich das Geschirr.

Japanische Elektro-Ingenieure haben nun auch eine besorgniserregende Nachrüstungslücke im Freizeitbereich schließen können, als sie eine einfache Rechenmaschine und ein einfaches Musikinstrument kreuzten.

Bekannt war das Problem seit langem: Es wollte einfach nicht gelingen, Nicht-Musikern teure Musikinstrumente zu verkaufen, die sie erst erlernen mußten wozu ohnehin die meisten gar nicht bereit waren. Gewiß gab es da einige bemerkenswerte Erfindungen für diesen speziellen Kundenkreis, denkt man an Drehorgel, Spieluhr oder elektrisches Klavier, doch sind all dies hoffnungslos veraltete Instrumente.

Auch im elektronischen Maschinenpark war die Lücke zwischen piepsenden Taschenrechnern und mikroprozessorgesteuerten Heimorgeln schon aufgefallen.

Seitdem aber die Firma Casio, hautpsächlich über die Büroabteilungen der Kaufhäuser, ihren Miniatur-Synthsizer-Computer mit programmierbarem Melodienspeicher unters Volk bringt, hat die Not ein Ende. Und nachdem auch normale Heimcomputer das Musizieren erlernt haben, erscheint die Fortsetzung der Hausmusik mit anderen Mitteln vollends gesichert.

Wir wollen hier nur über das kleine Casio „VL-Tone“ reden, weil dieses Gerät im Gegensatz zu Billig-Varianten solide und gut durchdacht konstruiert ist. Es läßt sich ein normales Netzteil anschließen, wenn es 6 V Gleichstrom, Pluspol außen amStecker, abgibt. Anstelle des kleinen Lautsprechers kann der Ausgangs-Ton zwecks besserer Verstärkung oder Aufnahme abgezapft werden. Ansonsten bleibt die 30×7,5×3 Zentimeter kleine, 440 Gramm schwere und ca. 160,- DM teure Musikmaschine ein geschlossenes System.

Wer sich die Mühe macht und im Innern nach der Intelligenz sucht, der wird außer eine Platine mit einigen Transistorschaltungen schließlich auch das Gehirn finden. Es ist flach und aus Plastik, mißt genau 13 mal 19 mm, hat rundherum 60 Anschlüsse und beinhaltet, nicht sichtbar, eine hochkomplexe Mikro-Schaltung auf einem Silizium-Chip.

Was aber zum Teufel kann man mit dieser Musikmaschine anfangen? Zunächst einmal hat sie Tasten. Die Töne reichen über fast zweieinhalb Oktaven. Um genau zu sein: Man schlägt immer nur einen Ton zur gleichen Zeit an. In der Stellung „Piano“ hört sich der Sound auch recht vertraut an. Hat man die Noten einer Melodie im Kopf und kann sie auf Klaviertasten finden, so ist alles bestens. Ansosten gibt man anhand eines Notenblattes bis zu 100 Noten in einen elektronischen Speicher ein. Dabei hilft die Anzeige der drei zuletzt gespielten Noten in Ziffernform. Vertippt? Beim Speichervorgang lassen sich selbstverständlich Töne korrigieren, einfügen, löschen. Fertig? Nun ruft man diese Notenfolge – also immer fehlerfrei! – mit nur einer Taste (One Key) im gewünschten Takt ab und spielt sie zugleich erneut ein. Es hilft ein eingebauter Schlagzeuger, der zehn verschiedene Rhythmen in 19 verschiedenen Geschwindigkeiten vorgeben kann.

Diese neuartige Trennung ist die eigentliche Besonderheit der Maschine: Zuerst werden die Noten eingegeben und danach die Melodie auf den doppelten One-Key-Tasten gespielt. Auf dem Höhepunkt seiner Aktivitäten erleben wir daher den typischen VL-Tone-Benutzer, wenn er beim Walzertakt aus der Rhythmusmaschine pieps, piff, pfff – eifrig darum bemüht ist, seine gesamte Rest-Musikalität in Zeige- und Mittelfinger zu kanalisieren.

Ist die virtuose Zweiünger-Einspielung einmal geglückt, dann, Casio übernehmen Sie, spielt’s. die Maschine auch selbsttätig ab (Auto Play), und der Maschinist dieses elektronischen Orchestreons kann einen der Rhythmen dazuschalten, das Tempo wählen und – zweite Besonderheit – als Klangschöpfer agieren.

Denn so konsequent laßt sich mit dieser Maschine die Musik in ihre Einzelteile zerlegen, daß sogar der Ton seine Hüllkurve fallen läßt – bei ADSR = O ertönt lediglich ein sofort abgebrochener Fiepser, eine Art Roh-Ton. Ein achtstelliger Code, den man ins Rechenregister eintastet, bestimmt dann acht Elemente des gewünschten Klangs, zum Beispiel die Hüllkurve: Attack, Delay, Sustain, Release (ADSR), sowie Vibrato und Tremolo.

Es gibt somit eine Vielzahl von Möglichkeiten – der Hersteller beziffert sie auf 80 Millionen den Klang zu definieren, der beim Tastenanschlag ertönt.

Dennoch bleibt die Variationsbreite einer so kleinen Maschine letztlich begrenzt, und der unverwechselbare Sound des Instruments geht zugegeben auf die Dauer leicht auf den Keks.

Wenn es jedoch genau das ist, was der Musiker des Maschinenzeitalters sucht, so entwickelt das Gerät sozusagen seine Stärke. Mein Spezial-Tip daher: Gib in den Speicher möglichst Ernstes, vielleicht Ludwig vans Neunte oder das Deutschlandlied oder sonstwas Heino-Heiliges, mische einen schrägen Klang mit viel Vibrato (Vorschlag: ADSR = 86788199) und einen etwas unpassenden Rhythmus dazu, dann tut der Leierkasten garantiert seine entweihende Wirkung.

Ansonsten aber ist man möglicherweise enttäuscht, wenn man die Maschine vorrangig zum musikalischen Experimentieren gekauft hat. Hier gilt wohl nach wie vor, daß der phantasievolle Einsatz einfacher Mittel mehr bringt als Maschinenmusik. Auch die Frage, ob es sich hier um ein lächerliches Spielzeug oder um ein ernsthaftes Musikinstrument handelt, läßt sich beantworten. Mir scheint, dieser Taschen-Synthesizer ist ein sehr ernsthaftes Spielzeug, pädagogisch einsetzbar, aber ein etwas lächerliches Musikinstrument, produktiv nur begrenzt einsetzbar. Für Musiker hat die Wunderkiste zwei wesentliche Nachteile. Erstens ist das Instrument einstimmig (monophon), zweitens taugt die kleine Tastatur allenfalls zum Fingertipp-Klimpern einer Melodie.