CHILDREN OF THE REVOLUTION
Als Rockmusik Anfang der 70er-Jahre erwachsen und kompliziert wurde, brauchte es einen neuen Sound, der das Lebensgefühl der, sagen wir mal: 8-bis 15-Jährigen repräsentierte. Teenager und Vorpubertierende brauchen keine ambitionierten Rock-Opern, sondern Role-Models und direkte Impulse, die ihnen eine Vorstellung und ein Versprechen von einem glamouröseren, aufregenderen Leben geben. Für uns, die wir in der ersten Hälfte der 60er-Jahre geboren sind, war Glam-Rock das Transportmittel dieser wagen Verheißungen.
Erinnerung 1: Block Buster. Das Kinderzimmer in der engen Neue-Heimat-Wohnung meines prolligen Lieblingscousins im Südbadischen im Jahr 1973. Er, zwölfjährig, frühreif, mit schwarzen Plateauschuhen, stets eine runde Haarbürste in die Brusttasche seiner Jeansjacke gezwängt, auf seinem Klappbett sitzend, zu mir, achtjährig: „Hör dir das mal an!“- Ratsch – aus dem keinen „Privileg“-Kassettenrekorder schrillt eine Sirene. Ein für mein kindliches Verständnis derbes Gitarrenriff setzt ein. Ein hysterischer Gesang, der die Sirene nachahmt. Ich weiß bis heute nicht, wovon der Song „Block Buster!“ (nicht „Blockbuster“) genau handelt, aber – retrospektive Beobachtung 1 -wie bei vielen Stücken des Songwriterteams Chinn-Chapman reichte eine zusammengesetzte, poppige, oft auch gefährlich klingende Wortkreation als Titel, um unsere Phantasie anzuheizen. „The Ballroom Blitz“,“Hell Raiser“ oder auch „48 Crash“,“Devil Gate Drive“ von Suzi Quatro und -Erinnerung 2 -„Teenage Rampage“.
Ein Nachmittag im Sommer 1976. Die Bude meines Kumpels Woffo. Er war der einzige, der die Ausdauer gehabt hatte den „Bravo“-Starschnitt von Sweet zusammenzusammeln. Wir sitzen auf dem Fußboden und betrachten fasziniert das Single-Cover von „Teenage Rampage“. Immer und immer wieder legen wir den Song auf und hüpfen mit Federballschlägern posierend im Zimmer herum. Die Band ist auf dem Cover in den typischen Outfits ihrer Glam-Rock-Phase gekleidet: enge Leder-oder Glitzeroveralls, Plateauschuhe, Accessoires wie angehängte Metallketten. Große Totenköpfe, Tigermotive. Man sieht sie in einem Fotostudio in einer Reihe, mit eingehakten Armen wie bei einer Demo auf die Kamera zulaufen. Lachend. Zwei von ihnen haben bedruckte Schilder mit dem Songtitel. Mick Tucker, der Schlagzeuger macht eine Art Hitlergruß. Wow. Retrospektive Beobachtung 2: Wie ich jetzt erst feststelle, steht gar kein Bandname auf der Hülle, die auf beiden Seiten dasselbe Foto zeigt. „Come join the revolution. Get yourself a constitution (…). And recognize your age it’s a teenage rampage“. Was bei „Block Buster!“ die Sirene war, ist hier der „We want Sweet“ -Sprechchor einer aufgeheizten Crowd, der in den Song reingemixt ist und mit dem das Stück auch beginnt. Dann ein typischer Hardrock-Break, acht Takte lang. Genau in der Dosis, die es braucht, um ein rebellisches Rock-Feeling anzutriggern, ohne dass der Song ins ernste Genre des Erwachsenen-Rocks kippt, wo sich Gitarristen, Schlagzeuger und Sänger dauernd ihre ausschweifende Virtuosität beweisen müssen. Hier geht es darum, auf 3:30 Minuten die Hysterie am Laufen zu halten. „Imagine the sensation of teenage occupation. At thirteen they’ll be learning. And at fourteen they’ll be burnin‘. But there’s something in the air of which we all will be aware“. Eine Hymne, die behauptet, dass Teenagersein so etwas wäre wie die Zugehörigkeit zu einer Klasse. Wobei, 1976, im Schwäbischen, war unser Verständnis des Textes eher rudimentär. Es waren vor allem der Sound und die Haltung, die zu uns sprachen. Diese hohen, überdrehten Stimmen. Die Hysterie eben.
Merkwürdig ist aber auch, wer da zu wem spricht. Das kommerziell erfolgreichste Produzententeam der 70er-Jahre flüstert der Band, deren Mitglieder alle Ende 20 sind, einen Text ein, der deren 15 Jahre jüngere Fans zu einer irgendwie gearteten Revolution aufruft. Für gewöhnlich sind ja in so einem Fall Band und Publikum in Alter und Milieu identisch.
Genau das war dann auch das Credibillity-Problem bei The Sweet: Niemand nimmt eine Band ernst, die mit einem leicht durchschaubaren Marketingkonzept Teenie-Emotionen anpeilt. Auch weil sowieso niemand ernst nimmt, was ein Achtjähriger oder eine 12-Jährige bei einer bestimmten Musik empfindet. So war es das Schicksal von Sweet, dass sie trotz mehr als 50 Millionen verkaufter Platten in der Geschichtsschreibung praktisch verloren gegangen sind. Oder am Rande als lächerliches Beispiel für eine Mode und eine jugendliche Geschmacksverirrung stehen. Dass Styles und Songs schlauer sein können als ihre Interpreten ist eine Binsenweisheit des Pop. So wurde die Teenage Rampage Prophezeiung, die ja eigentlich gar nicht ernst gemeint war, zu einer self-fulfilling prophecy wider Willen. Denn es waren die mit Glam-Rock sozialisierten Kids, die die Punk-Revolte Ende der 70er-Jahre starteten. Glam-Protagonisten wie T. Rex, David Bowie, Sweet oder Suzi Quatro hatten einen großen Teil des Zeichensystems für Punk geliefert. Man musste nur noch zugreifen und so tun, als hätte man den ganzen Scheiß selbst erfunden.
Kurze, schnelle, einfach strukturierte, prägnante Songs. Zur Schau gestellte Künstlichkeit. Spiel mit Geschlechterrollen. Ironisiertes Selbstbild. Aneignung und Entkontextualisierung von tabuisierten Zeichen. Voilá, das war doch schon mal eine gute Basis, um die Selbstgewissheiten der Erwachsenen durcheinander zu schütteln. Da brauchte es nur noch andere Klamotten und andere Frisuren. Einen neuen Sound und geheime Tänze. Und die Selbstermächtigung, für sich zu sprechen.