Club der lauten Dichter


Silvester auf St. Pauli. Clubbetreiber Oskar liegt im Clinch mit allen, hat Schulden und Pech in der Liebe: Mit „So was von da“ legt Tino Hanekamp, Mitinhaber eines Hamburger Clubs, seinen Debütroman vor. Ein Auszug.

Wie man sich an einen Musikclub verschwendet

oder

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1. Die Notwendigkeit

Am Anfang ist die Erkenntnis. Zahllose in lustlos geführten Etablissements verbrachte Nächte erzeugen Missvergnügen, Phantomschmerz, innere Ödnis – und lassen die Einsicht reifen: Diese Stadt, diese Welt braucht einen guten Club. Und zwar sofort. Man verabschiede sich nun von etwaigen Zukunftsplänen, entsage jedem Bedürfnis nach Sicherheit und stürze sich selbstlos in dieses Abenteuer – zum Wohle der Menschheit und weil man dringend eine sinnvolle Aufgabe braucht.

2. Die Mitstreiter

Sie sind da draußen, und sie fühlen ähnlich, es gilt sie zu finden, mindestens einen, nicht mehr als zwei. Man wähle sie sorgfältig aus, achte auf das Brennen in ihren Augen, die Festigkeit ihrer Forderungen, die Aufrichtigkeit ihres Handelns und meide jene, die zu viel reden. Es sollte der zukünftige Partner zudem mindestens ebenso uninteressiert sein an weltlichem Besitz wie man selbst. Und keine Angst haben vor gar nichts.

3. Die Räume

Nachdem der Entschluss, das weltbeste Unterhaltungsetablissement ins Leben zu rufen, feierlich besiegelt wurde, gilt es zügig die passende Räumlichkeit zu finden, bevor die Begeisterung verebbt. Der Raum muss sich im Stadtzentrum befinden, sonst geht keiner hin. Doch leider ist alles zubetoniert und Besitz. Freie Räume sind nicht vorgesehen. Freiräume werden aufgekauft, totsaniert und rentabel vermietet für seelenlosen Schrott. Deswegen gilt es noch das letzte einsturzgefährdete Loch in Betracht zu ziehen. Die Beschaffenheit desselben ist grundsätzlich egal, solange da mindestens hundert Leute reinpassen, eine Bar und eine Bühne. Also: Raum finden, besetzen, halten, notfalls mit Gewalt.

4. Das Geld (Anschaffung)

Es ist das drängendste, widerlichste aller Probleme auf dem Weg zu einer besseren Welt, es ist überhaupt das größte Problem der Menschheit: Geld und die Abwesenheit desselben bei denen, die es brauchen. Erster Reflex: Banküberfall. Leider zu riskant. Auf herkömmlichem Wege läuft leider auch nichts, denn keine Bank der Welt wird einem einen Kredit bewilligen, weil kein Bankangestellter versteht, wovon man da eigentlich redet, und das eigene Leben als Sicherheit nicht genügt. Also ist man auf private Geldleiher jedweder Art angewiesen, auf den Dispo und die Belastbarkeit der Kreditkarte – so man eine hat. Man besorge sich so viel Zaster wie möglich. Es wird nicht reichen.

5. Das Geld (Verlust)

Alles – jeder Nagel, jede Lautsprecherbox, jeder Vorhang und jede Glühbirne – kostet Geld, und die finanziellen Mittel gehen schneller dahin als Eisberge am Äquator. Ein Moment irrsinnigen Schreckens ist die Erkenntnis, was es alles noch zu erwerben gilt, wenn die Barschaft längst erschöpft ist. Man lasse sich so viel wie möglich schenken, stehle und borge, nehme jede Hilfe an, denn hier macht die Idee die Qualität, nicht das Material. Und wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommen die Behörden an. Oh, Sie wollen einen Club eröffnen? Haben Sie denn eine Konzession? Genügend Stellplätze? Sind die Notausgangtüren auch aus doppelwandigem Stahl? Ist dieses Kabel da geprüft? War denn schon der Brandschutz hier? Haben Sie die Gutachten A, B, C und D? Nichts von alledem ist vorhanden, und all diese Abscheulichkeiten kosten derart viel Geld, dass Behördenwillkür und Vorabvernichtung noch die harmlosesten Vokabeln sind, die einem in den Sinn kommen. Weil ein illegaler Club meist nicht lange lebt, täusche man Kooperationsbereitschaft vor, lüge und betrüge, wo es eben geht, füttere die Schweine mit kleinen Happen und hoffe das Beste. Irgendwie geht das. Wenn man Glück hat.

6. Das Innenleben

Dieser Punkt erklärt sich selbst. Wer nicht weiß, wie er seinen Laden nennen will, was da passieren soll, welche Prachtmenschen ihn am Laufen halten können und wie man die Welt von ihrem Glück in Kenntnis setzt – wer all das nicht weiß, gehe sofort zurück an die Uni oder lasse sich von irgendeinem Dreckskonzern knechten bis zum hoffentlich frühen Ende der verfehlten Existenz.

7. Die Eröffnung

Wird bestimmt eine irre Sause. Leider wird man davon nichts mitbekommen. Alle Beteiligten flitzen die ganze Zeit wie ferngesteuert durch die Gegend, weil nichts funktioniert. Es ist nicht genügend Wechselgeld da, an Eiswürfel hat niemand gedacht, die PA fällt aus, die Lüftung versagt, um Mitternacht ist das Bier alle, und wo zum Henker kommen all die Leute her? Irgendwann rückt die Polizei an, das Klo läuft über, der Geschäftspartner erleidet einen Kreislaufkollaps, und wer dachte, die Herrichtung des Lokals war die Hölle – was ist dann das jetzt, bitte?

8. Der Betrieb

Überraschung: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und komischerweise interessieren sich nur acht Leute für die Musik der isländischen Noisecoreband Umpftkrrmpf und nicht wie erwartet einhundertachtzig. Es gilt das Personal angemessen zu entlohnen, immer mehr Rechnungen harren der Begleichung, und bald schon feiert man jedes Fest, als wäre es das letzte. Das hört man gern. Das spricht sich rum. Publikum taucht auf. Für Auflockerung im Betrieb sorgen Ruhestörungsbeschwerden der Nachbarn, Behördenbefindlichkeiten und irritierende Fragen des Finanzamtes. Außerdem muss ständig was gebaut undverbessert werden, weil hier niemals irgendwas fertig ist, und die leeren Flaschen von der gestrigen Nacht sind auch noch einzusammeln.

9. Das Weiter

Schlafentzug, Finanzdruck, Mangel an Tageslicht und Frischluft fordern ihren Preis. Das gesamte Sozialleben des sogenannten Clubbetreibers spielt sich in diesen Räumen ab. Und jede Nacht: ein ordentlicher Rausch. Nach dem dritten Zusammenbruch lernt man, mit seinen körpereigenen Energien zu haushalten. Wer Blut spuckt, muss weniger rauchen. Wer sich schon vor dem Frühstück übergibt, sollte weniger trinken. Einfache Grundsätze, die es in jedem Fall zu beherzigen gilt. Nur so bleibt man weiterhin empfänglich für die Momente großen Glücks, für die herrlichen Begebenheiten, die in diesem Schmelztiegel der Suchenden das Leben so hochkochen lassen, wie man es nie zu träumen wagte.

10. Das Ende

Kein guter Club sollte länger bestehen als zwei Jahre (wenige Ausnahmen bestätigen die Regel). Und weil einen die Stadtoberen nicht haben wollen, das Gebäude baufällig ist und einige Leute mit diesem Fleck Erde so viel mehr Geld verdienen können, ist alsbald Schluss. Nun gilt es irgendwie heil aus der Nummer herauszukommen. Viel Glück.

Ich befürchte, ich bin wach. Blicke auf eine Bierflasche, in der zwei Kippen schwimmen und ein Käfer. Brutalkopfschmerz. Auf dem Heizungsrohr ein Pelz aus Staub. Extrembrechreiz. Draußen knallt’s. Schließe die Augen. Es knallt noch mal. Was für ein beschissener Anfang.

Vielleicht eine Schießerei. Irgendeine arme Sau, die angeschossen auf der Straße liegt und dringend meine Hilfe braucht. Zehntausend Meter über mir das Fensterbrett, mit letzter Kraft zerrt sich der Held zum Gipfel. Zugspitze. Aber enttäuschende Aussicht: Der Papierkorb vorm Brötchenladen des Rassisten qualmt, zwei Türkenjungen hüpfen drum herum, jetzt stürmt der Brötchenladenheini raus, er brüllt, er droht mit einem Baseballschläger. Die Jungs rennen lachend Richtung Reeperbahn. Wie spät wird es wohl sein? Egal. Aber schön, wie jetzt überm Dach des Nachbarhauses etwas Grünes explodiert und Funken auf die schleimigen Ziegel regnen wie Blütenblätter. Der Himmel ist wie immer grau, wie wahrscheinlich auch der gummiartige Rachenrotz, den ich jetzt gerne irgendwo hinspucken würde. Mache ich aber nicht. Heute wird geschluckt. Heute ist die letzte Nacht, heute noch, und dann ist’s aus. Sinke zurück aufs Bett. Werde einfach liegen bleiben. Liegen bleiben und abwarten. Irgendwann wird irgendwer kommen und mich irgendwo hinbringen. Wenn sie mich dann verscharren, irgendwo hinter dem Komposthaufen bei den Armengräbern, und wenn sie dann noch einen alten Grabstein finden, vielleicht eine zerbrochene Gehwegplatte, dann mögen sie bitte Folgendes hineinmeißeln oder draufkritzeln:

Hier liegt Oskar Wrobel, 23. Er hat’s versucht.

Schreck, neben mir bewegt sich was! Ziehe vorsichtig die Decke weg. Ein Meer aus roten Locken, ein glatter Rücken, ein nackter Po. Vielleicht ist dieser Tag doch noch nicht verloren. Darf ich fragen, wer Sie sind? Ach, halten wir uns nicht mit Formalitäten auf. Ich schmiege mich an die schöne Unbekannte. Das tut gut. Ich denke an Mathilda. Das tut nicht gut. Muss sofort an was anderes denken. Zum Glück rauscht das Blut jetzt Richtung Unterleib. Die Dame dreht sich um. Blaue Augen, mohnroter Kussmund.

* He, Oskar, du Schweinchen.“

* Guten Morgen“, sage ich und versuche mich zu erinnern. Wer? Wie? Was?

* Was ist denn hier schon wieder los?“, sagt die Unbekannte und umfasst meinen Schwanz. In meinem Kopf Mathilda. Mein Schwanz erschlafft. Die Dame lächelt. Sie küsst mich. Ich rieche ihren sauren Atem. Schließe die Augen und streichle verzweifelt ihren Körper, aber es regt sich nichts. Weil sie nicht Mathilda ist. Weil ihr alle nicht Mathilda seid.

* Sag mal, wie heißt du eigentlich?“

Sie lacht. Sie schnurrt. Sie verschwindet unter der Bettdecke.

„Julia? Maria? Elena? Katrin? Anna?“

Sie taucht wieder auf. „Soll das ein Witz sein?“

„Sorry, ist mir noch nie passiert. Jana?“

Sie wirft die Decke weg und springt auf. Gleich tritt sie mir ins Gesicht. Nein, sie zerrt sich wütend die Hose hoch. Reißt sich den Pullover über den Kopf. Wenn ich doch nur wüsstex{2006}.x{200a}.x{200a}.

* Clara, du Arschloch.“

* Tut mir leid, Clara.“

* Fick dich!“

Die Wohnungstür knallt ins Schloss. In meinem Kopf explodiert ein Strauß Silvesterkracher. Auf keinen Fall wird das ein guter Tag. Mit ziemlicher Sicherheit wird das sogar der schlimmste Tag meines Lebens.

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Geboren 1979 in Sachsen-Anhalt, arbeitete Tino Hanekamp jahrelang als Musikjournalist, bis er 2002 nach Hamburg kam. Hier betreibt er zusammen mit zwei Freunden in St. Pauli das Uebel & Gefährlich, einen der wichtigsten und besten Clubs Hamburgs.

Tino Hanekamp

So was von da

Kiepenheuer & Witsch

Buchkritik S. 102