Cocker – Die hausgemachte Misere


Die Stimme ist sein Kapital. Eine Blues-Stimme von solch emotionaler Ausdruckskraft, daß sich andere Rocksänger die Finger danach lecken würden. Doch Cocker wußte mit seinem Kapital nicht hauszuhalten: Unmengen von Alkohol kratzten an seiner Konstitution; Parasiten und Halsabschneider trieben ihn immer weiter in den Suff. Völlig schuldlos an seiner Misere ist aber Cocker selbst nicht: Zu oft war ihm alles „scheißegal“, zu oft ließ er sich behandeln wie einen dummen Jungen. Inzwischen 40 Jahre alt, scheint er aus den Tiefschlägen seines Lebens zumindest einige Lektionen gelernt zu haben.

I’ausendmal haben sie ihn getreten – und der gottverdammte Kerl hat sich nicht dagegen gewehrt. Auch heute noch läßl er sich auf Interviews ein. in denen ihn Reporter mal im Stil eines Kriminalkommissars, mal salbungsvoll auf Pfarrers-Art über seinen Alkoholund Drogen-Konsum ausfragen. Da antwortet Cocker dann brav wie ein Bub – statt seinem Gegenüber das Bierglas über den Kopf zu kippen.

Seit Joe Cocker 1968 mit „With A little Help From My Friends“ seinen ersten Hit landete, hat er sich von einem Loch ins nächste stoßen lassen Eine Mammut-Tournee durch die USA unter dem Motto „Mad Dogs & Englishmen“ machte 1970 aus ihm endgültig einen Sozialfall: Versoffen und abgewrackt verkroch er sich damals bei seinen Eltern. Er kam wieder, immer wieder, aber dje Szenen wiederholten sich.

Cocker fand Verbündete: Sein kaputtes Leben weckte Mitleid und eine merkwürdige Art von Nächstenliebe. Seit 15 Jahren kann er in der Presse lesen, daß böse Manager. Agenten und Plattentirmen ihn zugrunde gerichtet haben, er aber dennoch ein loller Kerl ist. der den Blues singt yeah!

Als underdog hat man eben Charisma – und Cocker konnte sich darauf einen hinter die Binde kippen. Auch als Alkohol-Leiche war er altraktiv. Man kümmerte sich geradezu rührend um ihn. Penny Valentine. eine britische Journalistin, schrieb 1976 in „Sounds“ über ihn wie eine Fürsorgerin – statt ihm solidarisch den Arsch zu versohlen.

Cocker ist nicht blöd: er merkte, wie das Showgeschäft und die Jagd nach dem großen Geld ihn fertigmachten. Seine Neigung, sich mit dem Dreck, in dem er steckte, resignierend abzufinden, wirkte im Spiegel der Medien wie eine tragische Heldenrolle.

So machte er es sich bequem in der Rolle des Opfers. Wenn er mit der Bierflasche in der Hand eines seiner oft mitleiderregenden Konzerte gab und das Publikum begeistert klatschte, als er“.With A Little Help From My Friends“ als Karikatur seiner selbst herauskrachte, dann erzählte er hinterher in der Garderobe grinsend, es sei ein gutes Konzert gewesen.

Cocker ist kein Sozialfall Er hat eine Stimme, nach der sich die Rockszene die Finger leckte. Alle paar Jahre, wenn er den Kopf vorübergehend aus dem Nebel von Alkohol und Selbstmitleid freibekam, schaffte er eine gute Platte, zumindest ein paar gute Songs. Nicht mit der Intensität seiner ersten Aufnahmen, aber immer noch gut Cocker hat Kapital. Er sollte es sich verbieten, weiterhin als geprügelter Hund durch die Gegend zu schleichen. Nur deswegen zieht er die Blutsauger an wie die Motten das Licht.

Cocker war zu Beginn seiner Karriere ein Sänger, dem alle Türen offenzustehen schienen. Zwar waren seine Korperbewegungen verkrampft.“.er wirbelte“, so der englische Journalist Nik Cohn.“.mit den Armen wie eine geistesgestörte Windmühle „. Aber in seiner Kehle steckte ein wildes Tier. Dave Masons „Feeling Alright“ sang er mit ekstatischer Kraft, seine Interpretation der Beatles-Nummer „Something“ klang wie die Liebeserklärung eines einsamen Bären.

Seine rauhe Stimme war voller Gefühle – Freude. Zärtlichkeit, Wut, Schmerz; nichts Affektiertes, kein Geschwafel “ Oh Lord, don t let me be misunderstood“: Cocker machte aus dieser Zeile ein inbrunstiges Gebet und legte da. wo es im Original um Liebe geht. Hunger und die ganze Angst, alles zu verlieren, in seine Stimme. Er war ein Bluessänger, trotz weißer Hautfarbe und englischer Abstammung: der „lebende Beweis“, so der „Rolling Stone“, „daß man aus Sheffield kommen und wie ein Schwarzer aus Mississippi singen kann“.

In Sheffield, einer Industriestadt in Mittel-England, arbeitete Cocker, geboren 1944, Mitte der sechziger Jahre als Gasinstallateur, Abends sang er in Amateur-Bands, für 100 Mark Gage die Woche. Er war ein bißchen fett, schwitzte viel und soff auch damals schon reichlich. Er verehrte Ray Charles, liebte die schwarze Musik, dazu ein paar Helden aus der Rock n Roll-Ara wie Gene Vincent und Buddy Holly.

Cockers erste Single, von Decca veröffentlicht, war eine Cover-Version des Beatles-Songs „I’ll Cry Instead“. Viel wurde davon nicht verkauf!, aber er kam im Vorprogramm einer Tournee von Manfred Mann und den Hollies unter, zwei erfolgreichen Hitgruppen.

Eine zweite Single. Ray Charles „Georgie On My Mind“. wurde aufgenommen, von Decca jedoch nicht auf den Markt gebracht. Die Firma hatte das Interesse an ihm verloren: Cocker ging zurück in die Clubs von Sheffield.

Mit Chris Stainton. einem befreundeten Musiker, komponierte er den Song“.Marjonne“. Sie nahmen ihn zu Hause mit simplem Eguipment auf: über Umwege erreichte das Band in London Denny Cordell. einen der Top-Produzenten des Landes, der mit Procol Harum. den Moody Blues. Move und Georgie Farne arbeitete.

Cordell holte Cocker ins Studio und machte aus „Marjonne“ eine gule Popnummer, die ein bißchen nach den Move und den Beatles klang, durch Cokkers Stimme edoch die eigene Note bekam. Chris Stainton bediente Baß und Piano. Jimmy Page und Albert Lee spielten Gitarre, ein Session-Musiker saß am Schlagzeug. Der Song erreichte 1968 in England die f Top 50. Noch im selben Jahr schoben * Cocker und Cordell die nächste

Single nach: „With A Littie Help From My Friends“. ein Stück vom Beatles-Album SGT. PEPPER. Aus Cockers Kehle kam das raus wie das Röhren eines brünstigen Hirsches: nach einigen Wochen stand er auf Platz 1 der britischen Charts.

Das Arrangement geriet stellenweise ein wenig zu pathetisch, war aber maßgeschneidert für Cockers gewaltiges Organ. Drei Frauen gospelten als Background-Chor, Jimmy Page lieferte an der Gitarre einen Vorgeschmack auf die ersten Alben von Led Zeppelin. Auch die Amerikaner horchten auf: Cokker trat in der landesweit vom Fernsehen ausgestrahlten „Ed Sullivan-Show“ auf.

Seinen nächsten Hit in England hatte er ’69 mit der Leon Russell-Komposition „Delta Lady“: im gleichen Jahr plazierten sich „The Letter“ und „Cry Me A River“ in den amerikanischen Top 10. Die „New York Times“: „Cockers Stil ist einzigartig, er ist grob und vulgär, aber seine Kraft läßt die Exzesse berechtigt erscheinen. Er ist der beste männliche Rock-Sänger, auf seine Art vergleichbar mit Janis Joplin. Auf seinen ersten beiden Alben von 1969 demonstriert Joe Cocker die ganze Fülle seines Talents. Neben den schon erwähnten Stücken interpretiert er mehrere Songs von Bob Dylan, den Beatles-Titel „She Came In Through The Bathroom Window“, Leonard Cohens „Bird On A Wire“. John Sebastians „Darling Be Home Soon“ und einige alte Rhythm & Blues-Nummern. Cockers Fähigkeit lag darin, solchen Songs einen neuen Charakter zu verleihen, sie so zu singen, als wären sie seine ureigenen Kompositionen. Unter den Stücken, die er mit Chris Stainton zusammen selbst geschrieben hatte, fiel neben „Marjorine“ das bluesige „Sandpaper Cadillac“ auf, auch wenn der Anfang identisch war mit dem des Kinks-Titels „Sunny Afternoon“.

Auf der ersten LP WITH A LITTLE HELP FROM MY FRIENDS wurde Cocker von Henry McCullough (git), Chris Stainton (b, p, org) und Kenny Slade (dr) begleitet, die zur Grease Band gehörten, seiner festen Konzert-Formation. Außerdem spielten etliche Session-Musiker, darunter Stevie Winwood (org) und – bei insgesamt fünf Stücken – Jimmy Page.

Das nächste Album JOE COCKER! bestritt er mit der umbesetzten Grease Band -Stainton, McCullough, Alan Spenner (b). Bruce Rowlands (dr) – sowie einer Reihe amerikanischer Musiker, unter ihnen Leon Russell und die Country-Rock-Spezialisten Sneeky Pete Kleinow (git) und Clarence White (git). Produzent des ersten Albums war Denny Cordell; beim zweiten führte Glyn Jones Regie, der später als Produzent der Eagles Weltruhm erlangte. Beide Cocker-Platten sind Rock-Klassiker, die auch heute noch frisch wirken. Die Grease Band nahm später – mit Neil Hubbart anstelle von Chris Stainton – zwei Soloalben auf, die nie populär, aber von vielen Kritikern als großer Wurf eingestuft wurden.

Den Durchbruch mit „Marjorine“ und „With A Little Help From My Friends“ hatte Cocker mit naiver Begeisterung aufgenommen: er kannte die geschäftlichen Umgangsformen der Branche nicht und kümmerte sich auch nicht weiter darum. Später erklärte er in einem Interview: „Es gibt mindestens 20 Leute, die einen Prozentanteil an mir besitzen, und das lebenslang – ich unterschrieb ständig Verträge, in denen jemand einen Teil von mir beanspruchte. „

Er wollte singen und genoß, daß die halbe Welt ihm zuhörte; hinter seinem Rücken zog sich das Netz von Verpflichtungen und Verträgen zusammen, in dem er schließlich zappelte wie die Maus in der Falle. Er soff wie ein Loch, um die Scheiße nicht riechen zu müssen, in die er hineingeraten war, und schon bei seinem Auftritt in Woodstock im Sommer 1969 hörte man, daß seine Stimme den ersten Knacks hatte.

Seine Paradenummer „With A Little Help From My Friends“, die in das erste Woodstock-Album aufgenommen wurde, ging er kraftvoll an, versackte dann aber in hilflos-wütendem Gebrüll. Dazu spielte der Gitarrist mit einem falsch gestimmten Instrument, der Organist kippte mehrfach aus der Tonart, die ganze Band lärmte am Ende geradezu chaotisch. Kein Wunder, denn es war nicht die Grease Band in gewohnter Besetzung, sondern eine von Cokkers Manager in Eile zusammengewürfelte Truppe.

Dennoch wurde der Auftritt auf dem Festival zur Legende. Der „Rolling Stone“ schrieb:

„Sein Haar ist zurückgekämmt, sein Bauch wölbt sich unter dem T-Shirt vor, sein Körper springt herum wie eine überdrehte Puppe. Doch er singt mit so viel Liebe und Einfühlungsvermögen, daß sein Auftritt wie ein Glaubensbekenntnis wirkt.“

Die Amerikaner fielen wie die Heuschrecken über Cocker her, und schon 1970 hatte ihn der Rock-Zirkus vollends geschafft. Er tourte drei Monate durch die Staaten und fuhr am Ende ausgelaugt nach Los Angeles, um sich in Denny Cordells Haus zu erholen. Nach zwei Tagen spürte ihn dort ein Tour-Agent auf, der einen Vertrag über eine weitere Zweimonatstournee hatte, offenbar mit Cockers Unterschrift. Bis zum Start blieben noch sieben Tage; die Grease Band war längst wieder in England.

Als Retter aus der Not trat der Gitarrist und Keyboard-Spieler Leon Russell in Aktion: In Rekordzeit stellte er eine Tourband auf die Beine. Cocker war schließlich ein Star; Russell fiel es nicht schwer, namhafte Leute aufzupicken: Jim Gordon (dr) und Carl Radle (b) aus der Eric Clapton-Band („Derek & The Dominoes“), die Bläser-Asse Jim Price (tr) und Bobby Keyes (sax) sowie Chris Stainton. Insgesamt umfaßte die Tourband 11 Musiker plus zehn Background-Sängerinnen und -Sänger, unter ihnen Rita Coolidge. Und weil das große Geld lockte, wurden die Konzerte gleich zu einem Film und einem Doppelalbum verarbeitet mit dem zugkräftigen Titel „Mad Dogs & Englishmen“.

Die Band, der Chor, die Kameraleute, die Techniker, Manager. Groupies und ein Rattenschwanz von Trittbrettfahrern ergaben zusammen etwa 50 Leute, die in einem Charterjet von Stadt zu Stadt flogen. In 56 Tagen traten die „Mad Dogs & Englishmen“ in 48 amerikanischen Städten auf – mit einem Cocker, der meist im Tran auf die Bühne wankte. Am Schluß hatte er selbst einen Nervenzusammenbruch, seine Stimme besaß kaum noch Ausdruckskraft, und in seiner Tasche steckten 862 Dollar. Kassiert hatten andere. Das Doppelalbum wurde bereits am Anfang der Reise im New Yorker „Fillmore East“ mitgeschnitten; eine erfolgreiche Platte, die auch heute noch verkauft wird, obwohl sie von Cockers tatsächlichen Format nur Anklänge vermittelt. Der Sound war viel zu aufgeblasen und drückte Cokkers Stimme an die Wand; der schleimig gospelnde Chor klang streckenweise geradezu ekelhaft; in Cohens „Bird On A Wire“ heulte er fast. Und danach war ihm wohl auch zumute.

Nach diesem Fiasko flog er nach England zu seinen Eltern und verschwand von der Bildfläche. “ 18 Monate lang“, heißt es im „Rock Lexikon“, „fuhr Cocker mit einem Schlafsack durch Großbritannien, rastete an Fernfahrerkneipen und rockte dann und wann bei Provinzfesten mit unbekannten Bands. Ins Showgeschäft wollte der kontaktarme, geistig eher unbewegliche Entertainer nicht mehr zurück.“

Laut „Rock Lexikon“ waren es die Manager, die Cocker 1972 „mit psychischem Druck und kommerziellen Verlockungen“ wieder vor die Mikrofone holten. Eine LP entstand, in Europa SOMETHING TO SAY, in Amerika JOE COCKER betitelt. Drei Leute von der Grease Band machten mit, an den Drums saßen Jim Keltner und Alan White, Rebop spielte Congas, Jim Hörn Saxofon. Die Platte bewies nach Ansicht der britischen „Sounds“, „daß Cocker noch singen konnte, mehr nicht“. In tiefen Lagen klang er noch ganz passabel, doch wenn er die Tonleiter erklomm, erstarb der Gesang.

Betrunken tourte Cocker durch die Staaten, bestritt einige Konzerte in Europa und gastierte dann in Australien. Dort spürte ihn die Polizei in einem Hotelzimmer auf und verhaftete ihn nach kurzer Prügelei wegen Drogenbesitzes. Er kam in Untersuchungshaft und wurde ohne Gerichtsverfahren ausgewiesen. Wieder tauchte er für zwei Jahre unter.

Ende 73 ein neuer Anlauf: das Album I CAN STAND A LITTLE RAIN. Jim Price saß jetzt auf dem Produzenten-Sessel. Henry McCullough war wieder dabei, der nach dem Split der Grease Band im Jahre 1970 in Paul McCartneys Gruppe Wings Gitarre gespielt hatte. Wie gewohnt, unterstützte Cokker eine Garde erstklassiger Session-Leute, u. a. Nicky Hopkins am Piano. Jeff Porcaro an den Drums. Richard Tee an Piano und Orgel und Chuck Rainey am Baß. Für die Aufnahme der Randy Newman-Komposition „Guilty“ setzte sich Newman selbst ans Piano.

Cocker versuchte, seine Depression in der Musik auszudrücken, schaffte es auch für ein paar Takte, bevor ihn das Leiden und das Selbstmitleid erneut in die Krallen nahmen. Teja Schwaner schrieb damals in „Sounds“: “ Wem die grauen Novembertage nicht reichen, um trübsinnig zu werden, der sollte mit dieser Platte überwintern. Sie ist bemerkenswert in ihrer Konsequenz. “ Populär war Cocker dennoch: Die LP erreichte in den USA die Top 20, auch die ausgekoppelte Single wurde in den Staaten ein Hit.

Cocker und eine neue Band wollten und sollten auf Tour gehen. Seine Begleiter waren jetzt McCullough und die Amerikaner Mick Weaver (keyb). Buffalo Gelber (b) und Jimmy Karstein (dr). An der amerikanischen Westküste mieteten sie für einige Wochen ein abgelegenes Haus, um zu proben. Ein britischer Reporter besuchte sie und erlebte einen Nachmittag, an dem Cocker vier Stunden am Stück konzentriert mit der Gruppe arbeitete. Der Reporter meldete, Cocker habe zeitweise gesungen wie in alten Zeiten.

Die Konzerte brachten das bekannte Desaster, Bei einem Auftritt im „Troubadour“ in Los Angeles brach er vor versammelter Presse betrunken auf der Bühne zusammen. Die Medien wurden zunehmend zynisch und vermeldeten es bereits als Erfolg, wenn er einen Auftritt stehend überstand. Cocker sang oft mit der Flasche in der Hand. Der „New Musical Express“ höhnte: „Spasm singing comes to Los Angeles. „

Anfang 1975 ging es Cocker vorübergehend besser. Er war braungebrannt von einem vierwöchigen Urlaub auf den Bahamas zurückgekehrt, versteckte sich allerdings hinter einem Schutzschild aus Zynismus man konnte das aus seinen Interview-Aussagen deutlich heraushören.

In Malibu an der kalifornischen Küste lebte er während der Proben für die nächste Tournee unter einem Dach mit Kenny Slade, seinem alten Freund aus Sheffield, und dem neuen Manager Reg Locke, von dem die Presse behauptete, er gehöre nicht zu den Blutsaugern. Locke: „Ich bin mitJoe>

nahezu 24 Stunden am Tag zusammen. So bekomme ich mit, was er macht, und er kann sehen, wie ich die Geschäfte führe.“

Eine Sensation war Cockers neue Tourband: Dort spielten mit Richard Tee (keyb), Cornell Dupree (git) und Gordon Edwards (b), alle aus New York, drei der damals besten farbigen Funk-Musiker, die bei ungezählten Studioaufnahmen Aretha Franklin. King Curtis und andere Soul-Stars begleitet hatten. Vervollständigt wurde die Gruppe durch Kenny Slade (Congas), Albert Lee (git) und Pete Gavin (dr). Für Lee stieg später Eric Gale ein, ein weiterer schwarzer Virtuose aus der New Yorker Szene.

Bei den Tourneen der Jahre 75 und 76 übernahm Richard Tee die Führung der Band und lotste Cocker behutsam durch die Konzerte. Wenn er merkte, daß der Sänger abdriftete und sich in Selbstgesprächen verlor, ließ er die Instrumentalisten lospreschen oder brach den Song mit einigen Schlußakkorden ab. Viele dieser Konzerte lohnten den Besuch, obwohl der alte Joe von bekannten Problemen geplagt wurde. Im „Rolling Stone“ war 1976 zu lesen: „Cokkers Stimme ist hin. Er krächzt nach Tönen, die er früher mühelos traf. Er vergewaltigt Textzeilen, bis sie unverständlich werden. Zwar stolpert er nicht mehr über Monitore und Mikrofonständer; bezeichnend für seinen Zustand aber ist die Tatsache, daß solche Belanglosigkeiten bereits als Lichtblicke wahrgenommen werden als Beweis dafür, daß er sich zusammenreißen kann.“

Cockers Geschichte kann man in Form solcher Bulletins bis ins Jahr 1984 fortschreiben. Es gab Zeiten, wo er weniger trank und besser sang, und es gab Zeiten, wo er ohne Hilfe kaum noch vom Barhocker herunterkam. Faszinierend bleibt, daß seine Plattenproduktionen immer wieder Spitzenmusiker anzogen. Mit dem schwarzen Clan um Richard Tee nahm er drei Alben auf: JAMAICA SAY YOU WILL, STINGRAY und LU-XURY YOU CAN AFFORD. Das erste kam 75 heraus und hatte einen feinen Swing; der Pferdefuß war natürlich Cocker, der sich anstrengte wie ein Marktschreier, um ein bißchen Seele aus sich rauszuprügeln. Ein paar Tracks, „Where Am I Now“, „Lucinda“, „Jack-A-Diamonds“ schaffte er ganz ordentrlieh.

Bei STINGRAY. 76 veröffentlicht, war vor allem die Produktion besser, die Musik der Band einfühlsam, unaufdringlich und vom Niveau her hervorragend. Cocker sang einen Teil der Songs gut, wenn man normale Maßstäbe anlegte und vergaß, wer er einmal war. Eric Clapton spielte als Gastmusiker ein Solo, in Bestform.

LUXURY YOU CAN AF-FORD produzierte 1978 Allen Toussaint, dessen Name mit der in New Orleans beheimateten kreolischen Spielart des Rhythm & Blues verknüpft ist. LUXURY war ein teures Projekt: Die Einspielung verschlang 170000 Dollar. Toussaint tischte ordentlich auf: Ein Wust von Bläsern, Chormädchen, Streichern und Rhythmus-Instrumenten konkurrierte mit Cokkers Gesang. Wieder eine überarrangierte Produktion: Die Herausforderung durch die trotz Auszehrung gewaltige Stimme sowie der eigene Profilterungsdrang machen Produzenten offenbar unsensibel und treiben sie in akustische Materialschlachten. Ein Höhepunkt der LP war der für Cocker maßgeschneiderte Procol Harum-Klassiker „A’Whiter Shade Of Pale“.

Nach vierjähriger Sendepause kam 1982 SHEFFIELD STEEL auf den Markt, Cockers beste Platte seit seinen Veröffentlichungen der spätsechziger Jahre. Genau jene Produktionsfehler, die LUXURY oder MAD DOGS geschadet hatten, wurden hier von Alex Sadkin vermieden. Er schaffte die richtige Zuordnung von Gesang und Instrumenten. SHEFFIELD STEEL war Cockers Platte, und die Qualität der instrumentalen Begleitung blieb dennoch offensichtlich.

Im Compass Point-Studio auf den Bahamas spielte die „Is-Iand“-Session-Mafia, die auch auf Platten von Grace Jones oder Robert Palmer eingesetzt wurde: Sly Dunbar (dr), Robbie Shakespeare (b), Wally Badarou (keyb), Barry Reynolds (g), Mikey Chung (g), Sticky Thompson (perk). Adrian Belew prägte den Titel „Sweet Little Woman“ mit jenem sirrenden Gitarren-Sound, den er auf dem Talking Heads-Album REMAIN IN LIGHT vorgestellt hatte.

Die meisten Tracks von SHEFFIELD STEEL klangen down to earth, bauten auf Rhythm & Blues mit Funk-Untertönen. Cockers emotionale Ausdruckskraft kam wieder zum Vorschein: Sehnsucht in „Seven Days“, Trauer in „Ruby Lee“, Wohlgefühl in „So Good So Righf, schwelendes Fieber in „Talking Back To The Night“. Seine Stimme hatte an Festigkeit gewonnen, er schwamm sicher mit im instrumentalen Fluß.

In der langen Zeit zwischen LUXURY und SHEFFIELD STEEL gab Cocker einige Konzerte in Europa, tauchte ’81 als Gastsänger auf der Crusaders-LP STANDING TALL auf und stand im Herbst ’82 plötzlich an der Spitze der amerikanischen Hitparade mit der Single „Up Where We Belong“, die er im Duett mit Jennifer Warnes sang. Die Ballade stammte aus dem erfolgreichen Film „An Officer And A Gentleman“. In einer Fernseh-Gala, in der dieser Titel präsentiert wurde, trat Cokker auf eine Weise in Erscheinung, die Achtung und Sympathie verdient. Er hatte Mühe zu singen, in seinem zerquälten Gesicht zeichneten sich die ganzen Tiefschläge seiner Laufbahn ab. und seine Bewegungen waren immer noch so linkisch wie 1968. Cocker war er selbst, ehrlich und ungekünstelt. Einmal warf er einen schnellen, mißtrauischen Blick zur Seite auf das merkwürdige Wesen Jennifer Warnes, das mit vielen salbungsvollen Gesten so tat, als hätte es eine Beziehung zu dem, was es sang.

Cockers Platten sind mit Ausnahme von STINGRAY noch alle erhältlich, die meisten auf Cube-Records im Vertrieb der Intercord. 1976 erschien in Deutschland unter dem Titel LI-VE IN L.A. ein Album mit Konzert-Aufnahmen aus dem Jahre ’72; diese LP ist übel. Gleiches gilt für das ’82 veröffentlichte Live-Album SPACE CAPTAIN. Eine Reihe von Samplern wurde mit Aufnahmen aus den Studio-LPs der Jahre ’68 bis ’75 bestückt. Einen Querschnitt durch Cockers gesamte Karriere gibt es bislang nicht.

Nach einem mit viel Beifall bedachten „Rockpalast“-Auftritt auf der Loreley im vergangenen Jahr steht für April eine 20tägige Deutschland-Tournee auf dem Programm; vorab dazu gibt’s eine neue LP. wieder mal auf einer neuen Plattenfirma, diesmal ist es Capitol.

Joe Cocker sitzt weiterhin auf dem Karussell – aber ob er je die Bedienungsanleitung finden wird…?