Combustible Edison


Diese Frage stellt sich tatsächlich: Was, um Himmels Willen, war Michael Cudahy in seinen sieben Leben vor dem Pop? Ein Raubtierbändiger, der das Zirkuspublikum in den Pausen mit ein paar Kunststückchen auf der Gitarre erheiterte? Oder vielleicht doch eher Talkmaster für besonders schwierige Fälle? „Wer von Ihnen spricht hier fließend Esperanto? Keiner? Na ja, hatte ich auch nicht erwartet.“ Bei Cudahys Partnerin Liz Cox ist man sich in Karrierefragen schon sicherer. Die Dame schnurrt wie eine verwöhnte Katze, wenn sie nur auf den Schemel hinters Schlagwerk darf, auf daß sie den Takt angebe. Combustible Edison live, das hat etwas von einem kollektiven Ausflug in vergangene Tage, als die Welt noch über Amischlitten mit Heckflossen staunte, üppige Cocktails der letzte Schrei waren und ‚Frühstück bei TiffanyY die Herzen des Filmvolkes rührte. Nein, die Combustibles tischen keine reine Nostalgie-Show auf. Klar ist aber auch, daß die vier Herren in ihren Goldlame-Anzügen und die schwarz gewandete Dame mit den roten Korkenzieherlocken zweifelsfrei ein Bild für die Swing-Götter abgeben. Und die Fans? Das Swing-Volk? Es gibt sich einen Ruck, rotiert um die eigene Achse, jubiliert und holt sich, später dann, am Ende, drei Zugaben. Aus gutem Grund. Denn Combustible Edison, die Easy-Listening-Trendsetter aus Boston, machen Laune. Wie Konditoren bei der Meisterprüfung zaubern sie jede Menge musikalische Sahnetörtchen aus dem Hut: Bar-Jazz mit Vibraphonklängen, verführerische Latino-Rhythmen, gleitende Surf-Gitarren, eine wonnig wabernde Sixties-Orgel und hyperromantisch orchestrierte Wanderbewegungen zwischen den Welten. Von Hongkong nach Havanna und zurück? Für Michael Cudahy, den musikalischen Weltreisenden, der mit wildem Hüftschwung und präzisem Gitarrenspiel begeistert, überhaupt kein Problem. Das Schöne an diesem ebenso kurzweiligen wie kurzen Abend ist die Tatsache, daß die Combustibles ohne Sicherheitsgurt unterwegs sind. Volles Risiko bei allen Songs, selbst auf die Gefahr hin, daß sie völlig aus dem Ruder laufen. Cudahy, so viel ist sicher, kann und will seine Vorliebe für schrammelnde Gitarren und deftige Rocker nicht leugnen. Auf der anderen Seite deckt seine Band eine geradezu abenteuerliche Palette unterschiedlicher Klänge ab. Selbst Mut zur Mystik bringt man auf: Jetzt spielen wir einen Song über die terra incognita der menschlichen Seele“, verkündet Michael Cudahy. Das Ergebnis, vorgetragen als sanfter Combustible-Swing, klingt wie ein obskures ‚Hello‘ aus anderer Zeit. Dann wieder die Bratgitarre, die alle Anwesenden jäh aus ihren süßen Cocktail-Träumen herausreißt und im Grunde nur eines sagen will: „Hey, hört mir zu. Freunde. Ich bin’s — der leibhaftige Geist des Rock’n’Roll.“