Conrad Keely über Frust
Wir würden gerne über Frust mit dir sprechen.
Frust? Das scheint mir aber kein besonders fruchtbares Gesprächsthema zu sein. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.
Aber kommen nicht die guten Ideen eines Künstlers … … aus einer gewissen Frustration? Hm, okay, jetzt verstehe ich. Stimmt! Wie kommst du darauf?
Wer sich… And You Will Know Us By The Trail Of Dead anhört, merkt sehr schnell, dass diese Musik nicht gerade Sonnenschein und Fröhlichkeit ausstrahlt.
Das ist richtig. Es braucht immer einen Antrieb, und dieser Antrieb ist bei mir eine gewisse UnbehagHchkeit darüber, wie die Dinge stehen. Meistens könnten sie nämlich besser sein, freundlicher. Das gilt übrigens auch für die Politik.
Das Cover von CENTURY OF SELF stammt wieder von dir selbst, wie schon bei SO DIVI-DED… Für SO DIVIDED habe ich den Computer benutzt, um artifizielle Gestalten zu generieren, die aus irgendwelchen Sagen stammen könnten. Die visuelle Herangehensweise war aber auch ein Bekenntnis zur Technologie. Inwiefern? Insofern, als meiner Meinung nach der technische den künstlerischen Fortschritt bedingt. Das klingt vielleicht erst mal unlogisch, aber auch die Ölmalerei war einmal ein technischer Fortschritt gegenüber dem, was vorher war. SO DIVIDED war dementsprechend modern aufgenommen, mit am Computer erzeugten Ideen, um die sich dann erst der richtige Song entwickelte. Auf CENTURY OF SELF haben wir es umgekehrt gemacht: Da stand zuerst der live eingespielte Song, den ich anschließend mit dem Programm „Logic“ überarbeitet und verfremdet habe. So bleibt ein authentisches Gefühl, der Eindruck, es mit etwas Handgemachtem zu tun zu haben. Wie eben auch das Cover. Es handelt sich um eine Zeichnung. Mit Kugelschreiber! Das ist alles andere als eine fortgeschrittene Technologie. Da kann man sich auch keinen Fehler erlauben. Ist das nicht frustrierend gewesen? Es ist eine Technik, die ich in den letzten Jahren selbst entwickelt habe, vor allem auf Tournee, als ich nach einem geeigneten Werkzeug suchte, und Kugelschreiber hat immer jemand dabei. Bleistiftzeichnungen waren mir nicht permanent genug. Eine Linie, die du mit dem Kugelschreiber ziehst, ist eine ziemlich endgültige Linie. Gefrustet war ich dabei allerdings selten, weil ich nicht an echten Gemälden oder Serien gearbeitet habe. Das änderte sich erst mit meinem Umzug nach New York, wo ich anderen Einflüssen und deutlich weniger Ablenkungen ausgesetzt bin als in Austin, Texas. Dort habe ich angefangen, mich ernsthaft mit Kunst zu beschäftigen. Austin hat dich gefrustet, es musste New York sein! Naja, New York ist immer ein großer Schritt für jemanden, der aus einer kleineren Stadt kommt… ich meine, Austin ist meine Heimat, in der ich jede Straße und jeden Hinterhof kenne. Vielleicht hat mich der Umstand wirklich frustriert, dass es dort für mich nichts Neues zu entdecken gab. Es ist für die Kreativität immer sehr hilfreich, sich in eine neue Umgebung zu stürzen … und vielleicht auch sich dem Frust auszusetzen, den das mit sich bringen kann. Je länger ich darüber nachdenke … eigentlich ist der Titel des neuen Albums ein Hinweis auf einen ganz gewaltigen Frust.
Weshab?
CENTURY OF SELF bezieht sich auf eine BBC-Dokumentation über Edward Bernays, einen Neffen von Sigmund Freud, und wie dieser Bernays erstmals die Lehren seines Onkels zu manipulativen Zwecken nutzte.
In der Trieblehre von Sigmund Freud spielt der Frust ja auch keine geringe Rolle. Genau! Bernays gilt als Erfinder dessen, was man heute „Public Relations“ nennt. Sein Schwerpunkt war das Unterbewusste. Und in der Dokumentation „Century Of Seif“ geht es darum, wie durch das Stillen und Aufrechterhalten künstlich geweckter Bedürfnisse ein Gleichgewicht aus Lust und Frust hergestellt werden kann, mit dem die Massen seit nun fast 100 Jahren manipuliert werden. Es dreht sich, kurz gesagt, alles nur noch um Konsum. Der Mensch ist das Tier mit dem unstillbaren Hunger … und damit dem eingebauten Dauerfrust. Der Song „Unsatiable“ auf dem Album handelt genau davon, von dieser verzweifelten Unersättlichkeit, die uns derzeit um alle unsere Lebensgrundlagen bringt. Was lustig ist, weil ich diesen Song ursprünglich für einen Vampirfilm geschrieben hatte (lacht).
Manche Leute machen dafür den Kapitalismus verantwortlich … Ich glaube nicht, dass der Lauf der Geschichte durch Ideologien verändert werden kann. Es gibt immer Menschen, die sich vernünftige Gedanken machen —Wissenschaftler, Politiker, Philosophen. Aber gerade in den USA wird ein großer Teil der Leidenschaften abgezogen von dieser abgöttischen Hinwendung zum Materialismus, der Kreaturen wie Paris Hilton hervorbringt. Oder auch einen Pop-Mainstream, der nur noch darüber singen kann, welche Turnschuhmarke er trägt… Wird sich das ändern? Da bin ich sehr skeptisch. Und ein Teil von mir wünscht sich, das Drastischste und Katastrophalste würde passieren, damit diese Gesellschaft erwacht. Ist das der Grund, warum du Musik machst? Aufrütteln? Nein. Ob du es glaubst oder nicht, ich war immer gegen Politik in der Musik. Früher hörte ich die apolitischen Platten meiner Eltern, Progrock von Yes über King Crimson bis Jethro Tüll. In den Achtzigern bin ich mit einer ganzen Reihe politisch motivierter Bands aufgewachsen, wie z. B. Black Flag. Aber auch deren Haltung hat mich nie interessiert. Erst jetzt komme ich langsam auf den Trichter, dass Politik nichts mit „Liberalismus vs. Konservatismus“ oder so zu tun hat – sondern damit, wie wir unsere Probleme vielleicht doch noch lösen können. Und da empfinde ich tatächhch eine ethische Verantwortung, diese Thematik in meiner Musik anzusprechen. Frust ist also ein unendliches Reservoir für Kreativität? So ist es. Bei WORLDS APART war ich frustriert über die Musikindustrie im Allgemeinen, bei SO DIVIDED über unser Label im Besonderen. Und diesmal, da waren wir auf einer schlimmen Tournee mit einer absolut fürchterlichen Metal-Comedy-Cartoon-Band namens Dethklok, deren Fans uns offen und aggressiv feindselig begegnet sind. Es endete damit, dass wir Shows spielten, die wie Zweikämpfe waren zwischen uns und dem Publikum — und vielleicht zu den besten gehören, die wir je gegeben haben. Die aufrichtige Wut, der brennende Frust, mit der wir diese Shows bestritten, war der Zündfunke für fast alle Songs auf CENTURY OF SELF.
Albumkritik Seite 74
www.trailofdead.com