„Cool bin ich erst mit 60“
ME/Sounds-Autor Chaunce Hayden wurde in Las Vegas zum Gespräch mit Bono gebeten über Karriere, Kohle und eine riesige Zitrone.
Der Vorverkauf der Tickets für die US-Konzerte von U2 könnte besser laufen.Trotzdem gibt Bono sich beim Gespräch in Las Vegas völlig relaxt. In brauner Lederjacke, dunklem Hemd und mit gelblich getönter Brille, an beiden Ohren einen Ring, stellt er sich den Fragen des Interviewers von ME/Sounds.
Wenn man euer neues Album hört und die „Pop Mart -Show sieht, fällt auf, daß ihr die Ernsthaftigkeit früherer Tage abgelegt habt. Fällt es dir schwer, nicht ständig mit dem erhobenen Zeigefinger herumzurennen?
Ich bin einfach geschickter darin geworden, wie ich mit einem Thema umgehe. Nimm‘ zum Beispiel „Please“ (aus dem aktuellen Album „Pop“/Anm. d. Red.). Der Song ist nur eine andere Version von „Sunday Bloody Sunday“. Es geht darin um genau die gleichen Probleme. „Please“ ist nur wesentlich intimer, weil es eben darin um zwei einzelne Menschen geht. Abgesehen davon erstaunt es mich immer wieder, daß geistige Dinge und Spiritualität im Rock’n’Roll echte Tabuthemen sind.
Ist eine ernsthafte Rockband nicht ein Widerspruch in sich?
Ein Menge Leute sagen das jedenfalls. Aber es ist doch so: Immer, wenn Rock’n’Roll wirklich gut ist, ist normalerweise jede Menge Spaß dabei, aber auch Gefühle und Gedanken, die so vorher noch nicht gesagt und ausgedrückt worden sind. Es gibt eine Menge sogenannte ernsthafte Musik, die nur bedingt als Rock’n’Roll durchgeht. Da paßt dann irgendwas nicht zusammen. Nimm beispielsweise die Sachen aus den frühen 7oern, die man jetzt ja üblicherweise als äußerst ernsthaft bezeichnet…
… aber heute oft nur noch lächerlich klingen.
Genau. Aber wenn du dann, sagen wir mal, Phil Spector hörst, oder sogar die Monkees, klingt das heute immer noch toll.
Also besteht die Herausforderung darin, ernsthafte Inhalte rüberzubringen, ohne mit der eigenen Wichtigkeit hausieren zu gehen?
Genau, das ist es. Ich liebe zum Beispiel Patti Smith. Sie hat unsere Band stark beeinflußt. Patti feuerte zwar nicht ununterbrochen Lachsalven ab,dafüraber besaß ihre Musik ein Höchstmaß an Seele. Außerdem hängt ja auch immer alles vom jeweiligen Thema ab. Songs sagen dir immer auch ein bißchen, was du tun sollst. Und so waren die Lieder und die Themen auf unseren Alben dafür verantwortlich, wie nachher die Show aussah; sie geben eben das Thema vor-und sind schuld an absurd aussehenden Schuhen und sonderbaren Schnurrbärten. und an riesigen Zitronen im Stadion. Der wirkliche Witz an der neuen Show ist, daß du, wenn du nach einer zwölf Meter hohen Zitrone verlangst, sie auch prompt bekommst.Toll. Sicher ist das Trash, aber es bedeutet eben auch Spaß. Und es bedeutet vor allem, daß wir mit diesen Dingen das Publikum ködern und mitreißen wollen. Die Show soll bei den Leuten all jene Emotionen hervorrufen, die auch wir mit unserer Musik verbinden.
Im äußerst kurzlebigen Popbusiness seid ihr seit Jahren eine feste Größe.
Ja. Aber es ist sowieso ziemlich erstaunlich, daß die Leute glauben, Rock’n’Roll, Pop oder ähnliches sei das Eigentum von Teenagern. Von wegen. Ich kenne Teenager, die zehnmal reaktionärer sind als ihre Eltern. Und es gibt Leute in meinem Alter, die die Liebe zur Musik nie verlassen hat und die sich immer weiterentwickeln wollen. Der Tod eines jeden Menschen fängt sowieso mit seiner Plattensammlung an: Kauft er keine aktuellen Platten mehr, ist das Leben aus. Nein, das Alter hat da überhaupt keine Bedeutung. Wir sind immer noch jung. Manche Leute kapieren gar nicht, daß zwischen uns und den Rolling Stones oder den Who 15 Jahre liegen. Nur, weil wir das alles schon machen, seit wir 18 sind, sagen alle „Himmel, sind die schon lange dabei!“ Im übrigen möchte ich sowieso sehr alt werden. Und zwar deshalb, weil ich erst mit 60 so richtig cool sein werde. Mit 50 muß ich da bestimmt noch dran arbeiten. Derzeit bin ich in Sachen Coolness ein glatter Ausfall.
Das glaubst du doch nicht im Ernst.
Ich glaube ja nicht mal, daß unsere Musik cool ist. Schön, wir haben ein paar ganz coole Konzerte hingelegt und einige coole Videos gedreht. Aber eigentlich ist unsere Musik, hoffe ich doch, ziemlich heiß und mithin völlig uncool. Offen eben. Cool sein bedeutet dagegen, abgeschirmt zu sein und auf dem hohen Roß zu sitzen. Wir spielen mit dem coolen Getue nur so rum. Es ist nichts weiter als ein großer Spaß. Wir wollten von Anfang an den Mainstream ein bißchen aufmischen. Nicht an der Oberfläche mitschwimmen, aber immer mit der Option,in den Charts zu landen. Wir sind vom Erfolg derart verwöhnt, daß wir schon wieder darüber hinausblicken können. Viel schwerer ist es schon, eine echte Bedeutung zu haben. Bedeutend zu sein, ist mir eindeutig noch wichtiger, als Erfolg zu haben.
Glaubst du, daß es mit U2 je bergab gehen könnte?
Vielleicht nach einem wirklich miesen Album. Aber diese Gefahr ist nicht groß. Ich denke nicht, daß U2 je den Bach runtergehen werden. Es macht für uns sowieso keinen großen Unterschied mehr, ob wir eine Million Alben verkaufen oder zehn. Wir haben genug Erfolg gehabt. Ich habe mein Haus, habe meine Schäfchen im trockenen. Wir haben unseren Schnitt schon gemacht, als wir Mitte 20 waren. Und alles, was passierte war, daß wir uns ein wenig von den Leuten entfernten, mit denen wir aufgewachsen waren und die uns nach wie vor wichtig sind. Es stimmt, daß ich mit ziemlich vielen Dingen reich beschenkt worden bin. Und wenn ich mich so umschaue, sehe ich viele Typen, die weniger haben. Ich meine damit nicht nur die materiellen Dinge. Es gibt zwar viele, die glauben, du bist ein wahnsinnig toller Hecht, wenn du viel besitzt. Aber tatsächlich bedeutet Besitz nur irgendwelche veränderten äußeren Umstände. Mir persönlich geht es nicht um Äußerlichkeiten. Ich will, daß es meiner Familie gutgeht, daß ich meine Freunde nicht verliere und daß die Band immer das Potential ausschöpft, das sie hat.
Gibt es für euch noch Herausforderungen?
Es war immer so, daß wir uns gern mal an irgendwas festgebissen haben und dann nicht mehr loslassen konnten. Aus irgendwelchen Gründen versuchen wir uns gern am Unmöglichen. Das Ergebnis sind Fragen wie diese:“Wie könnt ihr als Rockband eigentlich den Anspruch erheben, daß eure Musik auch in Dance-Clubs gespielt wird“? Oder andersrum: Ihr wollt eine ernsthafte Rockband sein? Was treibt Ihr dann mit einer riesigen Zitrone mitten im Stadion?“
Welche Verantwortung hast du deiner Meinung nach als Künstler dem Publikum gegenüber?
Ganz ehrlich, ich bin viel zu egoistisch, um anderen Menschen irgendetwas zu vermitteln. Aber es kann durchaus sein, daß andere zu unseren Songs eine Verbindung herstellen können und rausfinden, was davon für ihre persönliche Situation wichtig ist. Momentan aber haben wir einfach ziemlich viel Spaß an der Tatsache, daß wir Rockstars sind. Wir haben uns zehn Jahre lang vorgegaukelt, wir seien keine. Aber wir sind eben welche.