Cover Boy


Martin L.Gore ist der musikalische Kopf von Depeche Mode und steht doch im Schatten von Dave Gahan. Jetzt singt er selbst mal Lieder, die andere geschrieben haben.

Draußen ist die Lage ernst, und selten war es so wichtig, dass ein Fluss die Stadt mit den zwei Türmen teilt. Draußen, das ist in diesem Fall die linke Rheinseite: Auf der Uferpromenade tummeln sich Zehntausende, hemmungslos besoffen von organisierter Heiterheit und natürlich von diversen Alkoholika. Weiberfastnacht in Köln, alle Formen zivilisierten Benehmens sind bis Aschermittwoch außer Kraft gesetzt. Da ist es hilfreich, dass der Ort unseres Treffens rechtsrheinisch liegt und außerdem ein Fünf-Sterne-Hotel ist. Der Karneval hat hier Hausverbot, die Fenster in der großzügig bemessenen Interviewsuite halten dicht, der Lärm der Meute findet nicht statt; schön surreal sind die tonlosen Bilder vom Schunkel-Wahnsinn der Masse am anderen Ufer.

Martin Gore ist auf der sicheren Seite und ganz real da, in natura viel kleiner als man vorher dachte. Rein optisch wirkt er ein bisschen verloren auf dem schwarzen Ledersofa, mental ist er voll bei der Sache. „Die Idee, ein Album mit lauter Coverversionen zu machen, schwirrte mir schon länger im Kopf rum. Ende der Achtziger gab’s ja schon Counterfeit, ober das war nur eine EP und irgendwie eine halbherzige Sache, eine fixe Idee. Das ist Counterfeit 2 nicht; bei dieser Platte möchte ich auf keinen Fall der Typ von Depeche Mode sein, der sich in den Vordergrund spielt. Mir liegt viel mehr daran, der Vermittler zu sein, der mit seinen Coverversionen neugierig macht auf die Originale.“

Sehr ernsthaft und konzentriert wirkt Martin Gore bei allem, was er sagt – und auf alle Fälle wie einer, der nicht nur seine Schäfchen im Trockenen, sondern auch ein Anliegen hat: Depeche-Mode-Fans und andere Menschen auf neue musikalische Spuren zu führen. „Ich möchte früher die Coverversionen, die Bryan Ferry auf seine Solo-Alben gepackt hat, sie haben mich für eine Menge Musik geöffnet, von der ich vorher noch nie gehört hatte. Wenn ich die Originale dann in irgendwelchen Schallplattenläden gefunden hatte, hab ich versucht rauszufinden, was Künstler antreibt, davon eine Coverversion zu machen.“ Für sich selbst weiß Martin Gore mittlerweile, warum und weshalb bei ihm ein Song die emotionale Zwölf trifft: „Am Anfang war mir nicht klar, was genau die Kriterien für die Auswahl der Songs auf Counterfeit 2 sein sollte, weil ich so unterschiedliche Musik mag. Mit der Zeit aber kristallisierte sich heraus: Ein Song muss nicht nur deine Ohren erreichen, sondern zu gleichen Teilen auch dein Herz und deine Seele berühren.“

Die elf Songs, die es auf Counterfeit 2 geschafft haben, stammen im Originalaus den unterschiedlichsten Ecken des stilistischen Gemüsegartens – und werden in den neuen Arrangements eben genau für die Songlänge zu Martin Gores Liedern. Erstaunlich, wie er Nick Caves Loverman stramme sieben Minuten lang unter Strom setzt, mit Beats sachte unterfüttert und den Song so zum einem elektrifizierten, flirrenden Ort der Düsternis macht; beeindruckend, wie Gore Das Lied vom Einsamen Mädchen singt. „Ich hab den Song in der Version von Nico kennen gelernt und dachte gleich: Wahnsinn, der Titel ist ihr wie auf den Leib geschneidert, er klingt traurig und interessant zugleich“, erklärt er. „Ich singe das Lied nicht nur phonetisch auf Deutsch; ich verstehe auch, was ich da singe. Deutsch hatte ich in der Schule, und am besten hab ich’s gelernt, als mir mal ein deutscher Handwerker zwei Jahre lang mein Haus renoviert hat. Er sprach kein Englisch, und weil ich ja wollte, dass er alles so macht, wie ich es haben wollte, musste ich eben Deutsch sprechen. Und es hat hingehauen: alle Farben, alle Anstriche und alle Wände waren hinterher so, wie wir’s besprochen haben.“ Martin Gore grinst, verfällt unmittelbar in ein meckerndes Lachen und legt dann in Sekundenschnelle den Schalter wieder in Richtung Seriosität um. „Die Songs auf Counterfeit 2 sind alle geborgt, aber die Leidenschaft, mit der ich sie interpretiere, die ist echt. Ich habe versucht, den Songs meine Identität zu verpassen, ohne ihnen den ursprünglichen Charme zu nehmen. Ist das nachvollziehbar?“, fragt Gore auf Deutsch, lehnt dann aber ab, das Interview auch in dieser Sprache fortzuführen:. „Nein. Es ist auf schon auf Englisch schwer genug, sich vernünftige Antworten auszudenken.“ Was der Superstar nicht so schätzt: allzu tief gehende Fragen, die auf Depeche Mode abzielen. Ja, Andrew Fletcher habe bereits eine Kopie von Cunterfeit 2 und finde das Album gut; nein, Dave Gahan habe die Songs noch nicht gehört, wolle aber unbedingt auch schnell ein Promoexemplar. „Wir hatten jetzt längere Zeit keinen Kontakt“.

sagt Martin Gore – und das klingt nicht eben so, als seien Gahan und er noch gute Kumpel. Geschäftspartner, die einander schätzen und brauchen, das trifft es wohl eher. Nun gut: Über 20 Jahre Musikbranche haben zwangsläufig ihre Spuren hinterlassen, und Risiken und Nebenwirkungen gab’s eben reichlich. „Dass wir es mit Depeche Mode so weit gebracht haben, überrascht mich heute noch manchmal. Genauso wie bestimmte Bilder aus den achtziger Jahren. Wir hatten schon oft komische Klamotten an und auch diskussionswürdige Frisuren. Kann sein, dass es dafür mal Gründe gab – aber ich komme heute nicht mehr drauf, welche das gewesen sein könnten.“ www.martingore.com