CSN&Y in London: 80000 Fans wie in einem Hexenkessel!


Die englische Musik-Presse hatte den Crosby, Stills, Nash & Young-Auftritt in London als ‚Konzert des Jahres‘ angekündigt – Grund genug für den Veranstalter Mel Bush, gleich das Wembley (Fussball) Stadion in Beschlag zu nehmen. Mit einer sensationellen Besucherzahl konnte natürlich mit gutem Grund gerechnet werden, zumal das Vorprogramm von ‚The Band‘, die neulich noch mit Bob Dylan durch Amerika tourte, und der kanadischen Sängerin Joni Mitchell bestritten wurde. MUSIK EXPRESS durfte bei diesem Ereignis natürlich nicht fehlen. Bei strahlendem Sonnenschein erlebten wir, um es gleich vorweg zu sagen, eines der schönsten ‚Festivals‘, die jemals in Europa stattgefunden haben. Im Stadion, das offiziell nur 73000 Besucher aufnehmen durfte, tummelten sich grob geschätzt mindestens 80 000 Rock-Liebhaber. Das spricht für sich selbst! Die meisten der Konzert-Besucher verpassten allerdings den amerikanischen Folk-Rocker Jesse Colin Young, der unangekündigt bereits eine halbe Stunde vor dem offiziellen Startzeichen die Wembley-Bühne betrat. Trotzdem – es knisterte bereits um ein Uhr mittags vor Spannung, als die ‚Band‘ angekündigt wurde.

Auch ohne Dylan ging die Post ab!

Spätestens letzt wurde es klar, dass Bob Dylan – entgegen den Gerüchten, die wochenlang in London herumkursierten – nicht mit von der Partie war. Schade. Sicherlich hatten die meisten der 80.000 Festival-Freaks doch noch bis zuletzt an das Unmögliche geglaubt. Doch auch ohne Bob bot die ‚Band‘ ein herrliches Konzert mit all ihren bekannten Songs wie z.B. ‚The Weighf, ‚Up On Crfppte Creek‘ und ‚The Night They Drove Old Dixie Down‘. Unbestrittener Höhepunkt dieses Acts war zweifelsohne ein minutenlanges Orgel-Solo vom Band-Pianisten Garth Hudson. Nach einer Umbaupause, die sich in erträglichen Grenzen hielt, stellte sich Joni Mitchell’s Backing-Group ‚The L.A. Express‘ vor. In einem halbstündigen Set entpuppte sich die Gruppe, die diesen Monat in den USA mit George Harrison und Ravi Shankar auf Tournee ist. als eine Funky-Band mit kräftigem Jazzeinschlag. Ihr Sound hat übrigens eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem von Klaus Doldingers Passport. Als Joni Mitchell, die schlanke, blonde Folk-Rock-Göttin aus Kanada schliesslich die Bretter betrat, zeigte das Publikum, dass es sich noch lange nicht ausgetobt hatte. Die ‚Band‘ wurde bereits erstaunlich intensiv mit Beifall bedacht – bei Joni dagegen entstand bereits sowas wie gemässigte Hysterie.

Nicht gerade unerotisch

Eigentlich hatten wir von ihr sanfte Folk-Melodien erwartet. Umso grösser war die Überraschung, als sie ihre bekannten ‚Liedchen‘ wie beispielsweise ‚Big Yellow Taxi‘ und vor allem ‚Woodstock‘ in einer zündenden Funky-Fassung durch die Lautsprecher-Türme jagte. Es war nicht nur die hervorragende, eigens aus Amerika eingeflogene Verstärker-Anlage und der perfekte ‚L.A. Express‘, die dafür sorgten, dass man nicht mehr für möglich hielt, was einem da in die Ohren reinkam, es waren in der Tat vor allem Joni’s äusserst sensible Stimmbänder, deren nicht gerade unerotischer Klang reichlich unter die Gänsehaut ging.

George Harrison schlich um die Lautsprecher-Boxen

In der Pause vor dem Ereignis des Abends (immerhin war es jetzt bereits halb sieben) konnte man auf der Bühne einen Fotografen ausmachen, der um die Lautsprecher-Boxen schlich und das Publikum knipste. An diesem Tag musste man alles für möglich halten, so überraschte es denn auch kaum noch, als sich herausstellte, dass es kein anderer war als George Harrison, der da Aufnahmen für’s Familienalbum schoss. Genau als die Sonne unterging, wurden David Crosby, Stephen Stills, Graham Nash und Neil Yojung angekündigt. Der Moment, auf den 80 000 gewartet hatten, war gekommen. Die Menge auf dem grünen Rasen schien wie von unsichtbaren Nadeln gestochen und sprang auf. Sie begrüsste die vier inzwischen legendären Musiker mit einer undefinierbaren Mischung aus Applaus, Schreien und Pfiffen von einer Lautstärke, wie es die englische Queen wohl in ihrer besten Ze.it noch nicht erlebt hat. Im Handumdrehen hatte sich das Wembley Stadion in einen Hexenkessel verwandelt.

Trotz gestutzter Mähne ein Märchen

Von seiner äusseren Erscheinung her fiel Neil Young auf den ersten Blick wohl am meisten auf, weil er seine Mähne erheblich gestutzt hatte. Zunächst präsentierten sich Crosby, Stills, Nash & Young als eine fetzende Rock-Band, die in nichtendenwollender Reihenfolge einen bekannten Song nach dem anderen vom Stapel liess. Dann wurden die elektrischen Gitarren zur Seite gelegt, und eine weitere Stunde verstrich mit den sanfteren auf akustischen Instrumenten gespielten Titeln. Es war beinahe unheimlich mitzuerleben, wie sehr CSN&Y ihre 80 000 aus allen Teilen Europas herbeigeströmten Anhänger in der Hand hatten. Bestes Beispiel dafür war der Moment, als David Crosby die Menschenmenge aufforderte mit ihm zusammen durch Zischlaute einen akustischen Fantasie-Ozean zu schaffen. Kein Zweifel – was in Wembley passierte, war kein gewöhnliches Rock-Konzert. Es war ein Ereignis…. ein Märchen.

Was wäre passiert, wennCSN&y keine Zugabe gegeben hätten?

Teach Your Children‘, ‚Love The One You’re With‘, ‚Helpless‘ und ‚Our House‘ waren nur ein paar Songs, bei denen Zigtausende im Stadion mitsangen. Richtig hysterisch wurde es, als die vier auf der Bühne ohne jede Instrumental-Begleitung den Beatles-Song ‚Blackbird‘ anstimmten, in dem es hiess ‚you’ve been waiting for this momoment to arrive‘. Das traf den Nagel auf den Kopf, denn genau das war es, was in 80 000 Köpfen vor sich ging. Um die Stimmung zwischendurch immer wieder ein bisschen abzukühlen, gab es im Verlauf des Gigs Solo-Passagen für Stephen Stills, Graham Nash und natürlich Neil Young. Bevor CSN&Y die dritte Runde (sprich: Stunde!) einläuteten, hatte sich auch Joni Mitchell wieder auf der Bühne eingefunden, um mit ihren vier guten, alten Freunden zusammen einen zu singen. Schliesslich wurde erneut auf ‚elektrisch‘ umgestiegen. CSN&Y brachten ein paar neue Songs, bis mit ‚Almost Cut My Halr‘ (reichlich unaktuell, wenn man sich Neil’s neue Frisur anschaut….) ein weiterer Oldie-Titel ausgegraben wurde. Der tierische Abschluss des Abends war eine endlos lange Version von ‚Carry On‘. Natürlich war es damit noch nicht getan denn …. was wäre wohl passiert, wenn Crosby, Stills, Nash & Young keine Zugabe gegeben hätten? Daran brauchte man zum Glück nicht zu denken. Die Neil Young-Komposition ‚Ohio‘ war vielleicht nicht der idealste Zugaben-Titel, weil dessen Anti-Nixon-Text nur noch an den Alptraum erinnerte, gegen den er ursprünglich gerichtet war. Über eins wurden wir jedoch in Wembley gründlich belehrt: Nur eine Band mit dem musikalischen Power von Crosby, Stills, Nash & Young kann behaupten, nur für’s Geld zu spielen – weil man es ihr einfach nicht glaubt!