Rebel Without A Cause
Vor zwei Jahren, am 26. Februar 2019, ist unser Freund, Kollege und Filmkritiker Daniel Krüger mit 31 Jahren gestorben. Das hier war und ist unser persönlicher Nachruf.
Über den Tod haben wir so oft geschrieben. Nachrichtlich. Mechanisch. Distanziert. Dolores O’Riordan ist tot. Avicii. Bruno Ganz. Karl Lagerfeld. Und so weiter. „Tagesgeschäft“, wie es in der Branche so trocken heißt. Nachdem am Abend des 25. Februar die Schlagzeile die Runde machte, dass Talk Talks Mark Hollis gestorben sei, kam alles anders. Denn Stunden später starb ein anderer, dessen Tod mir näher geht, als es der Tod jedes Musikers oder Schauspielers je tun wird: Überraschend ist unser Freund und Kollege Daniel Krüger mit nur 31 Jahren gestorben.
Daniel arbeitete seit 2014 in unserem Verlag. Nach einer Steuerlehre, die bis heute nicht so recht zu dem nonkonformen Rebellen, der er war und wohl auch sein wollte, passen mag, absolvierte er ein Praktikum bei unserem Filmmagazin ME.MOVIES. Er ergatterte ein Volontariat bei der Axel-Springer-Akademie, Stammredaktion „Die Welt“. Ein Arbeitgeber, für den ihn ein paar seiner linksengagierten Freunde auslachten. Daniel zeigte ihnen damit, wie ernst er es mit seinem neuen Beruf meinte – und wie egal ihm Widersprüche sind. Er brachte nicht nur einen im Haus geliebten Mops namens Martin, sondern auch Ahnung von Filmen und Serien, Talent und Bock auf Journalismus mit, das merkte man von Anfang an. Wir engagierten ihn als Online-Redakteur. Er kam, machte es sich und uns nie zu bequem, und blieb. Weil unsere Leser sich wie wir für seine meinungsstarken Texte interessierten. Denn Haltung, die hatte und zeigte er.
Daniel hörte gerne derben Deutschrap. K.I.Z, VSK, sogar Kollegah. Er machte sich darüber lustig, dass er damit wohl allein in der Musikexpress-Redaktion sei und betonte gleichzeitig, dass er über Musik nicht schreiben könne. Ironischerweise gehörten seine Livekritiken von Roger-Waters- und Katy-Perry-Konzerten und seine Albumbesprechung von Grönemeyers „Tumult“ zu seinen stärksten Texten. Vielleicht, weil er das Wesentliche sah.
Daniel gab sich von Anfang an als schöner Punk, als Outlaw. Als rebel without a cause, obwohl ihn Filmklassiker wie jener kalt ließen. Als wild kid. Als Provokateur. Sogar als Casanova. Als einer, der in Konferenzen Tacheles sprach. Er vergriff sich gerne mal im Tonfall. So oft wie wir über seine direkte bis undiplomatische Art schimpften, so sehr schätzen wir es auch, jemanden im Team zu haben, der Dinge nicht als gegeben hinnimmt. Er war stets für einen inkorrekten Witz zu haben. Dass er ein herzensguter Kerl war, der sich auch für Andere interessierte und zuhören konnte, stand nie zur Debatte.
Wenn Daniel morgens irgendwann, nicht selten mit Kippe, Sonnenbrille und Hund, in die Redaktion geschlufft kam und nicht gleich wieder zur Pressevorführung eines kommenden Kinofilms losmusste, wusste ich, dass ich die nächsten zehn Minuten nicht in Ruhe würde arbeiten können. Mit rhetorischen Fragen wie „Fabian, willst Du mal hören, was ich…?“ fingen seine täglichen Storys an. Daniel musste sich mitteilen, er hatte etwas zu sagen. Und gerne in Superlativen. Das Großraumbüro war seine Bühne. Und es sind diese Gespräche mit ihm, die am Ende des Arbeitstages blieben – und weit darüber hinaus.
Künstler und Journalist
Er besaß eine sehr eigene, selbstironische Eitelkeit. Auf Instagram versah er Selfies wegen seiner langen blonden Haare mit dem Hashtag #Cobain, im Rap-Video eines Bekannten mimte er gar ein Double des Nirvana-Sängers. Dort nannte er sich „Artist and Journalist“, denn ja: Eigentlich war Daniel ein Künstler. Er malte Bilder, stellte einige Male aus, „dkr“ war sein Kürzel und sein Spitzname und man konnte sich oft nicht sicher sein, ob er sich wirklich als Künstler verstand oder als einen, der das „Kunstgame“ – so nannte er es – bloß ausprobieren, parodieren oder als ernstes Hobby anspielen wollte.
Sicher ist: Daniel wollte und konnte mehr, als manchmal drin war. Im Onlinejournalismus bleibt oft zu wenig Zeit für lange Recherche, Außer-Haus-Termine, Reportagen. Umso mehr genoss er und ging darin auf, wenn er es doch tun konnte, ob beruflich oder privat: Für die „Welt“ ging er vor einigen Monaten einem Missbrauchsfall in einem Pflegeheim nach. Für uns interviewte er Ai Weiwei. Ridley Scott. Spike Lee. Patrick Stewart. Henry Rollins, Gaspar Noé, Ramin Djawadi, Muse, berichtete von der Berlinale. Mischte sich während der #Wirsindmehr-Demo für ein paar Tage und eine Nacht unter Chemnitzer – er stammt selbst aus der Nähe von Cottbus und kannte Rechte – und Besucher. Weil es ihm wichtig war.
In der Nacht vor seinem Tod schaute Daniel die Oscar-Verleihung und blieb danach im Home Office. Wir chatteten über Berufliches und Privates, nahmen wie immer gegenseitig unsere Texte ab. Mit Sassan vom „Rolling Stone“ nahm er seit einigen Wochen ihren neuen Film- und Serien-Podcast „Die Streifenpolizei“ auf. Auch ein Resultat dessen, nicht nur mehr zu wollen, sondern auch mehr zu machen. Am Dienstag hätte die neue Folge aufgezeichnet werden sollen, Daniel freute sich sehr darauf.
Die neue Aufnahme fand nicht mehr statt. Aber in den alten Folgen können wir uns anhören, wie leidenschaftlich Daniel, dieser Nerd mit Expertise, über Filme und Serien reden und streiten konnte. Wie sehr er Journalist war und nicht Steuerfachangestellter. Ahnen, was für ein Künstler in ihm pochte. Und wie schrecklich still es in der Redaktion jetzt ist.
Zum Nachruf von Sassan Niasseri auf RollingStone.de.
Dieser Nachruf erschien erstmalig am 6. März 2019 auf musikexpress.de und danach auch im gedruckten Musikexpress.