Daniel Radcliffe: „Ich kriege jede Rolle, die ich möchte“
Fast jeder kennt Daniel Radcliffes Gesicht, seitdem er es im Alter von zehn Jahren erstmals dem Zauberlehrling Harry Potter lieh. Mittlerweile spielt der Mittzwanziger deutlich spannendere, vielseitigere Rollen. Trotzdem werden seine jüngsten Filme oft sträflich ignoriert. Ein Gespräch über die Vor- und Nachteile seines frühen Ruhms.
Wie gern möchte man an dieser Stelle schreiben, dass 2016 das Jahr sein wird, in dem Daniel Radcliffe endlich das Image vom ewigen Zauberlehrling abstreifen kann. Wieder hat er Rollen angenommen, die – wie man ständig liest – „nun gar nicht zu ihm passen“, und diese mit mehr Spielfreude ausgefüllt, als es bei „Harry Potter“ überhaupt möglich gewesen wäre. Aber Radcliffe wird auf immer dieser Typ bleiben, der durch die acht Potter-Filme nicht nur weltbekannt, sondern auch wahnsinnig reich geworden ist. Ach so: und zwischenzeitlich zu einem Wrack, das sich noch vorm Ende seiner Pubertät fast ins Jenseits gesoffen hätte.
Aber der 27-jährige Brite kann Kinderstars wie Macaulay Culkin, die vor ihm abstürzten, dankbar sein: Als es mit der Zauberei vorbei war und die Depressionen kamen, war niemand überrascht, dass ein Kind unter der Last einer milliardenschweren Marke zerbricht. Die Medien hauten nicht ganz so doll drauf, Radcliffe konnte sich in Ruhe erholen und seine Zweitkarriere beginnen. Dass die im Vergleich zu der davor winzig ist, ist besonders im Hinblick auf die Filme schade, in denen er gerade zu sehen ist: Aktuell startet sein Film „Film Swiss Army Man“ im Heimkino. Und Anfang Dezember erschien bereits sein Nazi-Thriller „Imperium“ auf DVD (dass er direkt ins Heimkino wanderte, ist übrigens eine Beleidigung für den Film).In ersterem spielt er eine doof grinsende, furzende Leiche, die zum Mittelpunkt ambivalenten Philosophierens über das Leben wird. In „Imperium“ einen Cop, der sich monatelang in den Abgründen der amerikanischen Neonazi-Szene herumtreibt. Dass Radcliffe nicht mehr kann, als von seinem früh erlangten Ruhm zu leben, behaupten mittlerweile nur noch die ärgsten Neider. Trotz- dem wird er auf ewig der moderne Zauberlehrling bleiben, was ihn selbst bizarrerweise am wenigsten zu stören scheint.
me.Movies:Liest du eigentlich die Artikel über dich?
Daniel Radcliffe: Manchmal.
Kannst du dich an den letzten erinnern, in dem nicht „Harry Potter“ vorkam?
(lacht) Nein, kann ich tatsächlich nicht. Um ehrlich zu sein, glaube ich auch nicht, dass das überhaupt vorkommt. Aber ganz sicher bin ich da nicht.
Du hast es also aufgegeben, darauf zu warten?
Ich habe den Fakt akzeptiert, dass ich über Potter sprechen werde, bis ich 90 bin. Und ich bin froh darüber. Ich wäre sonst nicht in der Position, in der ich bin. Nerven würde es mich, wenn ich nicht die Filme drehen könnte, die ich wirklich machen will. Aber ich be- finde mich gerade in einer Phase meiner Karriere, in der ich sehr zufrieden mit allem bin und des- halb auch gern über Potter rede.
Hast du jemals darüber nachgedacht, mit der Schauspielerei aufzuhören?
Nein, auf keinen Fall. Ich habe es immer geliebt, am Set zu sein.
In der Vergangenheit hast du aber oft darüber gesprochen, wie hart es ist, in der Öffentlichkeit zu stehen. Außerdem dürftest du ja noch genügend Geld auf der hohen Kante haben. Das wirft schon die Frage auf, warum du nicht mal fünf Jahre Pause machst ...
Viele Leute scheinen sich genau das zu fragen. Meine Antwort ist immer: Nein, ich schauspielere schon, seitdem ich zehn Jahre alt bin. Keine Ahnung wie mein Leben aussehen würde, wenn ich nicht eine gewisse Zeit im Jahr an einem Filmset verbringen würde. Ich liebe den Job einfach zu sehr, um ihm den Rücken zu kehren.
Bekommst du jede Rolle, die du möchtest?
Hm … (überlegt eine Weile) Ja, eigentlich schon. Ich habe aber auch großes Glück mit den Sachen, die mir angeboten werden.
Würdest du jemals wieder einen Vertrag über die Laufzeit von acht Filmen unterschreiben?
Nein! Einige Male wurden mir sehr interessante Serienrollen in den USA angeboten. Aber ein Vertrag über sieben oder mehr Jahre würde sich für mich klaustrophobisch anfühlen.
Gerade hast du zwei starke Filme gedreht, „Swiss Army Man“ und „Imperium“. Wenn man deinen Namen allerdings bei Google News eingibt, kommt fast nur „Harry Potter“ – immer noch. Macht es dich nicht traurig, dass deine neuen Arbeiten oft übersehen werden?
Eigentlich nicht. Es gibt ja noch genug Leute, die sich „Swiss Army Man“ anschauen oder über „Imperium“ reden. Beide Filme haben gute Kritiken bekommen. Es sind eben Indie-Filme. Dass sie überhaupt Aufmerksamkeit bekommen, ist fantastisch. Weißt du, es werden sich im Leben keine Möglichkeiten für mich ergeben, die sich nicht auf „Harry Potter“ zurückführen lassen. Ohne Potter kein „Swiss Army Man“, ohne Potter kein „Imperium“. Man darf nur nicht zu viel Zeit damit verbringen, darüber nachzudenken. Was ich kontrollieren kann, sind die Filme, die ich jetzt mache.Wie kamst du dazu, dir ein so irres Projekt wie „Swiss Army Man“ auszusuchen? Die Regisseure sind komplette Newcomer.
Die beiden Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert haben vorher viele Musikvideos und Kurzfilme gedreht. Sie sind unglaublich kreative, talentierte Menschen mit einer enormen Vorstellungskraft. Als ich das Drehbuch gelesen habe, hatte es mich schon auf Seite zwei oder drei.
Du spielst dort eine Leiche …
Und dann werde ich von Hank, diesem suizidgefährdeten Typen, gefunden. Und der bringt meiner Leiche dann alles über das Leben bei: Was es überhaupt bedeutet, lebendig zu sein. Am Ende findet Hank dann heraus, wie wertvoll seine eigene Existenz ist.
Ist es eigentlich ein trauriger oder ein fröhlicher Film? Der Tonfall ist zumeist lebensbejahend, dann kommt ein unfassbar deprimierendes Finale, gekrönt vom dreckigen Grinsen deiner Leiche.
Hank muss irgendwann natürlich wieder zurück in die normale Welt. Aber trotzdem weiß man, dass er irgendwie klarkommen wird. Ich finde, es ist ein fröhlicher Film geworden über die Freude, am Leben zu sein. Die deprimierenden Szenen sind nah an der Realität. Es gibt immer mehr als Freude und Traurigkeit, es gibt immer einen Bereich dazwischen.
In „Imperium“ spielst du einen FBI-Agenten, der eine militärisch organisierte Nazi-Zelle in den USA infiltriert. Rechte Kräfte sind auch in Europa wieder ein Thema – wenn auch nicht zwingend mit so militaristischen Typen.
Ähnliche Reaktionen hatten wir nach vielen Screenings: „Diese Typen existieren doch nicht wirklich, oder?“ Doch, sie existieren. In den USA beobachten wir gerade, dass sie sich zum politischen Mainstream hin orientieren. Es fühlt sich an, als hätten wir den Film zur richtigen Zeit gemacht.
Hätte der Film auch in Großbritannien spielen können?
Absolut! Diese nationalistischen Bewegungen gibt es überall. Im Moment erleben wir ja nicht nur einen Anstieg bei der Anzahl, sondern auch bei der Lautstärke solcher Bewegungen – auch innerhalb der politischen Systeme.
Du pendelst zwischen New York und England. Bist du nach dem nationalistischen Ruck, der im
Brexit gipfelte, weniger gern in deiner Heimat?
Wenn ich in England bin, dann lebe ich in London. Und das ist eine Blase innerhalb Englands. Voller Leuten wie mir, die gegen den Brexit gestimmt haben. Ich kam mir nach der Entscheidung auch ein bisschen dumm vor. Ich war so sicher, dass wir als Land in der EU bleiben. Und plötzlich offenbarte sich, wie weit entfernt ich von großen Teilen des Landes bin.
Du hast viele junge Fans, die zum ersten Mal wählen dürfen. Könntest du nicht ein politisches Vorbild sein?
Beim Brexit ist es ja zu spät. Aber auch sonst möchte ich nicht zu sehr involviert werden. Politische Werbung mit mir wird man nicht zu sehen bekommen.
Es gibt Schauspielgrößen, die so etwas sehr gerne machen.
Wenn ein Schauspieler in Interviews über Politik spricht, dann impliziert das, dass er denkt, seine Meinung sei wertvoll. So wertvoll, dass andere unbedingt zuhören müssten. Ich sehe das bei mir nicht so, ich habe Meinungen, aber ich wüsste nicht, aus welchem Grund man ausgerechnet mir zuhören sollte.
Und trotzdem drehst du einen politischen Film wie „Imperium“. Weil es so am einfachsten ist, Nazis zu entblößen?
Weil ich glaube, dass genau das die Art ist, in der sich ein Schauspieler zu Politik äußern sollte.
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