Das Dream Team
Mit Mut und Gespür für musikalische Trends hat das Team von Alternation die Nase ganz weit vorn. Bands wie Fettes Brot, Fischmob und Cornershop sind der eindeutige Beweis.
Unten im Tal liegt Stuttgart in seiner ganzen Pracht, während die Trambahn gemächlich den Berg hinaufschleicht. Vorbei an gepflegten Vorgärten und durch ein kleines, sauberes Wäldchen bis nach Sillenbuch. In dieser biederen Kulisse, zwischen freiwilliger Feuerwehr und Mietskasernen, läßt sich vielleicht ein Altersheim vermuten – nicht aber eine der wichtigsten Adressen in der deutschen Musiklandschaft. Denn hier, im ersten Stock eines spröden Zweckbaus, hat das Label Alternation sein Hauptquartier. Für Martin Schuhmacher kein Problem: „Hier haben wir genug Ruhe und können uns ganz auf unsere Acts konzentrieren! Außerdem gibt’s gleich hier in der Nähe einen prima Italiener. Sehr lecker.“ Schuhmacher zieht bei Alternation die Fäden, stöbert neue Bands auf und gilt in der Branche afs „Macher“-„Maker“ steht denn auch auf seinem Schild am Parkplatz, nicht „Schuhmacher“. Seit 1993 sitzt der Maker auf dem Chefsessel der Subdivision von Intercord, und für die Zusammenarbeit mit dem Major findet er nur warme Worte: „Die lassen uns machen. Wir decken ab, was sich in der unabhängigen Szene tut und geben eben auch unbekannten Acts gern mal eine Chance.“ Und was muß der hoffnungsvolle Nachwuchs vorweisen, um die Gunst von Alternation zu gewinnen? Wenn sich der Chef für einen Newcomer interessiert, passiert in der Regel erst mal gar nichts, bis er das Tape nicht den Mitarbeitern seines Vertrauens vorgespielt hat. Und Vertrauen hat Schuhmacher nach eigenem Bekunden zu all seinen Angestellten. Da ist Susanne Ritter, zuständig für Assistenz und Herstellung, Anja Teufel, die sich am Telefon und unter persönlichem Einsatz für Künstler und Presseleute engagiert – und Praktikant Florian, der sich um alles kümmert,“was sonst noch so anfällt“. Damit dürfte Alternation eine der wenigen Plattenfirmen sein, die kleiner sind als manche Band, die sie unter Vertrag haben. Während andere Plattenfirmen in repräsentativen Glaspalästen residieren und von einer ganzen Armee aus handy-bewaffneten Mitarbeitern bevölkert sind, geht’s bei Alternation entschieden familiärer zu. Mit allen Vor- und Nachteilen, die dergleichen mit sich bringt: „Wir sind eigentlich ständig auf Achse“, weiß Anja Teufel zu berichten, „gestern mit Cornershop in München, heute bei der Terrorgruppe in Berlin, morgen Showcase mit Fischmob-wieder in München.“ Vielleicht kommt es bei Alternation deshalb häufiger zu diesem vielbeschworenen Flow zwischen Musikern und denen, die die Musik verkaufen. „Klar ist es interessant, Persönlichkeiten wie Tjinder Singh von Cornershop kennenzulernen“, sagt Anja Teufel, „aber als ich nachts im Tourbus von München nach Stuttgart mitgefahren bin, ist mir der Streß einer Tournee erst richtig klargeworden. An Schlaf war in den engen Kabinen gar nicht zu denken, und am Bieberer Berg bekam ich’s fast mit der Angst zu tun.“ Neben vielversprechenden Frischlingen hat Alternation mittlerweile schon die halbe neue „Hamburger HipHop-Schule“ um Fischmob und Fettes Brot unter Vertrag. Für internationales Flair sorgt die Kooperation mit geistesverwandten Companies aus Übersee. Vom britischen Grrlie-Label Wiiija haben die Schwaben Cornershop, Bis oder More Rockers übernommen; der heiße Draht nach Amerika ist durch die Partnerschaft mit der New Yorker Firma TVT gewährleistet, deren Platten in Deutschland von Alternation vertrieben werden. Dennoch liegt der Fokus eindeutig auf heimischen Produktionen, da macht die Arbeit erst richtig Spaß: „Fischmob z.B. sind unglaublich, was Kreativität anbelangt,“ sagt der Maker kopfschüttelnd,“bei denen brauchten wir uns eigentlich gar keine Gedanken zu machen. Die haben zu jeder Kleinigkeit – vom Artwork ihrer neuen CD bis zur Promotion – schon längst ihre eigenen Ideen auf Lager.“ So mußten sich die geladenen Gäste beim Showcase in München zunächst vorsichtig durch einen mit Wasserbomben bestückten Vorhang manövrieren und konnten sich anschließend mit charmanten Bodybuilderinnen ablichten lassen. Martin Schuhmacher scheint also allen Grund zu haben, mit seinem Job zufrieden zu sein. Dennoch sieht er sich in seiner Schlüsselfunktion keineswegs als visionärer Sachverwalter zeitgenössischer Popkultur, sondern übt sich in Bescheidenheit: „Ich mache einfach das, was ich kann“, sagt er mit entwaffnendem Lächeln, „und das ist gut, solange der Umsatz ordentlich ist. Geärgert habe ich mich nur, daß wir Gautsch nicht gekriegt haben. Der ist lustig, den hätte ich sehr gern bei Alternation gesehen.“ Aber Rückschläge dieser Art werden mit einem Schulterzucken abgetan. Von Pop, Rock, Metal, HipHop bis Drum ’n‘ Bass verteilen die Leute von Alternation im Casino des Musikbusiness ihren Einsatz auf jede Nummer, die ihnen sympathisch ist. Nur auf die obligatorische Frage nach dem nächsten großen Trend ist Martin Schuhmacher sich hundertprozentig sicher: „Gefühl! Echte Melodien sind wieder gefragt, echte Melodien und die ganz großen Geschichten.“ Ein paar dieser Geschichten, daß ist sicher, werden wieder in Sillenbuch ihren Anfang nehmen.