Das ist kein Krawall, das sind Zweifel und Hass
Ted Gaier hat mit seinem Kollegen Mense Reents von den Goldenen Zitronen das zweite Album der Band 1000 Robota produziert. Und ja, natürlich ist er von ihnen begeistert.
Das erste Treffen mit 1000 Robota. Mense Reents und ich sitzen mit der Band in einem Café auf St. Pauli. Wir wollen klären, ob wir als Produzenten ihrer neuen, der zweiten Platte in Frage kommen. Von Angesicht zu Angesicht sehen die drei Jungs noch jünger aus als auf den Fotos. Anton Spielmann, Texter, Sänger und Gitarrist, manisch und abgeklärt zugleich, im Schoß einen Pinscherwelpen, sagt sinngemäß: „Bildet euch bloß nichts drauf ein, wenn wir unsere Platte bei euch aufnehmen, von wegen unter eure Fittiche nehmen und so weiter. Wir machen das nur deshalb mit euch, weil wir selber noch nicht so weit sind.“
Die Arroganz der Jugend. Unwiderstehlich und unergründlicherweise immer im Recht. Auf alle Fälle ist das doch mal eine Ansage. Kein hohles „Ihr seid okay, wir sind okay“, wie es seit mindestens 20 Jahren die Verhandlungsbasis des Indie-Business in Deutschland ist. Kein Eiergeschaukel, kein Einfügenwollen in Ahnenreihen. Dass sie sich ungeschriebenen Gesetzen und Kumpeleien erstmal verweigern, lässt die Robota alleine dastehen unter all den affirmativen Arschgeigen, die heute eine Gitarre in die Hand nehmen. Und so ist es auch kein Wunder, dass weiten Teilen der Presse nichts anderes einfällt, als die Robota als „Krawallband“ abzukanzeln.
Tatsächlich geht es dem Trio nicht um die Pose einer im Rock in Zyklen immer wiederkehrenden Stinkstiefeligkeit, sondern um die Suche nach einem Ausdruck, der ihr Verhältnis zur Welt formuliert – mit allen Zweifeln und allem Hass und allem Misstrauen. Hier gehts um nichts Geringeres als um Wahrhaftigkeit. Um das, was den Songs von sagen wir mal Bob Dylan, John Lydon oder Gustav Bedeutung verleiht.
Ganz direkt lässt sich dieses Ringen an den Texten und an der Art des Gesangsvortrags festmachen. Anders als in Deutschland üblich gibt es den Sänger hier nicht als individualisiertes Künstlersubjekt. Die monotonen und ungewöhnlich strukturierten, meist refrainlosen Gesänge werden von Anton Spielmann und Schlagzeuger Sebastian Muxfeldt gemeinsam gesungen. Jedes Wort, von Anfang bis Ende. Einzelne Textpassagen brennen sich so ins Hirn: „Wir schreien so weil wir nicht anders schreien wollen / Wir küssen sehr gern und wir tanzen sehr gern / Doch weinen tun wir nicht und lachen tun wir nicht“ (aus „Wir reißen uns zusammen“). Oder: „Es ist schade, dass vieles nicht mehr einfach ist, dass man sich oft so schämt / Skins sahen irgendwie aus, Mods sahen irgendwie aus und wie siehst du auf MySpace aus“ (aus „Held und Macher“).
Weit einflussreicher als der ihnen nachgesagte Rich-Kids-Background scheint mir die Tatsache, dass Anton Spielmann 1989 in einem Ort namens Rote Fahne irgendwo in der zerfallenen sowjetischen Provinz geboren wurde. Daher glaube ich auch, dass mit dem Bandname weniger der Roboter im kraftwerkschen Sinne gemeint ist, sondern vielmehr eine Mischung aus rabota, russisch für „arbeiten“, „anfertigen“ und robot: „Roboter“, aber auch „Sklave“ oder „Drahtzieher“.Überhaupt bedient sich die Sprache der Robota einer deutlich anderen Begriffswelt als die der Distelmeyers oder Uhlmanns. Wer hat hierzulande schon eine Vorstellung von dem, was ein „guter Mensch“ sein könnte, oder von der Bedeutung des Gebens? Und wer wäre in der Lage, damit auf coole, unkitschige und doch nicht denunzierende Art in einem Songtext zu hantieren?
Das Gerüst der Songs aus Bass, Schlagzeug und E-Gitarre, das ineinander greifende Räderwerk von Riffs und Rhythmen ist für sich genommen nicht mal so ungewöhnlich. Aus jeder der zehn Nummern auf UFO ließe sich ganz einfach ein zeitgenössischer dreiminütiger Rockkracher britischer oder US-amerikanischer Prägung zusammenschustern. Aber die Robota haben was anderes vor. UFO folgt einem eigenen kompositorischen Entwurf abseits der ausgetretenen Pfade des Rock und jenseits der ihnen angedichteten historischen Referenzen wie Gang Of Four, Neu! etc. Oft wird ein Part über mehrere Minuten trackhaft auf Spannung gehalten, ehe der Gesang einsetzt, sich eindringlicher werdend hochschaukelt und mit einem Break abbricht. Dann kann es sein, dass der Song abrupt Rhythmus und Tempo wechselt oder zerbröselt und zu einer dreidimensionalen Geräuschkulisse aus Effektschleifen, Geigenschwellern oder Kinderkreiselscheppern wird, ehe die ganze Maschine wieder unerwartet losbollert. Die Übergänge von einem Stück sind oft unmerklich. Die Platte fliegt an einem vorbei wie ein Roman, der jeden Moment einen unvorhergesehen Verlauf nehmen kann.
Übrigens relativierte sich die Frontsituation zwischen Band und Produzententeam während der Aufnahmen ziemlich schnell. Eine hinterlistige Prüfung hatten die Jungs allerdings noch parat: Nach einer Woche präsentieren sie uns eine völlig idiotische Gute-Laune-Rocknummer. Sie investieren eine ganze Stunde, um uns glauben zu machen, dass sie das ernst meinen. Nach kurzer Debatte meint Mense frei heraus, dass er den Song für Müll hält. Ich dagegen versuche es mit der Der-Kunde-ist-König-Nummer, von wegen: „Wenn ihr das auf Platte haben wollt … okay, das ist natürlich eure Entscheidung.“ Da brechen die drei Typen auch schon in hysterisches Gelächter aus.
Albumkritik ME 9/10
1000robota.com