Das Maffay-Phänomen


Peter Maffay - ein Thema für den ME? Ist Maffay nun ein rockiger "Schlagerfuzzi" oder ein echter Rock'n'Roller. Warum kommt er bei Millionen — überwiegend sehr jungen — Leuten so gut an. Ist es seine kernige Stimme, sind es die starken Songs, die Texte, die tierische Losgeh-Band? Nicht nur Familie Schnulzibert haben STEPPENWOLF und REVANCHE im Schrank stehen, auch harte Rocktypen stehen auf ihn und seine Konzerte (die laufende Tournee war in wenigen Tagen ausverkauft) gehen wirklich gut los. Der ME machte mit Maffay ein Interview und versuchte, dem Menschen ein wenig näher zu kommen ...

Ein englischer Kollege eines bekannten Rockmagazins sagte mir vor einiger Zeit, daß er es nicht verstehen kann, daß Peter Maffay nicht längst die Titelseiten des MUSIK EXPRESS schmücken würde. In England wäre das bei dem Erfolg nicht denkbar. Daraufhin mußte ich ihm sagen, daß die Toleranz der deutschen Rockmusik-Leserschaft nicht so groß sei. Daß es kaum denkbar sei, in einem Heft gleichzeitig Storys über Clash, Cliff Richard, Fehlfarben, Styx und Peter Maffay zu haben, ohne das riesige Protestsrürme auf uns zukämen …

Nun kommt es in diesem Heft doch zu einer Konfrontation zwischen Geldof, Toxedo Moon, Lennon, Zeltinger, Selecter, Maffay und anderen. Und es gab ein sehr ausgiebiges Gespräch mit Peter, der, mag man zu seiner Musik stehen wie man will, doch sehr ehrlich und schnörkellos geantwortet hat. Aus der Vielfalt der behandelten Themen griffen wir einiges heraus, um Peter Maffay kennenzulernen.

ME: Peter, du verkaufst mehr Platten als jeder andere in Deutschland. Fast spielend haben STEPPENWOLF und REVANCHE die Millionengrenze überklettert – ein Phänomen, mit dem du wohl kaum rechnen konntest. Hat dich der Erfolg verändert? Peter: Nein. Ich hatte vor zehn Jahren mit einem guten Lied viel Erfolg. Dann kam lange Jahre in denen ich gestrampelt habe, die aber für meine Entwicklung richtig waren. Sie haben Gutes für mich gehabt: viel Arbeit, das zu-sich-finden musikalisch wie für die Persönlichkeit…

ME: . . . wohin gehörst du denn musikalisch? Peter: Ich bin ein Rock’n’Holler. Ich war es immer, bin es geblieben, obwohl ich manchmal Dinge gemacht habe, die nicht dazu passen. Aber je älter ich werde, umso mehr verdeutlicht sich das: Ich bin ein Rock’n’Roller, auch wenn ich keine Teddy-Schuhe trage sondern Stiefel mit hohen Absätzen und Leder, wie viele Hardrock-Fans, aber das Elvis-Feeling paßt zu meiner Gesinnung.

ME: Viele sehen dich aber auch heute noch als „Schlagerfuzzi“, der nur so tut, als war‘ er ’n Rock’n’Roller… Peter: Da kann ich nur den Mittelfinger in die Luft halten, weil ich jedem, also auch mir, zugestehe, daß er Fehler macht, um etwas zu lernen. Keiner hat aus dem Stand heraus das Größte geschaffen. Ich habe mit zwanzig in diesem Geschäft angefangen und wußte überhaupt nicht, welche Spielregeln gelten, wann man was wie machen durfte. Auf mich haben hundert Leute eingeredet und ich konnte damals nicht ausleuchten, was gut für war und was nicht! Heute, mit zweiunddreißig, kann ich das besser einschätzen. Ich bin natürlich nicht fehlerlos, versteht sich. Aber wenn ich heute ein herzbetontes Lied mache und sich andere darüber mokieren, kann ich ihm heute sagen, daß das eben mein Gefühl ist. Ich stehe dazu. Ich äußeremeine Gefühle, weil ich glaube, daß jeder, der seine Gefühle für sich behält, dem anderen die Chance nimmt, sich ihm zu nähern.

ME: Nun kann man Gefühle auf vielfältige Art zeigen … Peter: Richtig. Und ich will mich mit meinen ganz einfachen, stinknormalen Sachen mitteilen.

ME: Was ist für dich wichtiger: die Musik, der Text? Peter: Wenn ich ein Stück schreibe, ist in der Melodie schon eine Aussage, ein bestimmtes Gefühl, eine Stimmung. Nur ist sie so verschlüsselt, daß man mich nicht begreifen würde, daß es allein nicht reicht. Also brauche ich den Text und die Auseinandersetzung mit Leuten, Musikern, meiner Freundin. Sie müssen in Frage stellen. Texte werde ich nie schreiben. Ich will nicht alles machen, ich kann nicht alles.

ME: Viele deiner Texte schreibt Bernd Meinunger. Ein Mann, der auch Dschinghis Khan-Unsinn verzapft, eine Sache, die ich außerdem für sehr gefährlich halte.

Wenn der gleiche Schreiber nun für dich arbeitet, ist das doch sehr fragwürdig und unehrlich und von reinem Kommerz-Denken behaftet!

Peter: Du hast recht, das ist sehr inkonsequent Aber ich kenne ihn besser und weiß, daß er in seinem Inneren anders denkt. Da ist er vielleicht ein zu schwacher Mensch. Er sollte sagen okay, davon sage ich mich los‘. Die Texte, die er für mich schreibt, die entstehen nach meinen Ideen, Vorstellungen, und sind dadurch echt. Er ist nun mal ein guter Profi. Die Leute, die meine Songs hören, können sich dann mit meinen Liedern identifizieren oder auch nicht. Wichtig ist, daß was rüberkommt ME: In deinen Konzerten sind haufenweise Kids, aber auch Oma und Opa mögen dich. Ist das für einen Rock’n’Roller nicht ziemlich untypisch? Peter: Ganz und gar nicht! Ein Beispiel, doch nicht, daß ich mich damit messen will: Nimm Elvis. Da standen die Großmütter tierisch drauf und die Kids ebenso. Du hörst doch eine bestimmte Musik, weil du eine Stimmung, die in dir ist, vertiefen willst. Oder für diese Stimmung einen Beiweis haben willst.

Musik hat, wenn der Typ soundso aussieht, so zu klingen – das ist doch verrückt! Für mich ist das rüberbringen von Gefühlen wichtiger, als wegen einer ganz bestimmten Spieltechnik in eine ganz bestimmte Richtung gepreßt zu werden. Wenn du dir Springteen anhörst, dann ist auch in vielen seiner Lieder viel Kitsch drin; Bilder, die er baut, Vorstadt, Illusionen aber so ist doch das Leben auch. Nur ist das eben nicht so verkrampft und es kommt rüber, weil was anderes noch wichtiger ist: Springsteens totale Power auf der Bühne. Diese unbändige, positive Art Musik zu machen. Diese Kraft, auch wenn er traurige Lieder singt. Oder nimm Mark Knopfler. Wo willst du ihn einordnen ? Wichtig ist doch bei ihm auch nur, mit welcher Liebe er seine Songs bringt, welche Gefühle er beim Hörer Publikum dabei auslöst.

ME: Auf der Bühne gehst du mehr zur Sache als auf deinen Platten. Die Band, mit vier Panikern (J. J. Kravetz, Bertram Engel, Steffie Steffan, Nippi Noya), dem phantastischen Saxophonisten Eddie Taylor, dem Gitarristen Frank Dietz u. a., ist vom Allerfein sten, was man in Deutschland nehmen kann. Da ist echt Feuer drin.

Peter: Das ist richtig. Für mich ist das Wichtigste auf der Bühne die Power. Wenn ich Power habe, dann kann ich in der größten Halle noch die Leute, die zweihundert Meter wegsitzen, erreichen, bin ich schlaff, kommt nicht mal was in der ersten Reihe an. Ich war bei Bob Seger. Der hat die Power. Ich habe ganz hinten gestanden un d war begeistert. Bei Rod Stewart habe ich in der ersten Reihe gesessen und nichts kam an. Vielleicht doch ein bißchen zuviel Kaviar…

ME: Dein Leben hat sich verändert?

Peter: Nein und ja. Aber nicht, wie anfangs gefragt, durch den Erfolg. Ich habe fast bis zu meinem acht-undzwanzigsten Lebensjahr so dahingelebt. Mir war wichtig, daß ich einen großen Schlitten fahren kann, mein Motorrad habe, viel Urlaub machen kann, gut essen und trinken. Leider. Ich bin ein politischer Spätzünder. Daß man auch bei uns viel in Fragestellen muß, gewisse Abläufe und Formen nicht stimmen, ist mir spät aufgegangen …

ME: … dabei kennst du ja, da du aus Rumänien kommst, auch andere politische Gesellschaftsformen …

Peter: . . . aber ich bin mit vierzehn weggegangen und damals waren elementare Uberlebensdinge wichtiger. Freiheit bedeutet mir heute mehr, als in einen Laden gehen zu können und zwischen X-Sorten Käse wählen zu können. Inzwischen sehe ich, wieviele Freiheiten bei uns beschnitten werden. Da kann ich schon etwas tun! Zwei Beispiele: „Liebe wird verboten“ – es kotzt mich an, wenn ich sehe, wie sich Leute verkrampfen, wenn es darum geht, Liebe zu zeigen, Liebe zu schenken, geschenkt zu bekommen. Das halte ich für absoluten Schwachsinn. Wenn jemand keine Liebe mehr empfindet, dann nimmt er keine Rücksicht mehr. Wenn man keine Rücksicht nimmt, schlägt man den anderen tot, wenn jeder jeden totschlägt, haben wir Krieg. Ich weiß, das ist jetzt eine Vereinfachung. Oder ein anderes Lied von mir, „Mein Kind“. Ich wünsche mir schon lange ein Kind. Aber die Bedingungen, unter denen wir leben, sind nicht unbedingt so, daß ich ruhigen Gewissens so einen kleinen Apparat in die Welt setzen kann. Das geht im Kindergarten los, setzt sich in der Schule fort Konkurrenzdenken. Dann mußt du die Klappe halten, damit du eine Stellung bekommst. Hast du sie, mußt du sie halten, damit du sie nicht verlierst. Es ist nicht einfach heute, sich unbeobachtet, sich frei zu fühlen. Deswegen zögere ich. Doch ich möchte wissen, wofür ich lebe. Kinder in die Welt zu setzen, ist eines der Grundbedürfnisse der Menschen. Manche sind mutiger in dieser Beziehung als ich. Aber wenn es um Menschen geht, um Lebewesen schlechthin, da fahre ich meine Antenne aus und bin vorsichtig hoch sechs! Das sind Beispiele, wo ich glaube, daß ich mit meinen Liedern auch ein ganz klein bißchen helfen kann bei der Suche nach dem eigenen Standpunkt.

ME: Vielen Dank, Peter, für dieses Gespräch!