Das System Beatsteaks


Zuerst beinahe unbemerkt, aber dann immer lauterfügte sich für die Beatsteaks nach jahrelanger Plackerei im Rauschjahr 2OO4 alles zusammen. Ihre neue Platte. limbo messiah das notorisch schwierige Nachdurchbruchsalbum-istnun die mitam meisten Spannung erwartete deutsche Produktion des Jahres nach. tja: HerbertGrönemeyer. Was ist da passiert?

SMACK Smash und kein Ende: Die Beatsteaks waren omnipräsent in jenem turbulenten Durchbruchsjahr 2004, als ein Triumph den nächsten jagte und nur der Himmel die Grenze zu sein schien. Höchstens. Vielleicht hätten sie ja damals an irgendeinem Punkt gerne mal kurz die Zeit angehalten. Bei der Gold-Verleihung für SM ACK SMASH zum Beispiel. Oder bei dem Konzert auf dem Hurricane Festival mit diesen tobenden Massen. Nur zwei Termine, stellvertretend für so viele. Ja, eventuell hätten sie sich dort auf Dauer einrichten wollen, auf dem Gipfel thronend bis ans Ende aller Tage. Aber ist das gesund? Natürlich nicht. Den Epilog zum Rauschjahr gab’s noch in Form der DVD b-seite, aber dann musste auch mal Schluss sein.

Kinder wurden geboren, Nebenprojekte ins Leben gerufen. Und irgendwann dann die Frage: Kann jetzt überhaupt noch was kommen, oder besser: Kann man das sogar toppen? „Meine Gedanken sind immer bei dem, was vor uns liegt. Ich ruhe mich nicht aus. „Das sagt Arnim Teutoburg-Weiß. Es ist kurz nach Weihnachten, die Aufnahmen zu .LIMBO MESSIAH (der Punkt muss so, offenbar) stehen unmittelbar vor der Vollendung und wir sitzen für ein erstes Resümee im Beatsteaks-Proberaum. An den Wänden hängen mit Edding gekritzelte Notizen zu den neuen Songs, in einer stichwortartigen, kodierten Sprache, mit der wohl nur die Band selbst etwas anfangen kann: „Mittelteil, .Soljanka‘, Klavieridee, Hammer!“ oder: ,“Live To Teil‘, Faith No More, Queen.“ Queen? „Nur am Rande“, lacht Arnim. „Generell waren wir alle ein bisschen gelangweilt von aktueller Rockmusik. Alle nennen sich Rock, aber keiner spielt mehr welchen. Das ist alles so … mutlos.NatürlichgibtesBandsmitVisionen wiedie ArcticMonkeysoderWhiteStripes. Aber mir fehlt halt bei vielen das Feuer, die Kompromisslosigkeit. Wie bei Rage Against The Machine damals. Vielleicht können wir den Leuten ja so was geben.“

Bei einem hat das schon geklappt: campino ruft an und erkundigt sich gespannt, ob der MU-SIKEXPRESS .limbo messiah schon gehört habe. Die tatsächlich nicht ganz so mutige neue Single „Jane Became Insane“ finde er ja ein bisschen seltsam, aber generell seien „die Beatsteaks eine absolute Perle, nicht nur in der deutschen Musiklandschaft. Von der Energie undden Gefühlen her lösen sie bei mir etwas aus, was ich so seit den ersten Konzerten von RageAgainstThe Machine nicht mehr erlebt habe. „Über solche Komplimente freuen sich die Beatsteaks wohl immer noch, nötig haben sie die prominente Schützenhilfe aber nicht mehr. So wichtig und hoch man den Support der Toten Hosen und der Ärzte in der Vergangenheit einschätzen muss: Letztlich haben sich die (auch nicht mehr ganz so) Jugendlichen das alles hier selbst aufgebaut. Durch Beharrlichkeit, immer bessere Musik und die jahrelange Ochsentour, vielleicht auch ein bisschen, weil sie es angeblich nie richtig darauf angelegt haben. Arnim: „Damit mal unser Geld zu verdienen, war natürlich ein Traum, aber forciert haben wir das nie. Das Wichtigste ist: Wir dürfen uns hier, genau in diesem Raum, nichts vormachen. Wenn wir unsere Kämpfe nicht mehr austragen, werden wirverlieren und zugrunde gehen.“ Das ständige Hinterfragen, die Selbstkritik, seien unverzichtbare Bausteine, „auch wenn ’s manchmal anstrengend war.“

Als Wir Thomas CÖtZ irgendwann Ende der 90er fragten, welches seiner vielen musikalischen Projekte irgendwann die Nachtschichten im Pflegeheim ersetzen könne, antwortete er ohne lange zu überlegen, er traue dies am ehesten den Beatsteaks zu. Was den Fragesteller damals irritierte – trotz einiger Achtungserfolge hatte sich die Band mit dem komischen Namen, der Götz erst seit kurzem angehörte, bislang noch nicht für die ganz großen Aufgaben empfohlen -, erweist sich in der Rückschau bekanntermaßen als Einschätzung mit Weitblick. Indes: Der Trommler war nicht der Einzige, der an die von Gitarrist Bernd Kurtzke gegründete Truppe glaubte, als dies noch nicht viele taten. Ob das vom ersten Tag an zuständige Management oder Produzent Moses Schneider – intuitiv wählten die Beatsteaks stets Leute aus, die für diese Band glühen. „Ein reines Bauchding“, gesteht Arnim, „aber irgendwie haben wir damit immer richtig gelegen. “ Möglicherweise liegen in diesem bis in die letzten Ecken austarierten sozialen Geflecht aus Freunden und langjährigen Wegbegleitern – dem „System Beatsteaks“ -die Gründe für eine nach modernen Business-Gesetzen fast unmögliche, weil im besten Sinne altmodische, sehr gesund verlaufende Karriere. Erstaunlicherweise funktioniert diese Band tatsächlich zu weiten Teilen nach eigenen Gesetzen. Und auch die interne Chemie ist mit den extrovertierten Teutoburg-Weiß und Scholz und dem eher zurückhaltenden Rest ja bestens ausbalanciert.

Wie wichtig ist dieser Gang-Mythos, die Band als eingeschivorener Haufen?

ARNIM: Da stehen wir auf jeden Fall drauf. Obwohl nein, da stehen wir nicht drauf, das sind wir! TORSTEN: Die Jungs in der Band sind immer die ersten, mit denen ich private Probleme bespreche. Wenn’s in der Beziehung nicht läuft zum Beispiel. Oder wir sind ja jetzt auch alle in dem Alter, wo öfters mal was mit den Eltern ist. Das belastet mich dann, da kann ich eh nicht vernünftig spielen. Klingt jetzt vielleicht so räucherstäbchenmäßig, ist aber wich tig. Wir kennen uns mittlerweile so gut, dass wir gar nichts mehr voreinander verheimlichen könnten. Wenn etwa Peter (Baumann, Gitarre) nur den kleinsten Anflug von schlechter Laune hat, kriegt er so ein Kräuseln an der Nase. Da sehe ich schon, während er seinen Satz beginnt, dass er sauer ist, das kann ich förmlich riechen.

Ist erfolgreich zu sein eigentlich so, wie man sich das uorstellt, ist das cool?

ARNIM: (überlegt) Erfolg macht misstrauisch. Wir kriegen ja nur einen Bruchteil mit. Vor einigen Tagen habe ich die Beades-ANTHOLOGY-DVD gesehen. Die beste DVD der Welt zur besten Band der Welt. Jedenfalls: Was da abging! Wir sind eine Band, die langsam wächst und von vielen gemocht wird. Aber wir ändern ja nicht die Welt. Anhand der Beatles-Geschichte sieht man erst, was Druck wirklich bedeutet.

War Moses Schneider für .limbo messiah gesetzt?

ARNIM: Man muss aufpassen, dass da keine Automatismen entstehen. Als wir uns das erste Mal trafen, war allen klar: Das ist der Schlüsselmoment. Entweder klickt es hier heute oder eben nicht. Gott sei Dank hat Moses aber gleich wieder genau die Stellen, die wir vage super fanden, hinter denen wir aber nach außen noch nicht so ganz stehen konnten, weil wir einfach unsicher waren, hervorgehoben: „Das istes,genauso müsst ihr weitermachen!“ Ab da war der Weg frei. Im Frühling 2006 trifft man die Beatsteaks wieder relativ häufig. Beim Strokes-Konzert, bei den Chili Peppers in Hamburg, bei Spielübertragungen der wenig später beginnenden Fußball-WM. Eigentlich hat sich die Band seit Februar im Proberaum verbarrikadiert und schreibt Songs. Aber das Wetter ist so schön, und WM ist ja auch nicht immer. Was genau während der letzten Monate im Beatsteaks-Headquarter passiert ist, wird natürlich gehütet. Weil sie ja selbst noch nicht so richtig wissen wo die Reise hingeht. Aber, so Teutoburg-Weiß: „Es wird lauter, das steht fest.

Einige Monate später, die Bäume verlieren bereits ihr letztes Laub. Wir sitzen mit Moses Schneider im Kontrollraum von Peter Schmidts Ballsaal-Studios. Schmidt, ein Veteran seiner Zunft, ist der Mann für die Endmixe. Im Sheet steht unter „Kunde“: „Beatsteaks“, eben läuft „Demons Galore“, ein brachialer Knüppler und mehr als nur Bestätigung für die Teutoburg-Weiß’sche Prophezeiung. Gerade ist die Band aus Hamburg zurückgekommen. Dort wurden in einer zweiwöchigen Session jene 14 Songs aufgenommen, die von ursprünglich über 60 Ideen übrig geblieben waren. Beim Auswahlverfahren spielte das Schicksal helfende Hand: „Das Aufnahmegerät ist kaputtgegangen. Dadurch standen wir nach monatelanger Arbeit auf einen Schlag mit leeren Händen da „,

erklärt Bernd Kurtzke und wirkt angesichts dieses in Zeiten externer Festplatten schier unfassbaren Missgeschicks nicht einmal unglücklich. „Eine Form der natürlichen Auslese, wenn man so will. Denn an die besten Ideen konnten wir uns natürlich erinnern.“

Ein paar Kilometer Luftlinie entfernt sind derweil in Schneiders Kreuzberger Studio Transporterraum noch die Gesangsaufnahmen in vollem Gange. Die von der Küche abgehende „Gesangskabine“, eigentlich eine Abstellkammer, ist derzeit Arnims Welt. „Ich hab

mir da einiges vorgenommen“, sagt er über die selbst gestellte Herausforderung der bisher anspruchsvollsten Gesangslinien der Beatsteaks-Geschichte. „Peter und ich waren mal beim Gesangsunterricht, aber das war nichts für uns. Jetzt will ich wenigstens aufhören zu rauchen und auf „gesunde Ernährung und ausreichend Sport achten.“ Die Zeit drängt: Zwischen den beiden Studios etabliert sich eine Art Dauerkurierdienst: Schmidt schickt gemasterte Tracks zum Absegnen beziehungsweise Bekritteln nach Kreuzberg, von da kommt ständig Nachschub.

Zwei Monate Später ist das Werk endlich fertig und wird in der Wohnung einer Management-Mitarbeiterin – das System Beatsteaks – erstmals vorgestellt. Bis auf den aus privaten Gründen verhinderten Thomas Götz sind alle Beatsteaks anwesend und witzeln in bekannter Manier herum, dass es eine Art hat; eine Charme-Offensive, die es furchtbar schwer macht, überhaupt noch mal ein negatives Wort über die Band zu verlieren. Diese wird ja oft auf ihren etwas polternden Hoppla-jetzt-komm-ich-Humor reduziert. Indem sie ihre vermeintliche Einfachheit demonstrativ vor sich hertragen, nehmen sie ihren Kritikern aber auch die Argumente. „Naja, damit kokettieren wir natürlich“, erklärt Scholz. „Wenn ich wirklich so eine hohle Nuss war‘, würdeich damit wohl kaum hausieren gehen.DieserzotigeHumorhatfürmichmitlntelligenzzu tun. Auch wenn Peterfrüher Müllmann war und Arnim Schuhverkäufer, wasja ganz profane Berufe sind. Oh, jetzt hab ich ein Fremdwort benutzt, tut mir leid!“ Natürlich sind die fünf immer noch ausgewiesene Knallköpfe. Es hat sich aber während der letzten Jahre zunehmend eine Spur Ernsthaftigkeit in ihre Songs und Köpfe geschlichen, die in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht etwas zu kurz kommt.

Den ersten Höreindrücken zum Trotz (siehe musikexpress 2/07), ist .limbo messiah insgesamt doch ein recht ausgeglichenes Album geworden, auf dem Songs wie das smarte „Cut Of The Top“

Kontrastpunkte zu den krachigen Nummern setzen. Trotzdem sind die Einflüsse von Hardcore signifikant, einer Musikrichtung, der eine wütend auf den Punkt gebrachte deutsche Perspektive angesichts des formatierten Mülls, der in den USA momentan unter „Punkrock“ läuft, eindeutig gut tut. Bernd: „Musikkann man wunderbar nutzen, um physische Gewalt auszuüben, ohne jemandem weh zu tun. Diesen Aspekt hatten wir zuletzt ein bisschen aus den Augen verloren.“Von back to the roots zu sprechen, wäre indes zu einfach. Die Finesse, mit der die Band heute agiert, lag vor zehn Jahren in weiter Ferne. Trotzdem: Nach dem Durchbruch so eine Taue Gangart einzuschlagen, riecht ein bisschen nach bewusster Verweigerung, nach einem Zugeständnis an die sich bereits in diversen Foren austobende so genannte Basis. “ Und diesen Eindruck wollten wir eben in keiner Weise erwecken“, entgegnet Peter. „Das soll bitte nicht als Trotzalbum verstanden werden.“ Arnim ergänzt: „Es wird hoffentlich noch weitere Alben von unsgeben, und da werden wir sicher noch viele andere Dinge ausprobieren. Aber diese eine Platte jetzt ist eben so, wie sie ist. Eine Momentaufnahme dessen, was uns in den letzten zwö’lfMonaten bewegt hat.“

Wie die Geschichte weitergeht? Zunächst nehmen sich alle noch mal zwei Wochen Urlaub, dann geht’s auf die Straße. Peter Baumann hat angesichts der Tatsache, dass viele Konzerte bereits Monate im Vorfeld ausverkauft waren, schon jetzt, wie er sagt, „Herzklopfen „. Auch wenn sich bei ihm und Bernd Kurtzke eine Spur Wehmut in die Vorfreude mischt: Beide Gitarristen sind Väter kleiner Söhne, von denen es nun erstmals für längere Zeit Abschied nehmen heißt. „Wenn wirnichtso tolle Partnerinnen hätten, würde das alles gar nicht gehen „, erklärt Bernd. Und doch: „Ein Teil von mir bleibt diesmal zu Hause.“Nun: Wenn wir das Feuer in seinen Augen richtig gedeutet haben, wird auch der mitreisende Teil ausreichen. Bald ist wieder Frühling. Es könnte ein gutes Jahr werden. >» www.beatsteaks.org —