Das weisse Rauschen


These 6: Schwarzkittel war gestern. Mit dem Siegeszug des Neo-Goth erscheint die romantische Idee von Vergänglichkeit in einem neuen, hellen Licht.

Dunkel pochen die Drums unter machtvoller Synthiegischt, Dunst liegt über der Bühne, während Zola Jesus‘ hohl getragene Stimme aufsteigt. Doch die Königin des Neo Goth zeigt sich nicht im traditionellen Schwarz der Szene. Im Hintergrund laufen unscharf überlagerte, leuchtend weiße Muster auf dunklem Grund, vor dem die Sängerin tanzt, mit langen, glatten weißblonden Haaren, in einem farblosen, sanft durchsichtigen Poncho. Wenn sie die Arme hebt, verschwimmt ihre bleiche Gestalt, während zugleich die Silhouette ihres Körpers durchscheint.

Zola Jesus alias Nika Roza Danilova mag zwar mit ihrem aktuellen dritten Album Conatus erst knapp über den Rand der Indie-Welt hinausschauen. Doch die Aufmerksamkeit, die sie zumal bei den Meinungsverstärkern in Radios, Magazinen und Netz erfährt, steht für eine unerwartet weitreichende Tendenz im Pop. Bei ihr und der gleichgesinnten kanadischen Austra geht es nicht allein um die deutlichen musikalischen Bezüge auf die poppigen Dark Waver der Achtziger, die sie unter ihrem schick-modischen elektronischen Wallen verbergen – Siouxsie Siouxs heulendes Grollen, die tiefen Trommeln und melancholischen Maschinen von Spät-Punks wie eben den Banshees, Joy Division oder The Cure.

Es liegt vielmehr ein Gothschleier über der Indie-Welt, der über das Genre und die enge Schwarzkittelszene hinausweist, die sich über die vergangenen Dekaden in einem von der Außenwelt mild belächelten Schauerschlösschen vor dem bösen Licht der Sonne verbarg. Goth als neues Cool?

Seit Längerem zeigen sich eine ganze Reihe von elektronisch dominierten Minigenres besessen von romantischen Ideen von Vergänglichkeit und Zwischenwelten aus Träumen und verblassenden Erinnerungen. Neu ist, wie die Stimmung in den Mainstream kriecht. Im synthpoppigen Chillwave, den Slomos von Witchhouse oder der Romantik des Hypnagogic-Pop – die Genrenamen werden sowieso mit ihrem Aufkommen gleich wieder verworfen – verzichtet man darauf, diese Besessenheit okkult, gewalttätig, körperlich zu besetzen, wie es zum Beispiel die Industrial-Urszenen mit Throbbing Gristle oder der Blut-Erotikerin Lydia Lunch taten. Man sucht nicht den Schauer der ewigen Nacht, sondern schaut fasziniert in ein überstrahltes Schimmern. Zola Jesus‘ Wende ins Weiß passt da ganz gut. Schwarz ist die Abwesenheit von Licht und Farbe, im Weiß löst sich der Eindruck von Farbe und Klang auf.

Auf die Psyche wirkt weißes Rauschen betäubend. Musikalisch setzt man entsprechend weniger auf den Schock und Schmerz von satanistischer Doommetal-Lautstärke und bösen Geräuschen, sondern die sedative Wirkung aus ozeanischem Rauschen und mildem Hall. Sogar eine Band wie die Cults, die hinter ihrem elektronischen Pop-Dunst nur ein paar sehr analoge Phil-Spector-Songideen verbirgt, spielt damit. Sie verarbeitet zwar Dokumentationsmaterial diverser mörderisch-religiöser Okkultisten zwischen Charles Manson und Jim Jones‘ Peoples Temple. Aber ihre Songs bauen auf optimistische Harmonien, und in überbelichteten Wackelvideos zeigen sie nur die trügerische Hippie-Idylle vor dem Massenselbstmord im guayanischen Jonestown.

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen dem Neo-Goth-Stil von Zola Jesus und Austra (beide übrigens kaum 23 Jahre alt) einerseits und der rhythmisierten Erinnerungsmusik von Chillwavern wie Washed Out, Toro Y Moi oder Animal Collectives Panda Bear. Hier sphärisches Schwelgen, dort polyphones Herumstöbern.

Wobei die künstlerische Herkunft überaus vielfältig ist und von Elektronik bis Klassik reicht – nur aus den altmodischen, schwarzromantischen Szenen stammt niemand mehr. Schon die etwas verblassten Stroboskop-Zombies Crystal Castles erzielen ihre reizend endzeitliche Wirkung durch weiß flackernde Sounds und Bühnenshows. Auf Alben wie Panda Bears aktuellem Tomboy verweist die in Layern und der Echokammer vervielfältigte Stimme nicht mehr auf einen einzelnen oder mehrere Sänger. Der Mensch ist nur noch eine endlos geloopte Klangquelle.

So entsteht ein Schauerstil ohne Schrecken, Leid und Fieber, wie es schon 1998 der stichwortgebende Homevideo-Horror von „Blair Witch Project“ andeutete. Er lebt allein von der Suggestion durch wacklige, fehlfarbene Unschärfe. Flüchtig betrachtet sieht zum Beispiel die seltsam verrenkte, weiß verhüllte Figur, die man vorigen Winter auf dem Debüt-Cover des Witchhouse-Produzenten oOoOO alias Christopher Dexter Greenspan sah, wie ein Schreckensgespenst aus einem Horrorfilm aus. Schaut man genauer hin, streift sich nur eine junge Dame im Gegenlicht ein durchsichtiges Nachthemd über. Und die grafische Mode, CDs mit wurmstichig falschbelichteten Fotos wie aus Sechziger-Polaroids zu bebildern, hat längst den Mainstream erreicht.

Das Ende in Ewigkeit hat deutlich seinen Schrecken verloren, seit in den digitalen Archiven Erinnerungen nicht mehr verloren gehen, sondern sich im spektralen Weiß einer totalen Erinnerung auflösen. Die Handyfilmchen fröhlicher Teenager auf den Facebook-Seiten geistern für immer im virtuellen Raum.

Naheliegenderweise wurde daher der Vampir als Figur, die im Licht zerstrahlt, zum Teenie-Pin-up. Die Dutzenden von entsprechenden Romanen und TV-Serien sind dabei nichts anderes als die aktuellen Versionen von „Beverly Hills, 90210“ oder „O.C., California“. Neu ist dabei nur, dass der Vampir weniger als Chiffre für geheimes und gefährliches Begehren verehrt wird, sondern in ewiger Jugend durch den globalen Collegecampus stromert.

Würde Goth zum Mainstream-Trend, so befand Zola Jesus einmal im Interview, dann kaufte sie sich ein Polo-Shirt. Jetzt scheint die Zeit reif für einen kleinen Shopping-Bummel. Es gibt sie ja auch in Weiß.