David Bowie


Von einem notorischen Einzelgänger wie ihm hatte man diesen Kurswechsel am wenigsten erwartet. Doch Bowie, über Jahrzehnte für seine einsamen Entscheidungen berüchtigt, möchte sich nun hinter der Anonymität seiner neuen Gruppe Tin Machine verschanzen. Warum er mit seiner musikalischen Entwicklung der letzen Jahre so unglücklich war, erklärte er Adrian Deevoy beim ME/Sounds-Interview in New York.

ME/SOUNDS: An welche Reaktion auf dein neues Album TIN MACHINE erinnerst du dich am liebsten?

BOWIE: „Weißt du, ich spielte die Platte bei mir zuhause und Joe, mein Sohn, der 17 ist und nur auf Rap, Heavy Metal, die Smiths und sowas steht, sagte ,Bist du das, Dad? Das kann man sich ja direkt anhören!'“

ME/SOUNDS: Was wird deiner Meinung nach am ehesten an der Platte kritisiert werden?

BOWIE: „Eine Menge Leute werden sagen, sie ist nicht eingängig. Ich denke, die Musik ist nicht so eindeutig melodisch, wie das vielleicht zu erwarten war.“

ME/SOUNDS: Ist Tin Machine nur ein kurzer Abstecher weg vom Solo-Star oder ein längerfristiges Projekt?

BOWIE: „Wir werden mindestens zwei weitere Alben machen. Ich denke schon, daß wir noch ein bißchen zusammenbleiben. Warum nicht, wo wir doch so viel Spaß dran haben? Sobald der Spaß verlorengeht, lassen wir es sein. Ich bin im Moment so scharf auf diese Sache, daß ich sofort ins Studio gehen und die zweite Platte aufnehmen möchte.“

ME/SOUNDS: Der Sound ist teilweise ganz schön extrem. Machst du dir nicht Sorgen, daß deine Fans vielleicht abspringen könnten?

BOWIE: „Darüber habe ich mir noch nie Sorgen gemacht. Meine Stärke war immer, daß ich einen Scheißdreck daraufgebe, was die Leute von meiner Arbeit halten. Ich habe keine Probleme damit, meinen Stil von Platte zu Platte ändern und jeden vor den Kopfstoßen, dem die letzte Platte gefallen hat. Das hat mich noch nie auch nur einen Gedanken gekostet.“

ME/SOUNDS: Was sollten Leute tun, während sie die LP hören?

BOWIE: „Keinesfalls Auto fahren! Als ich müden Rough-Mix anhörte, war ich gerade unterwegs ins Studio, und es hat mich förmlich in den Sitz gedrückt. Als ich wieder zu mir kam, war ich etliche Kilometer zu weit gefahren. Es ist ein anspruchsvolles Album. Es erlaubt keine Kompromisse. Es beansprucht deine Aufmerksamkeit voll und ganz.“

ME/SOUNDS: Fühlst du dich mit dieser Platte wohler als mit den vorhergehenden?

BOWIE: „Auf jeden Fall. Ich…es ist schwer, es nicht schmalzig klingen zu lassen…ich liebe dieses Album. Für mich bedeutet es die Rückkehr zu der Qualität von SCARY MONSTERS. Es läßt die letzten drei Alben fast unbedeutend erscheinen.

Eine Kurskorrektur, könnte man sagen.“

ME/SOUNDS: Du giltst als Songschreiber, der seine Musiker kompromißlos rannimmt. Hast du diesmal die Zügel etwas gelockert?

BOWIE: „Ich habe mich in den Rahmen einer Band eingeordnet, was ich eigentlich noch nie getan habe. Selbst bei The Spiders war mein Wort Gesetz. Ich war jung. Ich wollte die Welt in Flammen setzen, in dem Alter bist du noch sicher, daß du das kannst. Auf einmal Bandmitglieder zu haben, die Entscheidungen treffen, war…wirklich schwierig!“ (Lacht)

ME/SOUNDS: Willst du damit sagen, daß du langsam den kleinen Tyrannen in dir in den Griff bekommst?

BOWIE: „Mit fortschreitendem Alter immer mehr. Aber ich habe nun mal meine festen Überzeugungen…“

ME/SOUNDS: … mit denen du dir nicht nur Freunde gemacht hast.

BOWIE: „Oh, kommen wir jetzt zur großen Abrechnung? Naja, am schlimmsten war es wohl zur Zeit von ZIGGY STARDUST. Aber da blieb mir nichts anderes übrig. Ich dachte, ich müsse meinem Gitarristen unbedingt die meisten seiner Soli vorsingen. Es kam so weit, daß jede einzelne Note, jeder kleinste Teil eines Songs exakt so klingen mußte, wie ich mir das vorstellte. Fairerweise muß ich aber auch sagen, daß Mick Ronson zu THE MAN WHO SOLD THE WORLD eine Menge eigener Ideen beisteuerte. Aber seine melodischeren Soli stammen von mir. Ich sagte ihm, was er spielen sollte. Aber es war in Ordnung so. Ronson ist ein ziemlich gelassener Typ und kam damit ganz gut zurecht. Er war froh, daß er spielen konnte. Ich konnte damals einfach nicht anders. Ich wußte ja, was ich wollte, verstehst du? Das Problem war nur, das den anderen klarzumachen.“ ME/SOUNDS: Stichwort „Ronson“: Ist es peinlich für dich, jetzt Leuten zu begegnen, die du mal rausgeschmissen hast oder auf andere Weise losgeworden“ bist?

BOWIE: „Ich hab nie jemanden rausgeschmissen. Ich hatte nie eine feste Band. Als Solo-Künstler bist du in einer komischen Position: Du heuerst Leute für acht Monate oder ein Jahr an und danach trennen sich eure Wege wieder. Mit manchen von ihnen treffe ich mich ab und zu. Carmine (Rojas) und Carlos (Alomar) zum Beispiel, letztes Jahr habe ich Slicky (Earl Slick) gesehen. Aber sie führen ihr eigenes Leben. Die einzige richtige Band, die ich hatte, waren die Spiders, und das endete eher übel, weil sie so weitermachen wollten wie bisher und ich nicht. Ich änderte die Richtung, aber sie wollten nicht mitziehen, sie fühlten sich ganz wohl dabei, Jeff Beck-Covers zu spielen. Ich dagegen hatte eine klare Vorstellung, was die Band machen sollte. Die habe ich immer noch – aber es interessiert bei Tin Machine keinen mehr. Hihi, Ich werde bloß noch rumgeschubst -Zieh ab und binde dir bloß einen anderen Schlips um, David!“

ME/SOUNDS: Wie sehr lag dir das Funktionieren des Projekts am Herzen? Hättest du es ohne langes Kopfzerbrechen aufgegeben?

BOWIE: „Ich wollte unbedingt, daß es funktioniert. Unbedingt. Nach ein paar Tagen war ich ziemlich fertig, weil ich dachte, es klappt nicht. Doch dann haben wir uns zusammengerauft, unseren emotionalen Jet Lag überwunden;..“

ME/SOUNDS: Habt ihr euch während der Aufnahmen gestritten?

BOWIE: „Es gab Auseinandersetzungen. Wir hatten diese etwas seltsame Phase, als wir uns in der Schweiz das erste Mal beschnupperten. Nachdem wir uns entschieden hatten, etwas zusammen auf die Beine zu stellen, fuhren wir nach Montreux, um all dem Dreck zu entrinnen, in dem wir bis zur Nasenspitze steckten, und in Ruhe zu überlegen, wie wir zusammen arbeiten wollten. Und in der ersten Woche gab es hier und da, nun ja, einen kleineren Schlagabtausch…“

ME/SOUNDS: Was hättest du getan, wenn es nicht geklappt hätte?

BOWIE: „Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht. Ich hätte geweint… mindestens! Aber ich kann mir diese Situation beim besten Willen nicht ausmalen. Ich hätte sicherlich trotzdem auf die eine oder andere Weise etwas an meiner Musik geändert. Das war ich meinem Selbstverständnis als Musiker schuldig. Ich mußte etwas tun, mit dem ich mich stärker identifizieren konnte. Ich mußte wieder Begeisterung entwickeln. Ich konnte nicht wie bisher weitermachen.“

ME/SOUNDS: Deine letzten beiden LPs – TONIGHT und NEVER LET ME DOWN- waren nicht so berauschend, oder?

BOWIE: „Hm. Meiner Meinung nach war es großartiges Material, das auf Kommerz-Level zusammengekocht wurde. Ich hätte es nicht so studiomäßig machen sollen. Dabei sind einige gute Songs verschwendet worden. Du hättest die Demos zu diesen Alben hören sollen, ein Unterschied wie Tag und Nacht, verglichen mit dem Endprodukt. Auf den zwei Alben seit LET’S DANCE sind Sachen drauf, die mich wirklich anmachen. Wenn ich mir diese Demos anhöre, denke ich: Was ist daraus nur geworden? Du solltest ,Loving The Alien‘ als Demo hören. Es ist wundervoll, ehrlich! Aber auf dem Album ist es…na ja, nicht ganz so wundervoll.“

ME/SOUNDS: Die Glass Spiders Tour war ein ziemliches Schmierentheater, findest du nicht?

BOWIE: „Oh Gott! Nächste unangenehme Frage! … Nun, der Gerechtigkeit halber – das Video dazu mochte ich. Aber ich hab’s übertrieben. Diese Tour brachte zuviele Verantwortlichkeiten mit sich. Ich stand jeden Tag unter Stress. Jede Sekunde eine Entscheidung. Es war alles so gigantisch, so schwerfällig, und jeder hatte dauernd ein Problem. Es war ein so fürchterlicher Druck, du kannst es dir nicht vorstellen.“

ME/SOUNDS: Wie bist du mit dem Stress fertiggeworden?

BOWIE: „Schlecht. Ich mußte die Zähne zusammenbeißen und die Sache durchziehen, keine besonders tolle Art zu arbeiten. Ich gebe zu, es war auch meine Schuld, ich habe zu viele raffinierte Details in eine Sache eingebaut, die schließlich in dieser Größe (deutet mit Daumen und Zeigefinger eine winzige Gestalt an) zu sehen waren. Es war großartig, die Spinne am Ende der Tour in Neuseeland zu verbrennen. Wir brachten das Ding auf ein Feld und zündeten es an. Das war vielleicht eine Erleichterung!“

ME/SOUNDS: Die Texte auf der Tin Machine-LP sind auch ganz schön brutal, eine Menge ziemlich gewalttätiger Sprach-Bilder, Wirst du zum Pop-Rambo?

BOWIE: „Hm. Mir war gar nicht klar, daß sie so brutal sind, deshalb kann ich die Frage eigentlich nicht beantworten. Jedenfalls kam mir nie in den Sinn, etwas daran zu ändern. Ich bin selbst erstaunt darüber. Die Anderen sagten dauernd: Schwäch’s bloß nicht ab, sing‘ es so, wie du’s geschrieben hast. Steh dazu. Ich erwische mich immer wieder dabei, daß ich meine eigenen Texte zensiere. Ich schreibe etwas und denke dann: Vielleicht sollte ich das ein bißchen weniger hart ausdrücken. Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil ich Engländer bin, weil ich

Angst habe, es könnte unhöflich sein. Ich weiß nicht, worauf das zurückzuführen ist, aber es ist fast so, als ob etwas in mir niemanden beleidigen will. Ich war schon immer so.“

ME/SOUNDS: Auf der Platte gibt es ein paar Texte, die ein bißchen aus dem Rahmen fallen. Könntest du sie erklären, z.B. diese Zeile in Pretty Thing – “ Tie you down,pretend you’re Madonna“.

BOWIE: „Weißt du, wir waren mit Sean Penn unterwegs und der hat uns ein paar Sachen erzählt… Nein, das kannst du vergessen. Ich versuchte nur, mir vorzustellen…,nein, es ist wirklich nur ein etwas alberner Song.“

ME/SOUNDS: Manches klingt so, als ob du viel Jimi Hendrix gehört hättest, bevor du diese Platte gemacht hast.

BOWIE: „Jimi Hendrix ist da sicherlich dabei. Diese Live-Aufnahmen, die sie jetzt gerade auf CD veröffentlicht haben, sind wirklich außergewöhnlich. Dieser Mann war sich so sicher, was er wollte, es ist einfach phantastisch. Er fing die Ideen im Flug. Ich habe Hendrix, Cream, Can – all die Bands meiner Berlin-Periode – wiederentdeckt, auch Glenn Branca. Außerdem habe ich eine Menge Zeit mit meinen alten Alben verbracht -HEROES, LODGER, SCARY MONSTERS, LOW – um wieder ein Gefühl dafür zu kriegen, warum ich schreibe. Das habe ich auch schon gemacht, bevor diese Band zusammenkam. Ich war mit mir als Musiker einfach nicht mehr zufrieden. Ich glaube, jeder Künstler durchlebt solche Phasen. Dann kommt unausweichlich immer der Punkt, wo man seine Wurzeln wieder ausgräbt. Du hörst dir das wieder an und denkst: Was ist mit dieser Einstellung passiert? Ich liebe diese Alben, weißt du. Ich finde, ich habe in diesen 20 Jahren ein paar wirklich gute Platten gemacht.“

ME/SOUNDS: Warum bist du damals nach Berlin gegangen?

BOWIE: „Damals war ich ganz anders als heute. Ich steckte in meiner schlimmsten Drogenphase und war nach Berlin geflüchtet, um rauszukriegen, wie man ohne Drogen leben kann. Die Musik gab nur meinen physischen und emotionalen Zustand wieder… fast wie ein therapeutisches Werkzeug. Ich habe weder mit der Plattenfirma noch mit irgendeinem anderen Menschen darüber gesprochen: LOW war meine Entzugs-Platte. Jim (Iggy Pop) und ich hatten dieselben Probleme und wir wußten, daß die Leute in Berlin dich in Ruhe lassen, wenn du über die Straße gehst. Berliner sind ziemlich blasiert. Zynische, ironische Leute, ein großartiger Ort, wenn du bereit bist, in deiner eigenen Seele rumzustochern und rauszukriegen, was du am Ende wirklich willst.“

ME/SOUNDS: Hast du Drogen genommen, während du dieses Album machtest?

BOWIE: „Klar, jede Menge LSD. (Lacht) Nein, es waren keine Drogen im Spiel. Das haben wir alles schon mitgemacht, mittlerweile gestalten wir unser Leben etwas anders als noch vor 10 Jahren. Damals haben wir uns damit nämlich fast das ganze Leben versaut, jetzt nutzen wir die Zeit weit sinnvoller, für etwas Besseres – unsere Arbeit und den Spaß daran. Wir haben es weiß Gott nicht darauf angelegt, uns kaputtzumachen, als wir diese Platte aufnahmen. Nach der Arbeit hängen wir nicht mehr wie früher in der Wohnung irgendeines Dealers oder an der Theke einer Bar herum.“

ME/SOUNDS: Zurück zu angenehmeren Dingen. An welche Phase deiner Karriere erinnerst du dich am liebsten?

BOWIE: „Dazu kann ich nur sagen, das Tollste für mich war, als ich das erste Mal Mickey Rourke traf und er sagte (unglaublich schlechte Mickey Rourke-Imitation)“ Oh Mann, 1973, Mann, da lief ich genauso rum wie du, Mann, grüne Haare und Plateauschuhe und Lederhosen.‘ Ich versuchte mir vorzustellen, wie Mickey Rourke in diesem Zeug aussah, und sagte: Du warst ein Glamrocker? Und er:, Yeah Mann, in Florida war das der letzte Schrei!‘ Ich fand das unglaublich, es hat mich so aufgebaut. Ein Typ wie der, und ich habe so eine Rolle in seinem Leben gespielt!“

ME/SOUNDS: Wie wird sich Tin Machine live anhören?

BOWIE: „Wir werden wohl, wie man so schön sagt, in etwas intimerem Rahmen spielen. Einen Gig haben wir schon hinter uns. Wir marschierten einfach in diesen Club in Nassau, wo wir aufnahmen, und spielten vier oder fünf Stücke, einfach so, ganz spontan.“

ME/SOUNDS: Also eher Understatement?

BOWIE: „Jedenfalls nichts Theatralisches, soviel steht fest. Nur eine sechsköpfige Bläser-Sektion und ein paar Trapez-Artisten!“

ME/SOUNDS: Im Ernst-kehrst du der Gigantomanie den Rücken?

BOWIE: „Schlimm war es eigentlich nur auf den beiden jüngsten Tourneen. Die letzte inszenierte Tour vor LET’S DANCE war DIAMOND DOG und das war schließlich schon 1974. Alles danach war eher bescheiden und Image-orientiert. Wir hatten David Sanborn am Saxofon, Luther Vandross als Background-Sänger und so weiter. Es war eine höllisch gute Band, aber wenig theatralisch. Auf der STATION TO STATION-Tour hatten wir ohne Übertreibung eine wahnsinnige Lightshow, sonst aber passierte eigentlich nicht sonderlich viel. Ich stolzierte nur auf der Bühne herum, ziemlich arrogant, muß ich zugeben, während die Scheinwerfer dazu aus- und angingen.“

ME/SOUNDS: Du hast schon die schrägsten Verkleidungen getragen. Wie wirst du live mit Tin Machine aussehen?

BOWIE: „Was du vor dir hast. Dieselben Sachen (Zweireiher). Vielleicht wechsele ich vorher mal die Socken. Und Kevin Armstrong wird dabei sein. Kevin war ursprünglich in der Band, die bei Live Aid spielte. Er wird Rhythmusgitarre spielen. Ich hab’s versucht, aber meine Rhythmusgitarre ist nicht gut genug.“

ME/SOUNDS: Gibt es irgend eine Gruppe, für die du heute die Werbetrommel rühren würdest?

BOWIE: „Ich freue mich sagen zu können, daß meine Lieblingsband zur Zeit Tin Machine ist. Diese Band erfüllt alle meine musikalischen Wünsche und Bedürfnisse. Für mich, mit meinem Background, meinem Alter und meinem prallen Bündel an Erfahrungen, ist Tin Machine die Band schlechthin. Und das ist in der Tat das erste Mal nach langer Zeit, daß ich so etwas ohne Einschränkung behaupten kann.“