David Bowie


Mit Spannung erwartet, mit Euphorie gefeiert: David Bowie sorgte für einen der aufregendsten Konzerthöhepunkte des laufenden Jahres. Seine Kurztournee durch die Bundesrepublik mobilisierte nicht nur seine buntschillernden Fans, sondern sorgte auch für Stimmung im Parkett wie man sie bei einem derart etablierten Act lange nicht mehr erlebt hatte.

Wie lange ist es her, daß im kühlen Hamburger Congress Centrum Rochfans auf den Sesseln standen und in den Gängen rockten? Ich kann mich nicht erinnern, ähnliches in dem von Ordnern stets streng kontrollierten sterilen Konzertsaal bislang gesehen zu haben (Teenie-Acts ausgenommen.) Bowie ist noch immer für eine Überraschung gut. Ließ er uns vor zwei Jahren bei Kraftwerk-Klängen und Bunuel-Kintop bis zur Verdrießlichkeit warten, so kam es diesmal sofort mit seinen Musikern auf die Bühne, um zunächst ein drohendes Soundgewitter loszulassen: „Warszawa“ von der LP „Low“. Die Show kann beginnen.

David, hinter den Keyboards halb verborgen, liebt die stilvolle Einleitung: Mit dem Griff in seine Synthesizer – Experimentierkiste stimmt er sich ein. Die aggresiven synthetischen Töne schmerzen im Ohr Mitten in die gebannte Stille fegt er anschließend mit der englischen Version seines Hits „Heroes“. Der eisige Schleier ist weg, das Publikum taut unter der geschickten Führung des Zeremonienmeisters Bowie auf. Stimmung, Begeisterung macht sich breit.

Bowie selbst wirkt freundlich und überlegen Sein Lächeln hat auch diesmal für mich etwas Spöttisches. Er hat den Gesichtsausdruck eines Mannes, dem die Reaktionen im Publikum im voraus bekannt sind. Sein Bühnendress stilisiert ihn zunächst im ersten Teil die Show – zum wetterfesten Pfadfinder des Plastikzeitalters: weite glänzende Stauchhosen und überdimensionale Windjacke aus demselben Material. Das Programm ist geschickt zusammengstellt. Bowie mischt seine Oldies wirkungsvoll mit neuen Erfolgstiteln. So hält er

die Zuschauer zwei Halbzeiten lang in Schach. Durststrecken gibt es nicht, dafür sind die Perlen, die er eine nach der anderen ins Publikum wirft, einfach zu attraktiv. Und David kann seinen Zuhörern dankbar sein: Sollten sich unter ihnen zwei oder drei Säue (wegen der Perlen, meine ich) befunden haben, so wurden sie von den restlichen 2997 Fans jedenfalls hemmungslos überstimmt.

Dominierte im zweiten Teil des Konzertes ausschließlich die ausgelassene Hingabe an vertraute Glanzlichter des Bowie-Repertoires, so blieb im ersten Teil genügend Gelegenheit, die überragende Band herauszustellen. Dennis Davis (dr), George Murray (b), Carlos Alomar (g), Adrian Below (lg), Ex-Hawkwind Simon House (viol), Fumble-Keyboardman Sean Mayes und Roger Powell (synth) kombinierten musikalische Exaktheit und Extravaganz mit genügend Persönlichkeit und Inspiration, um nicht als anonymer Background-Haufen nur am Rande registriert zu werden. Speziell mit Adrian Below, der auch auf Zappa’s jüngster Tour Gitarre spielte, ist Bowie ein Glücksgriff gelungen: vor allem seiner ansteckenden Lebendigkeit ist es zu verdanken, daß die Band nicht wie eine Reihe starrer Oelgötzen vor der Kulisse aus weißen Neonröhren wirkt.

Zwischenfall

Von Kommunikation zwischen dem Meister selbst und seiner Band ist allerdings nicht viel zu spüren. Vielleicht hier und da ein freundschaftliches Grinsen, aber ansonsten ist schon klar, wer der Herr der Bühne ist. Auch mit dem Publikum kommuniziert David allein über seine Songs: keine Ansagen, keine verbindenden Worte, dafür aber ein entwaffnendes Lächeln für das Mädchen, das ihm eine Rose reicht. Und entschiedenes Einschreiten, wenn die Ordner ihre Aufgabe zu ernst nehmen. Zitat aus einem Konzertbericht, den uns ME-Leser Andreas Adam nach Bowies Berliner Show schickte: „…bei „Station To Station“ dann ein kleiner Zwischenfall. Irgendwie gab ’s vor der Bühne Trouble, Bowie riß die Hand hoch, die Band hörte abrupt auf. Bowie hastete zum Bühnenrand und schrie: ,No!’Dann: ,Leave him alone!‘ Alles war auf den Beinen. Bowie ließ einen Mann zur Bühne kommen, der offensichtlich von Ordnern zurückgestoßen worden war, gab ihm die Hand und entschuldigte sich für den Zwischenfall. Applaus …….“

Eine derartige Reaktion versetzt einen bei Bowie in ähnliches Erstaunen wie die Tatsache, daß er bei seinem ’76er Konzert in Hamburg plötzlich von der Bühne hinab ins Publikum stieg. Er ist schon unberechenbar. The Beauty & The Beast…. Wer hat im Ernst damit gerechnet, daß er diesmal die Fans so ausgelassen tanzen läßt? „Jean Genie“, „Five Years“, „Be My Wife“, „Farne“, „TVC 15“, „Station To Station“ – es geht Schlag auf Schlag. Bowie hat wohlweislich darauf verzichtet, das Publikum mit allzuviel Synthesizer-Impressionen zu konfrontieren. So setzt er nur einige wenige seiner elektronischen Klangmalereien von „Low“ und „Heroes“ als Ruhepunkte ein. Und mehr als nur ein Gimmick: Davids Version des Brecht-Songs „Moon Of Alabama“.

Bei aller Wandlungsfähigkeit hat der Performer David Bowie noch nichts von seiner Ausstrahlung eingebüßt. Seine Stimme funktioniert noch in all ihren Nuancen, und seine Bewegungen beweisen bei aller Sparsamkeit den ausgefuchsten. Mimen. Weitaus wirkungsvoller kommt Bowies Gestik allerdings im zweiten Teil der Show ‚rüber: Ein schneeweißes T-Shirt und eine ebenso strahlende, superweite Hose geben dem braungebrannten Sänger ein weitaus attraktiveres Flair als die pennälerhafte Plastik-Kluft. Und wo wir nun schon beim Thema Klamotten-Show sind: Was wäre ein Bowie-Konzert ohne die dazugehörende Modenschau? Von Punk bis Edelpop ist alles im Publikum vertreten; ein auf Bowie-Look getrimmtes Schwulenpärchen sorgt ebenso für Aufmerksamkeit wie die zwei Typen, die sich wohl im Make up vergriffen haben und aus Versehen mit Kiss-ähnlicher Augen-Grafik aufgekreuzt sind. Doch wer achtet schon auf solch unwichtige Äußerlichkeiten, wenn Bowies beste Songs von der Bühne fetzen? Wen interessiert es da noch, ob neben einem ein waschechter Punk oder eine schlechte Bowie-Kopie die Faust im Rhythmus schwingt! Bei „Rebel Rebel“ fühlen sich alle angesprochen. Bowie läßt ihnen keine Zeit zum Atemholen. Erst zuhause fällt einem dann ein, was man vielleicht gern noch gehört hätte: „Space Oddity“, „Sound & Vision“ oder „1984“ zum Beispiel.

Doch zunächst will ihn keiner von der Bühne lassen. Zur letzten Zugabe kommt David schon im Bademantel auf die Bühne. Sein Lächeln wirkt mittlerweile gelöster. Es scheint tatsächlich, als ob er sich über die Ovationen freut. „Er kann sein Gefühl an- und ausknipsen,“ erzählte mir sein ehemaliges PR-Groupie Cherry Vanilla. Diesmal hat er offensichtlich noch rechtzeitig den Schalter gefunden.

Chamäleon

Die wievielte Metamorphose des David Bowie hat mittlerweile eigentlich stattgefunden? Er selbst machte einmal den Mangel an eigener Identität für sein ständiges Rollenspiel -Station to Station – verantwortlich. Auf jeden Fall hat er es wie kein anderer Rockstar seiner Generation verstanden, sich mit Anstand über all die Jahre an der Spitze zu halten. Und wie er kann keiner die Hüllen wechseln, ohne sein Gesicht zu verlieren.