David Lindley – Gitarren-Gnom
Gehört hatten wir ihn alle, damals in den frühen 70em, als viele von uns noch die Rockmusik, die von der amerikanischen Westküste herüberkam, für das Nonplusultra hielten. Die Eingeweihten besaßen natürlich jede Platte, auf der er mitspielte, selbst wenn es nur ein oder zwei Titel waren.
Graham Nashs WILD TALES zum Beispiel, wo er auf „Grave Concern“ oder dem Titelstück einen dröhnenden, vorwärtstreibenden Slide-Gitarren-Sound produzierte, oder Nashs SONGS FOR BEGINNERS, wo er – welch ein krasser Kontrast! – eine wunderbar einfühlsame Violin-Begleitung zu „Simple Man“ spielte.
Wann immer David Lindleys Name auf einem LP-Cover auftauchte, konnte man sicher sein, daß die Songs mit seiner Mitwirkung etwas Besonderes waren. Sein Spiel war immer inspiriert, sensibel, atmosphärisch, richtig. Ohne Jackson Brownes Qualitäten als Songschreiber herabwürdigen zu wollen. In David Lindley hatte er für die Alben FOR EVERYMAN und besonders für LATE, FOR THE SKY einen kongenialen Begleitmusiker gefunden, der viele von Brownes Kompositionen erst zu den Meilensteinen des Westcoast-Rocks machte.
1976 hatte ich Gelegenheit, David Lindley zum ersten Mal live zu erleben; bei einem Konzert von David Crosby und Graham Nash in München. Die beiden Hippie-Heroen wurden damals nur von Lindley und dem Keyboardspieler Craig Doerge begleitet.
Als Crosby den kleinen Musiker mit den langen schwarzen Zottelhaaren vorstellte, hob dieser, angetan in knallbunten Klamotten und umgeben von seinem Arsenal aus Slide-, Steel-, akustischen Gitarren und elektrischen Violinen, zum Gruß die rechte Hand – sie sah aus wie eine Kralle: Gitarrenpicks an jedem Finger! David Lindley, ein haariges Monster mit Krallen?
Gar keine so abwegige Vorstellung, denn für Skurriles hat Lindley eine ganze Menge übrig, und das betrifft nicht nur Musik-Instrumente und -Stile (davon später). Sein erstes Solo-Album, 1981 veröffentlicht und bei uns EL RAYO-X betitelt, heißt in der japanischen Fassung BAKEMO-NO, was soviel wie „gräßliches Ungeheuer“ bedeutet! Eigentlich auch kein schlechter Titel, wenn man sich das grellblaue Cover mit der grell orangefarbenen Schrift näher betrachtet, in das ein Schwarzweißfoto des grimmig blickenden Lindley einmontiert ist. Die Musik allerdings ist nicht grimmig, schon gar nichtgräßlich, nicht hart oder dissonant, sie ist warm, melodisch, rhythmisch und sehr lebendig, manchmal witzig, oft ironisch, originell, packend,.. Einfach toll!
David Lindleys musikalische Karriere begann mit etwa 14 Jahren. Nach ersten Bemühungen auf einer Bariton-Ukulele beherrschte er bald darauf eine Reihe verschiedener Saiteninstrumente, darunter Banjo und Fiedel, auf denen er etliche lokale Meisterschaften erringen konnte.
Und natürlich Gitarren in allen Variationen! Von denen besitzt er heute mehr als 30, und er ist berüchtigt für sein Faible, die unmöglichsten, allerbilligsten Warenhaus-Instrumente zusammenzukaufen, sie auseinanderzunehmen und mit modifizierten Pickups, anderen Hälsen und sonstigen Veränderungen wieder zurechtzubauen, bis er den gewünschten Klang gefunden hat. „Das war auch einer der Gründe, „sagte er, „warum ich so oft zu Aufnahme-Sessions eingeladen wurde. Niemand konnte soviele verschiedene Sounds produzieren wie ich.“
Mit großem Vergnügen zitiert Lindley ein solches Session-Engagement. Der Produzent:
„Schafft mir Lindleys Instrumentarium ins Studio!“
D. L. (mit gespieltem Erstaunen, Augenrollen und anderen schaurigen Grimassen): „Du meinst, ich soll alles… ?“
Produzent: „Ja, ja, all deine Gitarren und Mandolinen und so weiter!“
D. h.. „Wirklich alles…?“
Produzent: „Sicher, schaff“ es ‚ran!“
Am nächsten Tag fuhr ein mittelschwerer Sattelschlepper vor…
Als Begleitmusiker hat sich Lindley einen fast schon legendären Ruf erworben, hauptsächlich in der Band von Jackson Browne, aber auch auf Platten von Linda Ronstadt, Crosby & Nash, James Taylor oder Warren Zevon kann man ihn hören, sogar auf Rod Stewarts ATLANTIC CROSSING. Deswegen wird es manchen erstaunen, daß seine Soloplatten so überhaupt nichts vom typischen Westcoast-Sound besitzen. Warum das so ist dafür hat Lindley eine plausible Erklärung.
„Als Junge war ich ständig unten in „Bernardo’s Guitar Shop“ in East Los Angeles, einer ziemlich üblen Gegend, aber ich war immer da, weil ich Flamenco-Musik über alles mochte, und all diese tollen Latino-Gitarristen kamen vorbei, um ihre Gitarren reparieren zu lassen oder sich neue bauen zu lassen. Leute vom Trio Los Panchos oder von Los Paraguayos.
Und ich habe dagesessen, und habe gelernt, wie man Gitarren baut und natürlich wie man sie spielt. Den ganzen Tag lang lief im Radio mexikanische Musik, lateinamerikanische Sachen, Sam The Sham & The Pharaos, Linie Julian Herrera & The Tigers … wahnsinniges Zeug. „
Später war David Lindley dann mit hartnäckiger Regelmäßigkeit im „Ash Grove“,einem Nachtclub in Los Angeles, zu finden. Hier gab es alle Arten von Blues und Bluegrass satt. Und hier traf er auch einen anderen Musikfanatiker, Ry Cooder. Ihre Wege haben sich im Laufe der Jahre des öfteren gekreuzt. Als Duo machten sie eine Tournee durch Australien, Neuseeland und Japan, am Film-Soundtrack THE LONG RIDERS und auf Cooders LPs BOP TILL YOU DROP und BORDERLINE arbeiteten sie zusammen.
Im Fahrwasser der Beatles und der Byrds gründete David Lindley 1966 die erste Band, mit der er einem größeren Publikum bekannt wurde: Kalei doscope. Fünf LPs nahm die Gruppe auf, mit einer höchst ungewöhnlichen Mixtur aus orientalischen, Rock- und Country-Klängen, die auf so seltsamen Instrumenten wie Harfengitarre, Oud, persischer Saz-Bouzouki oder 7saitigem Banjo gespielt wurde – wen wundert’s, daß die ganze Angelegenheit ein Insidertip blieb?
Nicht wenig frustriert ging Lindley Ende der 60er für zweieinhalb Jahre nach England, um in der Band des Sängers, Songschreibers und Gitarristen Terry Reid zu arbeiten.
„Reid stand damals ziemlich auf Country-Rock. Ich mußte also hauptsächlich elektrische Geige, Steelgitarre und sowas spielen. Gehört habe ich aber ganz andere Sachen. Desmond Dekker, Reggae und Ska, und ich dachte nur, Junge, das ist es, das ist gutes Zeug!
Nur, niemand mochte es! In der Band, m der ich spielte, sagten sie nur: Mann, spiel‘ das nicht, hör’auf damit, das ist Musik für die aus Westindien, das ist Musik für Skinheads!‘ Damals, von 1969 bis 1971, war die Skinhead-Bewegung in England ganz groß im Kommen – und für mich war es wegen meiner langen Haare ziemlich schwierig, in die Clubs zu kommen, wo Reggae gespielt wurde.
Also hab‘ ich mir ’nen Haufen Platten angehört, die Sachen zu Hause nachgespielt und auf einer Teac-Maschme aufgenommen. Mann, diese Bänder sind radioaktiv! Ich hebe diese Musik, The Melodians, The Pioneers, Desmond Dekker..“
Zurück in den USA wurden diese Einflüsse zunächst einmal für knappe zehn Jahre hintangestellt, denn jetzt begann (mit Jackson Browne) seine große Zeit als Begleitmusiker, die er mit dem treffenden Satz charakterisiert: „/ was in the foreground by bemg in the background.“ Erst 1980 reifte in ihm der Entschluß, seine eigenen musikalischen Vorstellungen zu verwirklichen. Mit der tatkräftigen Unterstützung seines Freundes Jackson Browne wurde EL RAYO-X aufgenommen.
„Die Idee, etwas allem zu machen, hatte ich schon viel früher, aber dazu bestand noch keine Notwendigkeit. Ich mußte erst einmal lernen, wie man einen Song richtig begleitet, mit Jackson, mit Crosby & Nash und all den Leuten. Jetzt weiß ich, wie das geh t. Aber die ganze Zeit war ich eigentlich Reggae-Musiker, zu Hause, auf meinem Tonbandgerät. Und ich habe angefangen zu leinen, wie ich mein eigenes Ding mache, wie ich Songs zusammenkriege, wie ich sie arrangieren muß… und ich lerne immer noch.“
Der Reggae-Einfluß ist auf EL RAYO-X schwerlich zu überhören. Was die Platte allerdings so faszinierend macht, ist die süperbe Verschmelzung mit Rock’n’Roll („Bye Bye Love“), Rhythm’n’Blues („Tu-Ber-Cu-Lucas And The Sinus Blues“ und „Twist And Shout“) und Soul („Your Old Lady“), die auch in den Originalkomposiüonen des Albums, etwa in „She Took Off My Romeos“, „Pay The Man“ oder „Quarter Of A Man“, eine einzigartige musikalische Form findet. Ich habe David Lmdley gefragt, was eigentlich dieses „El Rayo-X“ bedeutet.
“ Ah, das ist ein ganz seltsames Konzept… In „Bernardo’s Gwtai Shop“ hingen damals immer Plakate von Konzerten und diversen anderen Veranstaltungen, und häufig auch eins, das einen mexikanischen Preisboxer ankündigte, der sich El Rayo-X nannte.
Er war ein exzellenter Boxer, und er kam oft aus Mexiko rüber, um die Jungs aus Los Angeles zu verprügeln und die ganze Kohle einzusacken…
Später fand ich dann auf einem Album eines mexikanischen Steelgilarristen einen Song, der diesem El Rayo-X gewidmet war. Ich dachte, mein Gott, was für ein Name. El Rayo-X! Der „Röntgenstrahl“, der „Lichtblitz“, ich fing an, darüber nachzudenken.. ..
Dann begann ich, alle meine kleinen Effektgeräte mit diesem Namen zu kennzeichnen, später auch die Gitarrenkoffer und meine Transportkisten überall stand El Rayo-X drauf, es war wie ein Voodoo-Zauber: „Faß nichts an, wenn du diesen Namen siehst!“
Außerdem verschwand ich nach Konzerten immer gleich in mein Hotelzimmer wie der Blitz, richtig unsozial -, und die Leute in Jacksons Band fingen an, mich auch El Rayo-X zu nennen Ich finde es daher sehr treffend, daß ich mein erstes Album so genannt habe, „der Röntgenstrahl“. Ein Album ist auch so etwas, wie sich selbst zu durchleuchten, sich öffentlich zu entkleiden…“
Im vergangenen Herbst wurde das zweite Album von Lindley und seiner Band, oder genauer: von David Lindley and El Rayo-X veröffentlicht – WIN THIS RECORD. Es steht meiner Meinung nach dem Vorgänger in nichts nach, die spezielle Lindley-Mixtur Reggae’n’Roll ist im wesentlichen dieselbe geblieben.
Bemerkenswert ist allerdings, daß sich Lindley zu einem ausgezeichneten Songschreiber entwickelt hat, wie „Spodie“, „Talk To The Lawyer“ oder „Make It On Time“ – um nicht gleich alle zu nennen – beweisen.
El Rayo-X, das sind jetzt Jorge Calderon (Baß), der selbst Solo-LPs veröffentlicht und Songs mit Warren Zevon geschrieben hat, Ian Wallace (Schlagzeug, ex-King Cnmson, Desmond Dekker und Bob Dylan) und Bernie Lar-, sen (Gitarre).
Im März werden Lindley And El Rayo-X wieder Konzerte in einigen deutschen Städten geben – also nichts wie hin! Wer bislang noch keine Platten von David Lindley besitzt, dem sei neben den beiden obengenannten die gerade veröffentlichte Mini-LP DAVID LINDLEY LIVE ans Herz und Portemonnaie gelegt. Auf ihr hört man außer „Talk To The Lawyer“, „Turning Point“ und „Mercury Blues“ auch noch eine Fassung des Sam The Sham & The Pharaos‘ Uralt-Hit „Wooly Bully“ und Lindleys grandioses akustisches Slide-Solo „Rag Bag“, das bisher auf Studio-LPs nicht zu hören war.