Dead Can Dance
Schon die noch leere Bühne läßt es deutlich werden: hier passiert etwas Machtvolles, etwas Überirdisches. In der Mitte steht gewichtig eine Art Rednerpult, umhüllt mit königsblauem Samt, gekrönt von Mikrophonen. Man könnte meinen, daß hier gleich ein Stück schwerwiegende Weltgeschichte passiert, wäre da nicht drumherum das riesige Sammelsurium an exotischsten Instrumenten, Trommeln, Tambourinen, Hackbrettern, Rasseln, Glöckchen von werweißwoher. Auch der Blick ins Publikum, in die erwartungsvollen bis vorfreudig verzückten Gesichter könnte die Mutmaßung zulassen, daß das ganze wohl doch mehr einen spirituellen Charakter tragen wird. Nun denn, in den 15 Schaffensjahren von Dead Can Dance hat sich freilich eine Fanschar angesammelt, die von jeher einer religiös orientierten Gemeinde gleicht, die die wahre Glückseligkeit in sakraler Musik findet. Etliche Schwarzträger mit Leichenblässe, aufgetürmter Haartracht und gothicmäßiger Miene, übriggeblieben aus den Anfangstagen, treffen da auf Hipsters aus der Dance-Szenerie, die ihre Heroen aus den Chill-Out-Areas jetzt auch live hören wollen. Nicht zu vergessen diejenigen, die sonst den alltäglichen nackten Tatsachen ins Gesicht blicken müssen. Auch sie lassen sich inzwischen von Lisa Gerrard und Brendan Perry gerne aus der gemein-harschen Realität herauskatapultieren. Beim Betreten der Bühne wird klar, daß zwischen den beiden Protagonisten Welten liegen. Lisa im weißen, bodenlangen Gewand mit blauem Seidenumhang, der von Broschen an den Schultern gehalten wird, hat, ganz wie in sagenhaften Nibelungen-Zeiten oder in der Ära der schönen, von englischen Rittern und Königen begehrten Gwenhwyfar das lange, güldene Haar geflochten um den Kopf gelegt. Wer nun erwartet, der Rest des Trupps würde sich modemäßig vielleicht auf Siegfried, den Drachentöter, oder die anmutigen Mannen um den edlen Lancelot oder König Artus einlassen, der wird enttäuscht: Bei Brendan Perry ist der Bart wohl nicht nur an Kinn und Oberlippe ab. Schlicht, in Jeans und T-Shirt – so richtig gegenwartsverbunden kommen die acht Musiker hereinspaziert, und lassen aufatmen. Die Brücke ins hier und jetzt ist gebaut. So tut sich eine Kluft zwischen dem einstigen Paar auf, das jetzt weit voneinander getrennt, in Irland und Australien lebt. Eine Kluft, die sich in der Musik, wenn überhaupt, nur partiell ausmachen läßt. Die ätherischen, von Lisa Gerrard dominierten Klanggemälde werden nur selten von den dankbar angenommenen greifbareren Songs unter Perrys Federführung unterbrochen. Trotzdem bildet das Duo und die Begleitband eine homogene Einheit. Mitunter wirken die Musiker wie in Trance versetzt, bauen ihre rhythmischen, perfekt gespielten Soundwände auf, in der jede noch so kleine Lücke mit mystisch wirkenden Tönen – kommen sie nun aus dem Sampler oder vom Instrument – ausgefüllt ist. Über allem schwebt der glasklare Gesang der Frau in Weiß. Sie klettert mit ihren Vocals, meist eine unverständliche Sprachenmelange, von kopflastigen Höhen bis in bauchigste Tiefen. Scheinbar mühelos setzt sie wie eine Hohepriesterin Stimmfarbe und -volumen wie in einem magischen Ritual ein. Weitaus weniger entrückt und wesentlich lebendiger kommen Brendan Perrys Gesänge. Erst gemeinsam und mit den Chorälen Einsätzen der Musiker versetzen sie in ferne Länder, noch fernere Zeiten, zu realen und imaginären Kulturen der Urvölker – nach Afrika, Peru, Griechenland oder zu den Troubadouren der Provinzen von vor 700 Jahren. Selbst in den – sagen wir mal – zeitgenössischeren Songs könnte die Sophokles die Lyrics geliefert haben, schwebt der Geist der Bitternis über die marode Welt. Einziges Manko des Hörerlebnisses ist die streckenweise Überlastung der hypnotischen Rhythmen. Feine, zarte Klänge in den Harmonien werden oftmals verschlungen, die Ästhetik eines ausklingenden Tones geht bisweilen etwas verloren. Nach dem Musenkuß bleibt die Frage, ob man nun, angesichts der Mixtur aller erdenklichen Ethno-Elemente und Sounds, die keine Grenzen zu Zeit oder Raum kennen, ein Stück Zukunftsmusik gehört hat oder nicht? Halten wir es mit Sokrates und versuchen zu wissen, was wir nicht wissen, vertrauen derweil aber auf unsere Intuition und sagen mit dem faszinierten Publikum von Dead Can Dance einfach mal ja.