Deine Lieblingsschweden
Nina Persson ist heute nicht so gut sortiert. Während sich ihre Kollegen Peter Svensson, Magnus Sveningsson und Lasse Johansson auf dem Sofa eines mit Gläsern, Flaschen, Tassen, Tellern, Kalt- und Heißgetränken zugemüllten Hotelzimmers in Malmö lümmeln, steht die Sängerin der Cardigans auf dem Balkon und beugt sich über das Geländer, während sie mit ihrem Ehemann am Handy turtelt. Um ehrlich zu sein 1 . Die drei anderen Cardigans und der Musikexpress sind heute auch nicht ganz so gut sortiert. Weil es gestern spät geworden ist. Weil Party war. Weil sich Magnus Sveningsson in der Rolle des Aquavit-Einflößers gefiel. Und weil alle fünf Cardigans ordentlich was wegtrinken können. Vielleicht ist Bengt Lagerberg heute besser sortiert, nur kann das niemand sagen, weil der Schlagzeuger der Cardigans schon auf dem Weg nach Stockholm ist, wo er wohnt.
Am Vorabend gab es einen dieser selten gewordenen „Medien-Events“ , die – glaubt man dienstälteren Kollegen – in der goldenen Zeit der Musikbranche an der Tagesordnung gewesen sein müssen. Da lädt eine Band (hier: The Cardigans) eine Reihe von Journalisten in ihr Studio (hier: die „Gula Studios“ in Malmö) ein, um ihnen ihr neues Album (hier: super extra gravity) vorzuspielen. Nur, daß der eigentliche Zweck des „Events“, die Musik, in den Hintergrund rückt, weil andere Sachen wichtiger sind. Zum Beispiel sich am kalten Büffet bedienen. Oder Alkohol in sich reintun. Oder ganz zwangslos mit den Rockstars smalltalken, die sich ganz zwanglos unter die Gäste mischen. Das ist zwar alles ganz schön, hat nur die unangenehme Nebenwirkung, daß du später, wenn du das Album in Händen hältst und in Ruhe anhören kannst, der felsenfesten Überzeugung bist, daß damals im Studio ein ganz anderes gelaufen sein muß.
„Mir gefällt die Idee, den Leuten die fertige Musik an dem Ort vorzsupielen, an dem sie entstanden ist. Ich glaube, das ist eine gute Basis für ein neues Album „, wird Gitarrist und Songschreiber Svensson später sagen. Er wird aber auch sagen, „Ich glaube es ist durchaus sinnvoll, ein bißchen verkatert zu sein während eines Interviews „, und wir werden nicht verstehen, was er damit meint. In Zeiten, in denen Bands funktionieren wie die börsennotierten Großunternehmen, die ihre Musik in die Läden stellen, erfüllen die Cardigans noch die altmodische Vorstellung von der Band als Freundeskreis. Sie kennen sich seit ihrer Teenagerzeit. Und wie sie heute so dasitzen, machen sie den Eindruck von langjährigen Ehepartnern, mit allen Stärken und Schwächen – Menschen, die sich schon noch irgendwie lieben, aber auch richtig hassen können. Nachdem ihr letztes Albums long gon e before daylight fertig war, standen die Cardigans vor dem Aus. Mitten während der Aufnahmen hatten sie ihren Produzenten Tore Johansson gefeuert, der bisher alle Cardigans-Alben produziert hatte. Wofür beide Seiten eine Erklärung parat haben. Johansson: „Am Anfang war ich noch dabei. Aber an einem gewissen Punkt haben sich unsere Interessen in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Sie haben sich richtig Zeit genommen, weil sie sich als Band entwickeln wollten. Ich hatte aber keine Geduld für so was, ich möchte alles immer schnell-schnell haben. Es war ein langwieriger Prozeß. Da haben wir gesehen, daß die Zusammenarbeit nicht funktioniert, und sie haben mit einem anderen Produzenten weitergemacht.“ Svensson: „Es hat so ausgesehen, als ob wir beim letzten Mal nicht in dieselbe Richtung gegangen sind. Wir wollten dieses Band-Live-Ding haben mit altmodischer Aufnahmetechnik und so. UndTore hatte als Produzent Jahrelang vor einem Computerbildschirm gesessen. Plötzlich mußte er mit einer richtigen Band arbeiten. Er war nicht bereit dafür.“
Ortswechsel: Die Hilton-Bar. Dort darfnicht geraucht werden. In keinem Lokal und in keiner Bar in Schweden darf geraucht werden. Wer rauchen will, muß vor die Tür gehen und sich den hämischen Blicken der Nichtraucher aussetzen. Wer das nicht will, bleibt drinnen und sieht Nina Persson dabei zu, wie sie sich an ihrem Glas Rotwein festhält oder hört sich eine flammende Rede von Peter Svensson an. Die geht über die Musikbranche und die Majorlabels und wird immer flammender, je mehr Alkohol Svensson trinkt. Erbedauert, daß das Album als Kunstwerk immer mehr an Bedeutung verliert, in Zeiten von Downloads und iPod. Ja, er selber hat ja auch einen iPod, aber da sind keine einzelnen Songs drauf, sondern komplette Alben; daß seine Plattenfirma den geplanten Albumtitel „Nervewrecking Acrobatic Backwards Band“ nicht haben wollte, weil er zu lang ist. Schade,
daß dabei kein Aufnahmegerät mitgelaufen ist, und schade, daß niemand an diesem Abend immun ist gegen erinnerungshemmende Getränke. Das Aufnahmegerät läuft dann am nächsten Tag mit.
Du redest nicht gern über deine Texte…
Nina:… nicht, daß ich nicht gerne darüber rede, aber ich glaube, daß es schwierig ist, es zu tun. Wenn ich die Texte geschrieben habe, dann habe ich alles damit gesagt. Manchmal weiß ich nicht, was dem noch hinzuzufügen wäre.
Stört es dich, wenn deine Texte mißinterpretiert werden ?
nina: Texte sind äußerst wichtig. Und das ist ein weiterer Grund, weshalb es mir schwerfällt darüber zu reden. Natürlich weiß ich, worüber ich schreibe, in dem Moment, in dem ich es tue, aber es ist sehr interessant, wenn die Leute meine Texte für sich selber umdeuten.
So sollte es ja auch sein mit Songtexten.
nina: Ja, genau. Wenn ich Musik höre, die mir wichtig ist, dann mache ich die Songs zu meinen eigenen. Ich denke dann, daß sie von mir handeln. Das ist ein gutes Gefühl.
Euer letztes Album long gone before daylight war sehr düster, traurig und depressiv. Es war ein Konzeptalbum über eine gescheiterte Beziehung. nina (leichtgequält): Das würde ich nicht so sagen. Ich würde nicht sagen, daß ein Konzept dahintersteckt. Wirklich. Platten haben halt verschiedene Themen, auf die man sich konzentriert. Und auf dieser Platte hatte schon jeder Song etwas mit Beziehungen zu tun. Magnus: Vielleicht war das Album so zerbrechlich und verletzlich, weil wir gewußt haben, daß wir kurz vor unserer Auflösung standen. Und dann haben wir langsam angefangen, wieder zusammenzukommen. Jeder von uns ist heute noch in derselben Beziehung wie damals. nina: Es geht um alle möglichen Beziehungen, nicht nur um Liebesbeziehungen. peter: Aber vielleicht hatte es doch ein stärkeres Konzept, ich meine jetzt nicht nur die Texte damit. Das neue Album ist anders, sowohl musikalisch als auch textlich und von den Songs her. Es ist homogener.
Es fühlt sich auch irgendwie “ leichter an.
nina: „Leichter“ ist ein schöner Ausdruck dafür. Es hat mehr mit Ärger als mit Traurigkeit zu tun. Was ein bißchen ein leichteres Gefühl ist.
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