Kommentar

Depeche Mode am 13. Februar live in Berlin: Requiem for a Dream


Sie schäkerten, sie lieferten Tanzduette – Depeche Mode zeigten sich beim ersten Berlin-Gig in Höchstform.

Vergangenen Sommer sorgten Depeche Mode bereits im Olympiastadion für große Live-Momente auf ihrer aktuellen MEMENTO- MORI-Tour. Nun sind sie für gleich drei Abende zurück in der Hauptstadt.

Am 13. Februar 2024 eröffnen Depeche Mode die erste von drei Nächten ihrer Tournee in der Mercedes-Benz Arena Berlin. Seit dem schmerzlichen Verlust ihres Bandmitglieds Andy Fletcher hat sich die Dynamik innerhalb der Band spürbar verändert. Dave Gahan und Martin Gore, die verbliebenen Originalmitglieder, strahlen eine verstärkte Einigkeit aus, die richtungsweisend für den Abend sein wird.

Depeche Mode live in Berlin: „Die unerträgliche Vergänglichkeit des Seins“

Über der Bühne, deren Hintergrund aus einer Videoleinwand besteht, thront ein riesiges „M“. Ein recht doppeldeutiges Symbol, das sowohl für „Memento Mori“ als auch für „Mode“ steht. Ansonsten übt man sich noch immer in bescheidenem M-inimalismus. Große Geister brauchen kein Tamtam.

Das Konzert beginnt wie schon im letzten Sommer mit „My Cosmos Is Mine“. Auf der spärlich ausgeleuchteten Bühne erscheinen die Live-Musiker Peter Gordeno und Christian Eigner, gefolgt von Martin Gore und – zum Schluß – Frontmann Dave Gahan.

Dave Gahan – Your Personal Jesus

Berlin erlebt Dave Gahan an diesem Abend in physischer Höchstform. Seine kraftvolle und Stimme drängt bis in den letzten Winkel der Arena, während er das Publikum mit seiner charismatischen Bühnenpräsenz in seinen Bann zieht. Gahan nutzt die gesamte Stage und den vorgelagerten Steg zu seinem Vorteil, tanzt lasziv zum Rhythmus der Musik und lässt die Zuschauer:innen Teil seiner energetischen Performance werden. Einmal wirbelt er wie von Sinnen im Kreis, im nächsten Moment streckt er die Arme aus, als würde er seine eigene Kreuzigung erwarten. Ballettartige Verbeugungen wechseln sich ab mit irren Verrenkungen.

Wie spricht man eigentlich… Dave Gahan aus?

Martin Gore – Strangelove

Martin Gore, traditionell mit schwarzem Nagellack und sicherheitsnadelverzierter Perlenkette, hält sich eher im Hintergrund, tritt aber in den Momenten, in denen er die Lead-Vocals übernimmt, ins Rampenlicht. Während „Somebody“ kann man buchstäblich die berühmte Stecknadel fallen hören und zu „Strangelove“, hier nur begleitet von Live-Keyboarder Peter Gordeno, lässt Gore die Arena mit seiner zarten, aber eindringlichen Stimme ehrfürchtig lauschen. „Strangelove, will you give it to me?“, singt er, und die Frage scheint nicht nur an das Publikum, sondern auch an das Schicksal gerichtet, das die Band hierhergeführt hat. Gahan kommt nicht umhin, seinen Kompagnon in den höchsten Tönen zu loben: „The angelic voice of Mr. Martin L. Gore!“ Das ist nicht gelogen, denn sowohl beim Timbre als auch bei der Intonation hat Gore an diesem Abend die Nase weit vor Gahan, der immer wieder mit den richtigen Tönen zu kämpfen hat.

Andy Fletcher – Behind the Wheel

Gahan und Gore kleben an diesem Abend auffällig oft aneinander. Immer wieder sucht Dave die Nähe zu Martin, sie schäkern, lachen, liefern sich während „Enjoy The Silence“ nicht zum einzigen Mal Tanzduette und krönen diesen Moment mit einem doppelten High Five. Besonders innig wirken die beiden Musiker bei der Akustik Zugabe „Condemnation“, als sie gemeinsam am Rande des Bühnenstegs, ganz nah bei den Fans, stehen. Die neu errungene Harmonie der beiden Egozentriker ist nicht nur der Aufhänger der Tour, sondern auch Respekt gegenüber ihrem verstorbenen Kollegen, der zu Lebzeiten die Band mit seiner ausgeglichenen und mediatorischen Art zusammengehalten hat.

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Daher ist einer der emotionalen Höhepunke des Abends zweifellos der Tribut an Andy Fletcher während „Behind The Wheel“. Auf der letzten Tour-Rutsche stand an dieser Stelle noch „World In My Eyes“, Flechters Depeche-Mode-Lieblingssong. Heute wird Andy auf der überdimensionalen Videoleinwand nur am Ende des Songs eingeblendet, dennoch durchfährt die Halle eine kollektive Gänsehaut. Im Grunde braucht es keine Effekte, Fletchers Vermächtnis schwebt an diesem Abend ohnehin im Raum, aber für einen Moment scheint es, als würde er selbst durch die Musik sprechen, die man heute gar nicht hört: „Let me show you the world in my eyes“ – und Berlin schaut hin.

I feel you

Die eklektische Energie auf der Bühne überträgt sich nahtlos auf das Publikum. Jeder Song, von „Walking In My Shoes“ bis „Enjoy The Silence“, wird begeistert aufgenommen. Die Fans, wie immer überwiegend in Schwarz gekleidet, schaffen eine Atmosphäre, die dieser „Black Celebration“ würdig ist. Depeche Mode erzeugen bei jedem Song wohlige Schauer, nicht nur bei den großen Hits. Aber welcher DM-Song ist kein großer Hit? Das mehr als vier Jahrzehnte umfassende Repertoire der Engländer weist eine enorme Single-Dichte auf, die ganze Generationen geprägt hat. Daher ist die Setlist des Abends eine sorgfältig kuratierte Mischung aus neuen Tracks und alten Klassikern.

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Von „My Cosmos Is Mine“ bis zum kraftvollen Abschluss mit „Personal Jesus“ – jede Auswahl scheint die Bandgeschichte neu zu beleuchten, ohne dabei die Vergangenheit unnötig zu glorifizieren und stattdessen Raum für die jüngsten musikalischen Werke zu schaffen. Der Zugabenblock mit „Waiting For The Night“, „Just Can’t Get Enough“ und „Never Let Me Down Again“ lässt die Crowd dennoch in einem Zustand verklärter Nostalgie zurück.

Memento Mori

Dave Gahan und Martin Gore liefern nicht nur über zwei Stunden ab, sondern schaffen eine Hommage an die Vergänglichkeit und die Schönheit des Augenblicks und setzen so das „Memento Mori“-Thema hervorragend um. „Words are very unnecessary“, heißt es in „Enjoy The Silence“, und tatsächlich sind es die Momente zwischen den Worten, die an diesem Abend am stärksten nachhallen.