Depeche Mode: Droben schwebt jubelnd der Engelein Chor


Depeche Mode, Berlin, Velodrom So viel Harmonie war nie: Die Ego-Zicken haben sich zusammengerauft. Und rühren bis zum Schmelzpunkt.

Im Vorfeld häufen sich die eher entmutigenden Omen. Das doch sehr mediokre neue Album Playing The Angel wird ins „Vielleicht Karfreitag noch mal anhören“-Regal verbannt. Ein Blick auf eine Internet-Fansite bringt die erschütternde Feststellung, daß die Herrschaften wirklich vorhaben, sieben Songs von dieser Platte zu spielen. Da gibt’s kein Vertun, denn die Setlist ist bis auf ca. zwei Variablen für die gesamte Tour in Stein gemeißelt. Müßte ich 90 Konzerte lang das gleiche Programm spielen, wäre ich auch bald ein Fall für den Drogentherapeuten. Dann vor Ort: Man bestaunt die T-Shirt-Preise von 40 Euro und muß Martin Gore beipflichten, wenn der im ME-Interview (11/05) die Schlechtigkeit der Welt beklagt.

Und doch kommt natürlich alles ganz anders. Das weite SciFi-Rund des Velodroms verstärkt den Eindruck, der Messe einer Art futuristischen Megachurch beizuwohnen. „Spirituell“ umschreibt den Charakter eines Depeche-Mode-Konzertes wohl am besten. Wellen der Begeisterung rollen schon vor Beginn durch die Menge, der Wille zur Ekstase ist greifbar. Alle sind begierig auf dieses dandyhafte, neuromantische Sich-im-emotionalen-Dreck-Wälzen vor aller Augen, das Leben aufzusaugen mit all seinen Schatten. Wir schlucken die Pillen, am liebsten die bittersüßen. Reach out and touch Dave.

Anton Corbijns Bühne läßt keinen Wunsch eines echten Spacerockers offen. Auf einem riesigen Sputnik leuchten passend zum jeweiligen Song Schlagworte auf: „Love -Pain – Angel – Sex – Enjoy“ sind nur die Oberbegriffe. Mehrere Kameras fangen die Musiker ein, die Bilder werden auf die Bühnenrückwand geworfen – man wohnt sozusagen der Entstehung eines Corbijn-Clips in Echtzeit bei. Synths und sonstiges digitales Teufelszeug sind in Konsolen versteckt, von denen aus man vermutlich auch die Enterprise steuern kann. Andy Fletcher wollte wohl wenigstens mal Captain Kirk spielen, auch wenn es weiterhin scheint, als schmiere er hinter seinem Pult eher Butterbrote für die Pause, als an Hüllkurven zu schrauben.

Dann die Masters of Ceremony. Wie immer wirkt die Performance von Dave Gahan wie in ungezählten schwulen Träumen geträumt. Er ist offensichtlich gut in Form: Sein klarer Bariton kommt kraftvoll, und die berüchtigten Pirouetten meistert der Mittvierziger tadellos, mit und ohne Stativ, mit Jacket wie ohne Hemd. Nix wirklich Neues bei der Rampensau, und so stiehlt ihm der Dritte im Bunde ein wenig die Schau. Martin L. Gore ist diesen Abend kaum hinter den Tasten zu finden. Eher widmet er sich einer seiner zahlreichen Gitarren, aber wie! Gewandet als schwarzes Englein mit Stummelflügeln, sanft auf und ab wippend, scheint er nicht mehr von dieser Welt. Eine Traumgestalt, die diesen doch ziemlich simplen Gitarrenharmonien einen Spirit einhaucht, daß selbst der Leibhaftige dahinschmelzen würde.

Sogar die neuen Songs wirken unter diesem Drama der Livesituation zugänglich. Eine Formatradio-Schnulze wie „Precious“ verschafft pötzlich Rührung, die Gitarrenakkorde von „Suffer Well“ rocken ordentlich. Dann bei „Macro“ die erste kleine Sensation: Gahan singt zweite Stimme zu Gores Gesang. Gab’s das schon mal? Als schließlich mit „Behind The Wheel“ endgültig die Hits eingeläutet werden, gibt es kein Halten mehr. Dann während der Jahrhundert-Hymne „Enjoy the Silence“ das Bild des Abends: Gahan stellt Gore vor, verneigt sich vor ihm und imitiert dann mit seinen langen, schlaksigen Armen einen Engel-Flügelschlag. Man weiß gar nicht, wohin mit der Überdosis Rührung. Was für ein Kontrast zur „Faith and Devotion“-Tour, als der zugedröhnte Gahan vorne allein die Show abziehen mußte, während die Kollegen nicht nur räumlich weit, weit weg agierten. Hier haben sich zwei zusammengerauft, und sie wollen es mit allen teilen. Es sind solche Bilder, die den Abend bestimmen. Als erste Zugabe singt Gore ganz alleine „Somebody“. Die Bühne ist in Rot getaucht, „Angel“, sagt der Sputnik. Gore fällt auf die Knie und intoniert „Never Let Me Down Again“. Und dann singen die Chefs auf dem Steg inmitten der Menge Rücken an Rücken „Goodnight Lovers“. Schlaft gut, ihr beiden Hübschen! www.depechemode.com

..es war Wahnsinn. Ich kann die Eindrücke wahrscheinlich erst morgen richtig verarbeiten. Martin habe ich noch nie so ausgelassen gesehen, total offen und aus sich herausgehend. “ Matthias, 31, und Sabrina, 26, beide Beamte

..Die Halle und das Publikum waren viel besser als in Dresden. Die Konzerte sind intensiver als auf der Exciter- Tour. Ich komme aus der Schweiz und verbringe meinen ganzen Urlaub mit DM.“ Michael, 31, Verkäufer

..Ich habe sie ca. 80mal gesehen, aber das Konzert ist ganz weit oben auf der Liste. So viel Harmonie war noch nie. Allein, daß Dave Fletch vorstellt und Martin [das Mikro hinhält. Unglaublich.“ Andrea, 32, Bankkauffrau, und Volker, 33, Presseagent