Depeche Mode: Martin L.Gore über Sounds


Für Sounds Of The Universe hat der Kopf von Depeche Mode kistenweise analoge Synthesizer und Drummachines angeschafft. Kaum eine andere Band arbeitet so versessen am perfekten Klang.

Die letzten drei Depeche-Mode-Alben zeichnen sich durch eine große Soundverliebtheit aus. Ich schätze, dass ihr viel Arbeit und viel Leidenschaft in die Soundtüftelei steckt.

Ja, das stimmt, aber ich muss in diesem Zusammenhang unseren Produzenten Ben Hillier erwähnen, der sich darum sehr verdient gemacht hat. Wir haben uns entschlossen, wieder mit ihm zu arbeiten, weil er die passende Persönlichkeit ist, er ist der Steuermann unseres Schiffes. Er hat eine starke eigene Meinung und sieht das große Ganze. Von dem, was wir erreichen wollen, hat er eine ziemlich gute Vorstellung. Wir brauchen an diesem Punkt unserer Karriere auch jemanden mit einer wirklich starken Persönlichkeit.

Du hast sehr viel analoge Synthesizer und Drumcomputer für die Aufnahmen von Sounds Of The Universe gekauft, um einen oldschooligen Sound zu erreichen. Woher kommt diese Leidenschaft für analoges Equipment?

Ich besitze schon länger ein paar alte Synthesizer. Aber kurz vor den Aufnahmen zu Sounds Of The Universe ist bei mir die Sammelleidenschaft ausgebrochen. Das hat die ganze Sache noch ein bisschen spannender gemacht. In manchen Phasen der Aufnahmen kamen fast täglich Pakete an, mit Zeug, das ich auf Ebay ersteigert hatte. Immer wenn ein neues Paket angekommen ist, haben wir uns ganz aufgeregt draufgestürzt und es geöffnet. Wir wussten ja oftmals selbst nicht mehr, was da drin sein würde. Gewöhnlich haben wir die Neuerwerbung dann am selben Tag bei dem Song eingesetzt, an dem wir gerade arbeiteten.

Habt ihr die Analogsynthesizer gespielt oder nur ihre Sounds als Samplequellen genutzt?

Nein, wir haben sie gespielt. Manche von den Dingern waren so alt, dass wir sie nicht einmal mit einem Sequencer verbinden konnten. Deshalb haben wir mehr gespielt als gesampelt auf dieser Platte.

Als dir dieser analoge Sound vorgeschwebt ist, hast du da an bestimmte Aufnahmen aus den 80er-Jahren oder von heute gedacht?

Nein, es hat sich alles viel natürlicher ergeben. In der Phase, in der wir die Demos aufgenommen haben, habe ich komplett anders gearbeitet. Ich habe alle Demos auf meinem Laptop aufgenommen mit virtuellen Synthesizern und virtuellen Drummachines. Das einzige, das „richtig“ eingespielt wurde, waren der Gesang und die Gitarre. Das hat den Prozess des Songschreibens viel schneller gemacht, diesmal war ich viel produktiver als je zuvor. Das ganze analoge Equipment haben wir erst benutzt, als wir als Band ins Studio gegangen sind.

Eines der beliebten Vorurteile aus der Steinzeit der elektronischen Musik lautet: Elektronische Musik klinge steril, kalt und künstlich. SSounds Of The Universe aber klingt wärmer und natürlicher als die meisten so genannten „handgemachten“ zeitgenössischen Mainstream-Rock-Alben, ich werde jetzt nicht Death Magnetic von Metallica erwähnen.

Ich habe das Metallica-Album nicht einmal gehört. Wir verwenden sehr viel Zeit darauf, alles gut klingen zu lassen. Ich finde es schon ein bisschen bedauernswert, dass heutzutage die Mehrheit der Leute Musik in Form von MP3s auf ihren MP3-Playern oder über die Lautsprecher ihrer Laptops hört. Aber das muss man akzeptieren, so ist die Welt einfach. Wenn die Leute die Musik in besserer Qualität hören wollen, haben sie ja durchaus die Möglichkeit dazu.

Fast jeder Song auf eurem neuen Album endet mit einem komischen Sound.

Wegen der Art, wie wir sie aufgenommen haben, enden die Lieder fast schon zwangsläufig abrupt. Uns war klar, dass wir eine Menge Stücke mit sehr langen Enden hatten. Es wäre schade gewesen, sie einfach ausfaden zu lassen.

Obwohl „Sounds Of The Universe“ mit analogem Equipment aufgenommen wurde, ist es kein Retro-Album…

… richtig …

… es ist eher retro-futuristisch, ein Ausdruck, der immer im Zusammenhang mit der Ästhetik von Kraftwerk gebraucht wird. Was bedeutet Retro-Futurismus in einem Depeche-Mode-Sinn?

Es ist der Sound des Albums. Er erinnert mich an den Space-Age-Pop aus den 60er-Jahren. An die Musik von Martin Denny und Esquivel, die ja im eigentlichen Sinn keine elektronischen Musiker waren, aber eine ähnliche Atmosphäre mit ihrer Musik geschaffen haben. Unser Song „Spacewalker“ erinnert mich zum Beispiel an die Musik Martin Dennys. Diese Retro-Futurismus-Sache gilt aber nur für einen Teil des Albums. Andere Songs haben eher eine spirituelle Atmosphäre. Aber solche Dinge planen wir nicht, sie kommen auf eine viel natürlichere Weise zustande. Als ich zum Beispiel „Peace“ und „Linie Soul“ geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, dass diese Songs das Rückgrat des Albums bilden. Danach konnte ich mir das gesamte Album als ein Konzept vorstellen – davor war es für mich einfach eine Sammlung von verschiedenen Songs.

Ihr habt es geschafft, euren letzten Alben immer eine besondere Atmosphäre zu geben, die sich von Anfang bis zum Ende durchzieht.

Das liegt natürlich auch sehr an Daves Stimme. Sie ist unverwechselbar. Die Leute haben bei jedem Album die Gelegenheit, sich an seiner Stimme festzuhalten. Auch wenn die Songs auf dem neuen Album ziemlich unterschiedlich sind, klingen sie immer wie Depeche Mode.

Wenn du zu Hause Musik hörst, welches Medium bevorzugst du da: Vinyl, CD oder MP3?

Normalerweise höre ich Musik auf CD. Ich lade mir ziemlich viele Songs von Portalen wie Beatport im WAV-Format herunter, weil ich das zum Auflegen brauche. Ich lege ja ab und zu auf – sehr selten und nur zum Spaß. Ich mag nicht hundert Kilo Platten mit mir herumschleppen. Es ist viel leichter, eine kleine Tasche mit CDs dabeizuhaben.

Hörst du klanglich einen Unterschied zwischen MP3 und CD?

Absolut. Der Bass ist dabei der offensichtlichste Unterschied. MP3s fehlen einfach die Bässe. Aber die Leute werden auf diesen Sound konditioniert, und dann wird er eben auch normal für sie.

Auf dem Deluxe-Box-Set des Albums gibt es den Song „Oh Well“, den du gemeinsam mit Dave Gahan geschrieben hast. Zum ersten Mal in fast 30 Jahren. Ich habe den Song ursprünglich als Techno-Instrumental geschrieben. Als Dave ihn dann zum ersten Mal gehört hat, hat er ihn auf Anhieb gemocht. Er nahm ihn mit ins Hotel und schrieb einen Text dazu und die Gesangsmelodie. Wir haben zwar nicht im selben Zimmer gesessen und zusammen an dem Song geschrieben, aber mir gefällt der Gedanke, dass wir tatsächlich gemeinsam an einem Song gearbeitet haben.

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Albumkritik S. 70