Der Charmeur


Anders Wendin alias Moneybrother weiß, wie man Menschen für sich einnimmt. Und wie man sie kontrolliert, ist ihm ebenfalls geläufig. Etwa mit wohl-kalkulierten Provokationen, die an den guten Absichten des Retro-Schweden auch mal zweifeln lassen. Aber immer nur kurz.

Er ist ein Gentleman alter Schule. Fragt nach, ob man etwas trinken möchte. Versichert glaubhaft, dass er gerade großen Spaß an Interviews hat. Spricht be-, manchmal versonnen über seine Kindheit, sein neues Album Mount Pleasure und ewige Journalistenvergleiche mit Bruce Springsteen. Verzückt die anwesenden Plattenfirmendamen mit seinem Charme. Und auch als Gesprächspartner stellt man im Nachhinein fest: Eine halbe Stunde genügt, um sich von Anders Wendin aka Moneybrother einnehmen zu lassen. Dazu gesellt sich Überraschung, denn die freundliche Abgeklärtheit und Überlegtheit Wendins im Interview bildet einen auffälligen Kontrast zur ungezügelten Bühnenpersönlichkeit Moneybrother. Zur überfallartigen Kraft seiner Musik, die sich aus Soul-Sturm und Punk-Drang, 70er-Jahre-Rock und Reggae’n’Roll speist und die vor allem Herz, Bauch und Arsch (oder einfach „Seele“) zu sein scheint, und weniger Kopf, Hirn oder Hand(werk).

Einfach nur auf den Retro-Schweden reduzieren lassen will er sich nicht. „Ich versuche Sachen, die ich mag, miteinander zu vermischen“, sagt er, „Rock’n’Roll, Soul, Punk. Ich will einen neuen Hybriden aus alten Sachen erschaffen. Das ist wie ein altes Auto aufmöbeln. Du kaufst neue Teile, baust alles zusammen und hast dann ein wunderschönes neues Auto, das eben alt aussieht.“ Um alle kleinkarierten Einordnungen seiner Musik zu unterbinden und seine Einzigartigkeit zu untermauern, führt er im Gespräch nicht weniger als dreißig Künstler und Bands an – als Inspiration, Vorliebe und angemessenen Vergleich. Angefangen vom musikalischen Erstkontakt mit den Dire Straits und David Bowie („Ich muss ungefähr neun gewesen sein, da hatte ich eine Kassette mit Brothers In Arms auf der einen und Pin-Ups auf der anderen Seite. Als Kind kann man sich solche Sachen ja noch sechs, sieben Mal am Tag anhören.“), über die Dead Kennedys und Bad Brains bis hin zu aktuellen Künstlern wie The Game, Bloc Party und Joanna Newsom reicht Wendins Erwähnungsdrang. Den Drang zur eigenen Musik erklärt er schlicht mit dem Hinweis, es sei nun mal das Coolste gewesen. Geboren 1975 in der mittelschwedischen Kleinstadt Ludvika, fing er mit sieben Jahren an, Gitarre zu spielen. Bereits im Alter von zehn Jahren gab es für ihn keinen Zweifel mehr: „Ich wollte in einer Band spielen. Sonst gab es dort ja nichts. Aber eben leider auch keine Leute, die in einer Band spielen wollten. Der glücklichste Tag in meinem Leben war jener, an dem ich endlich einen Schlagzeuger fand. Bis dahin hatte ich schon alle Jungs, die ich kannte, gefragt, ob siesich nicht ein Schlagzeug kaufen wollen.“

Beim Versuch, im Gespräch seine Biografie nachzuvollziehen, festigt sich das Bild vom willensstarken und unabhängigen Kopf. Wendin gründet mit 13 seine erste Band Superwed, die sich auflöst, als er im Alter von 16 ins nahegelegene Falun zieht: „Dort gab es nichts, also kaufte ich mir ein Rock-Lexikon, das ich von A bis Z auswendig lernte.“ Mit 19 kommt er nach Stockholm und gründet die Band Monster. Stets mit dem Willen zur Andersartigkeit: „In der Region, in der ich aufgewachsen bin, spielten alle Bands Metal. Superwed war so etwas wie eine Reaktion darauf. Wir waren wohl eine der ersten schwedischen Indie-Bands, ein bisschen wie Dinosaur Jr. Als wir dann in Stockholm Monster gründeten, gab es nur Indie-Bands. Also machten wir Punk. „Nie um neue Richtungsentscheidungen verlegen, müssen zur Not sogar alte Freundschaften hinter seinen Vorstellungen zurückstehen. Schon im letzten ME-Interview hatte er erklärt, dass er alleine bestimmen möchte, was bei Moneybrother gespielt wird. Auf Mount Pleasure ist Trompeter Viktor Brobacke Opfer dieser Politik geworden. Den Verlust des Freundes, mit dem Wendin schon zu Monster-Zeiten gespielt hatte, bedauert er zwar, stellt aber ungerührt fest: „Ich denke, die Band ist ohne ihn besser geworden.“ Auch der langjährige Mitstreiter Jari Haapalainen musste Schwedens Haus- und Hives-Produzenten Pelle Gunnarfeldt weichen: „Ich wollte weg von meinem alten Sound. Das wurde mir bewusst, als ich in Amsterdam in einer Bar saß. Dort spielten sie „They’re Building Walls Around Us‘, was mich tierisch freute. Aber der Song danach war ‚School’s Out‘ von Alice Cooper. Und mein Song klang auf einmal nur noch Scheiße. Deswegen wollte ich dieses Mal alles einfach und klar haben, so wenig Instrumente wie möglich.“

Die ersten Probeaufnahmen für Mount Pleasure, für die Wendin nach Los Angeles reiste und eine Handvoll renommierter Studiomusiker engagierte, liefen dann allerdings nicht so wie erwartet: „Es fehlte einfach dieses kreative Chaos, dieses Punk-Element“, sagt Wendin, „man hört es jetzt vielleicht dem Album nicht an, aber wenn du es wegnimmst, dann hörst du es. Ich brauche einfach dieses intensive Gefühl, wenn das nicht da ist, dann wird meine Musik zu ‚cheesy'“. Trotz des darauffolgenden „konzentrierten“ Aufnahmeprozesses in einem Stockholmer Keller wandelt das vornehmlich von Westcoast-Rock bestimmte Album immer noch auf einem schmalen Grat zur Überzeichnung. Saxophon, Hammond-Orgel und blitzeblanker Sound könnten manchem Hörer dann doch eine Spur zu viel sein. Aber auch dessen ist sich Wendin bewusst und legt per Presse-Info sogar noch nach. Zum Album-Opener „Guess Who’s Gonna Get Some Tonight“ lässt er verkünden, dass er ein Lied haben wollte, das wie Bryan Adams‘ „Summer Of’69“ klingt. Damit fordert er kritische Nachfragen der Journalisten natürlich heraus und „erklärt“ die Aussage folgendermaßen: „Nehmen wir an, wir beide wären in einer Bar. Bier trinken, abhängen. Wir hören ‚Sister‘ von Sonic Youth, Superchunk, Pavement und so weiter. Bis drei Uhr früh hören wir jede Menge großartiger Musik und sind ziemlich betrunken, weil du einen ausgibst und ich inzwischen bei 24 Bieren angekommen bin. Und dann spielen sie ‚Summer Of Fucking 69‘ in der Bar. Du weißt ganz genau, wir würden explodieren, auf die Bar steigen, Luftgitarre spielen und im ganzen Raum herumtanzen. Und das hätten wir nicht getan, wenn sie weiterhin Sonic Youth gespielt hätten. Ich meine, auch ihr Journalisten wisst doch tief im Innern, dass es solche peinlichen Songs gibt, die trotzdem ziemlich gut sind. Und das mit ‚Summer Of 69‘ sage ich natürlich, um zu provozieren. Ich weiß genau, dass jeder denken wird: Wie bitte?“ Dass dieser Plan aufgeht, stellt sich später im Gespräch mit einem befreundeten Journalisten heraus. Der bekam mehr oder weniger dieselbe Antwort, nur mit anderen Bands.

Das ist fast schon ein bisschen abgefeimt. Auf jeden Fall bleibt festzuhalten, dass Wendin mehr ein Mann überlegten Handelns ist, als man vermuten möchte. Der feste, altmodische Grundsätze hat und auf Nach frage lachend zugibt: „Ja, ich bin alte Schule. Zumindest, was die Musik angeht. Ich möchte nun mal ein Album mit fünf Songs auf jeder Seite. Ein Album machen, das ein konzentriertes Stück Arbeit ist, bei dem man merkt, dass sich jemand hingesetzt und überlegt hat, welches Stück das erste und welches das letzte auf dem Album sein sollte. Ich meine, es ist okay für mich, wenn sich Leute einen oder zwei Songs aus dem Internet downloaden und sie das Album nicht interessiert. Aber Moneybrother hat meines Erachtens auch richtige Musikliebhaber als Hörer. Und ich möchte, dass sie wissen, dass sie sich in guten Händen befinden. Ich möchte, dass sie wissen, dass hinter Moneybrother ein Typ steckt, der eine Menge Zeit damit verbringt, über seine Musik und ihre Wirkung nachzudenken. Das ist wirklich wichtig für mich.“

www.moneybrother.net