Der deutsche Mainstream-Pop dreht sich um sich selbst. Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest“ zeigt das 2012 eindrucksvoll.


Ein wenig wirkte der Bundesvision Song Contest in diesem Jahr so, als würden die Labels und Management-Firmen da eben ihren Nachwuchs hinschicken. So wie man die Kinder zum Fußball schickt, oder den Hund zum Impfen oder die Angestellten zur Fortbildung. Also wohl mit einer gewissen Hoffnung verbunden, aber letztendlich ergebnisoffen. Dabei sein ist alles, weil alle dabei sind. Anders ist der seelenlose Aufmarsch nicht zu erklären, der diesmal bei Stefan Raabs Pop-Wettbewerb über den Äther ging. Musik-Arbeiter pürierten betont gutgelaunt Versatzstücke aus dem Best of Fifties to Nullerjahre so lange, bis ein sämiger Brei entstand, der nach allem und nichts schmeckte. Zum Beispiel Luxuslärm, die für Nordrhein-Westfalen ins Rennen gingen. Ihre Bestandteile: ein bisschen Doro Pesch, etwas Vanilla Ninja – haben Sie, lieber Leser, hoffentlich schon wieder vergessen -, dazu eine von Melissa Etheridge geklaute und schnell ins Deutsche übersetzte Textidee und jede Menge Stromgitarren. Oder B-Tight: Der frühere Aggro-Berlin-Rapper macht jetzt auf 90er-Jahre-Crossover, einer Musikrichtung, die beim ständigen Dauerdurchlauf der Trends und Trendchen ruhig hinten abfallen hätte dürfen. Schließlich die Pickers: als würden The Bosshoss die Arctic Monkeys covern. Am enttäuschendsten einer, den wir eigentlich immer mochten: König Boris von Fettes Brot trat mit einem schlimmen NDW-Pastiche namens „Der König Tanzt“ an.

Jetzt könnte man natürlich sagen: Alter Nörgler, gib‘ Ruh! Dann schaue das einfach nicht an. Ist doch klar, dass da nicht Tocotronic und Stabil Elite stehen. Aber so einfach ist es nicht. In der Vergangenheit der Sendung war nämlich keinesfalls alles schlecht: Mit Slut, Jan Delay, Tele, Madsen, Peter Fox, Fotos, Bernd Begemann, Ruben Cossani, Thees Uhlmann und den seinerzeit noch völlig unbekannten Kraftklub waren immer auch Künstler vertreten, denen man mehr als nur die diffuse Grundsympathie entgegenbrachte, mit der man diesmal die wenigen souveränen Auftritte etwa von Laing, Fiva oder Vierkanttretlager durchwinkte. Vielmehr hat man den Eindruck, dass Pop 2012 vor allem durch eine Entkopplung der Qualität vom Mainstream geprägt ist. Das Gute kommt quasi von unten, erscheint bei Labels wie Staatsakt, ZickZack oder Tapete. Gerade die Majorlabel haben jeden Mut verloren und setzen einerseits auf etablierte Künstler wie Unheilig, Max Herre und Reamonn, die man, ganz kluger Schachzug, geteilt und so mit Rea Garvey und Stereolove gleich zwei neue Acts geschaffen hat. Oder sie nehmen Newcomer unter Vertrag, die so gleichgeschaltet sind, dass im Vergleich sogar der immer noch dauerpräsente Phillipp Poisel unbändig revolutionär wirkt. Die tragen dann Nullnamen wie Ich Kann Fliegen oder Tonbandgerät, ihre Songs Titel wie „Mich kann nur Liebe retten“ oder „Irgendwie anders“, die natürlich alles sind, aber nicht anders und die wenig bis gar nichts retten können und bestimmt nicht so etwas Großes wie die Lieb,e sondern höchstens vordergründig emotionale Rockmusik. Das erledigen aber schon andere. Etwa Tim Benzko. Der, so teilte MTV mit, sei von den Fans zum „Best German Act 2012“ gewählt worden. Des weiteren, so fügte „Promiflash – Deutschlands beliebtestes Starmagazin“ an, befände er sich „auf den Spuren Goethes“. Mehr Licht!