DER ENGLISCHE PATIENT
Es ist ein mittleres Wunder, dass dieser Tage ein neues Editors-Album in die Läden kommt. Kurz schien es sogar so, als würde sich die Band auflösen.
„Wir waren im Proberaum“, antwortet Editors-Frontmann Tom Smith nüchtern auf die Frage, wo sie denn gewesen seien in den letzten Jahren. Er überlegt einen Moment, ohne den festen, polarblauen Blick abzuwenden, bis Drummer Ed Lay die Antwort für ihn noch ein wenig zuspitzt: „Man könnte auch sagen, wir waren im Krieg.“ Was Ed hier so dramatisch beschreibt, das sind die vier Jahre seit dem letzten Editors-Album IN THIS LIGHT AND ON THIS EVENING, die von Streitigkeiten innerhalb der Band geprägt waren: Nach langem Hin und Her stieg Gitarrist Chris Urbanowicz im April letzten Jahres aus der Band aus – wegen Uneinigkeiten über die „zukünftige musikalische Richtung“, wie es in der offiziellen Erklärung hieß. „Weißt du“, sagt Tom etwas lustlos, als kenne die Geschichte ohnehin schon jeder, „wenn etwas schiefläuft in einer Band und alles plötzlich auseinanderfällt, dann muss man eine Entscheidung treffen, etwas drastisch verändern, wenn man weitermachen möchte.“ Nur widerwillig sprechen die Editors über die Bandprobleme. Wie frustrierend die langen Monate im Birminghamer Proberaum gewesen sein müssen, kann man nur erahnen. „Die Band hätte an den Schwierigkeiten auch zerbrechen können“, sagt Ed Lay.
Trotzdem: Wenn man das von dem typisch düster-flirrenden New-Wave-Sound der Editors überhaupt behaupten kann, dann hört man dem neuen Album THE WEIGHT OF YOUR LOVE eine gewisse Leichtigkeit, ein lockeres Aufspielen durchaus an. Die druckvollen Gitarrensounds sind rund und voll, schwellen auf die vertraute Stadionrock-Größe an, bohren sich hypnotisch ins Ohr und erlauben sich doch hier und da einige Spielereien. „Phase zwei für die Editors“, nennt das Tom Smith und meint damit die Neubesetzung nach dem Ausstieg von Urbanowicz. Und als fiele ihm keine andere Umschreibung als die schwermütig-morbide Krankenhaus-Metapher ein, die so perfekt zum Bandimage passt – sofort denkt man an das düstere Eröffnungsstück ihres zweiten Albums „Smokers Outside The Hospital Doors“ -, sagt Smith: „Die Band war krank und brauchte eine Operation. Es wurde ein Teil entfernt, dafür kamen neue hinzu.“
Mit Justin Lockey an der Gitarre und Elliott Williams an Keyboard und Synthesizer spielen die Editors nun als Quintett auf. Deren frische Ideen und Enthusiasmus seien ansteckend, sagt Ed und grinst, als sei die Band gerade von einem Schulausflug anstatt von den Studioaufnahmen in Nashville zurückgekommen. Fast meint man, der Ort der Entstehung habe sich eingebrannt in die neuen Stücke. Sie klingen grooviger als noch vor vier Jahren – amerikanischer, wenn man so will. „Ich spreche schon lange davon“, sagt Smith, „wie sehr ich den Sound von US-Bands wie R. E.M. und Arcade Fire liebe. In diese Richtung haben wir bei den neuen Songs gedacht.“ Nach dem Synthesizer-Sound des Vorgängeralbums greifen sie weit zurück zu den Anfängen der Band: zu schwelgerischen Gitarrenriffs und weltschmerzgetränkten Postpunk-Indie -zum „Dark Disco“, wie die Band ihren Stil einmal selbst nannte. Die schönsten Lieder seien eben immer die traurigsten, dunkelsten und beängstigendsten, sagt Smith. Ob das in Zeiten von Dubstep und Co. besonders angesagt sei oder nicht, kümmert ihn nicht: „Es langweilt mich, mich zu fragen, wie unsere Musik hineinpassen könnte in das gegenwärtige Popmusik-Klima. Als wir unser letztes Album veröffentlichten, habe ich Kritiken gelesen, in denen es hieß, die Editors würden versuchen, auf den aktuellen Elektrozug aufzuspringen. Ich dachte nur: „Seid ihr taub? Das war ja kein moderner Elektro-Sound!“
Und so klingen die Editors doch wieder sehr, sehr britisch – nach trübem englischen Regenwetter, nach dem grimmig-melancholischen 80er-Sound von Joy Division, Echo & The Bunnymen, und The Cure. Bei allen Schwierigkeiten der letzten Jahre: Die große Geste, die Editors haben sie nicht verlernt.
Albumkritik S. 84