Der ewige Zweite
Der Mann kann einem leid tun: Wenn man ihn nicht gerade mit Springsteen vergleicht, wird die Meßlatte Dylan herangezogen. Doch als Edel-Epigone will er sich nicht länger beschimpfen lassen. In seiner Heimatstadt Bloomington schüttete er ME/Sounds-Mitarbeiterin Christiane Rebmann sein Herz aus.
Die Stadt Bloomington liegt am Arsch der Welt, genauer gesagt dort, wo der Längengrad von Chicago den Breitengrad von Indianapolis schneidet. Ein paar Meilen von diesem verschlafenen Universitätsstädtchen entfernt, von der Provinzhauptstraße noch durch einen verschlungenen Weg getrennt, liegt das Belmont Mall Studio. Hier nimmt einer der prominentesten Rockmusiker Amerikas seine Platten auf: John Cougar Mellencamp.
Johns Manager Randy fährt mich zu dem geräumigen Holzhaus, das sich in einem lauschigen Wäldchen versteckt. Die Begrüßung ist herzlich. Wenn er schon mal eines seiner raren Interviews gibt, dann tut er das auch mit voller Konzentration. John ist klein und drahtig, die kastanienbraunen Locken fallen frischgeföhnt knapp auf die Schultern. Sein Lächeln wirkt manchmal etwas zu breit.
Wir machen es uns auf dem dunkelbraunen Ledersofa im Kontrollraum bequem. Nebenan üben die Jungs von der Band für die bevorstehende Tournee, bei der sie zum erstenmal seit zehn Jahren auch nach Deutschland kommen werden.
Die Bandmitglieder leben, genau wie John, in Bloomington oder Umgebung. Hat er nicht manchmal Lust, aus diesem Provinznest wegzuziehen, nach New York oder L.A.?
„Hier bin ich aufgewachsen, hier sind meine Freunde, hier fühle ich mich wohl“, sagt John. „In New York gibt es Familien, in denen mittlerweile die vierte Generation arbeitslos ist. Diese Menschen schrecken vor nichts zurück. So eine Umgebung möchte ich meinen drei Töchtern nicht zumuten.“
Und dann geht es ja auch um seine Glaubwürdigkeit. Nicht umsonst steht der Name Mellencamp für Songs, in denen es um die Nöte der Farmer, um die Sorgen der „kleinen Leute“ geht, die in ihrer Small Town ein wenig glamouröses Leben führen.
„In New York kannst du über das Leben in den Clubs und Bars schreiben, aber wer lebt schon so. Das ist doch künstlich“, sinniert der 36jährige. „Ich halte Kontakt zu den wirklichen Menschen, sonntags spiele ich Football, und meine Freunde sind Dachdecker oder Lehrer. „
In Bloomington ist Mellencamp Gott. Nicht nur, weil er ein Rockstar ist, sondern auch wegen seines Einsatzes für die Farmer der Region. Gemeinsam mit Willie Nelson initiierte er Mitte September das dritte Farm Aid-Konzert. Es war wohl sein letztes: “ Gemeinsam mit Kris Kristoffersen, Neil Young und Joe Walsh spielten wir vor 90.000 Zuschauern. Die interessierten sich allerdings nicht für die Sache der Farmer, sondern die wollten nur unsere Songs hören.“
Liegt es an der Erfahrung mit Farm Aid, an den Begegnungen mit Willie und anderen Country-Größen, daß John auf seinem neuen Album Lonesome Jubilee folkiger klingt als je zuvor?
„Oh nein, das ergab sich so. Für unsere letzte Tournee hatten wir Lisa Germano an der Fiddle angeheuert, die machte sich sehr gut. Und mein Gitarrist Larry Crane war schon lange scharf drauf, mal seine Cajun-Vor lieben ausleben zu dürfen. Ich glaube allerdings, daß wir mit dieser Platte in dieser Richtung unsere Grenzen erreicht haben.“
Wer Mellencamp nach dem Lonesome Jubilee immer noch als Springsteens kleinen Bruder bezeichnet, der muß schon taub sein — findet jedenfalls John. „Springsteen ist Singer/Songwriter. genau wie ich und genau wie Bob Dylan, Tom Petty oder Bob Seger. Trotzdem hat bisher keiner von ihnen ein Album wie Lonesome Jubilee geschrieben. Es gleicht wohl noch am ehesten Dylans Desire. Aber trotz der hinkenden Vergleiche — richtig sauer bin ich nur, wenn man mich mit Bryan Adams gleichstellt. „
Die anderen Bandmitglieder kommen herein, stellen Fragen zum Tourneeablauf, verschwinden wieder. Johns Verhalten macht deutlich: Er ist hier der Boß, wenn auch auf eine kumpelhafte Art. Man sagt ihm nach, er sei nicht immer einfach. „Meistens bin ich ganz verträglich. Ich habe eben meine Launen. Ich bin eine typische Waage. Ich hab das auch auf der vorletzten LP beschrieben: „There’s a balance in life. I see it every time I swing by it.“ Ich bin sehr unausgeglichen. Aber mit den Jungs gibt es selten Probleme. Wir kennen uns schon zu lange.“
Ab und zu gibt es Auseinandersetzungen, wenn John zu lange an einem Album feilt; dann werden die anderen schon mal ungeduldig.
Wenn er nicht gerade Platten aufnimmt, dann reagiert John seinen Hang zur Pedanterie an seiner Lieblingsbeschäftigung ab: „Ich habe eine riesige Sammlung alter Filme. Dazu kaufe ich mir die Drehbücher. Dann hocke ich mich vor den Videorecorder und vergleiche die Scripts mit dem Endresultat. Es ist schon faszinierend, was sich alte Hasen wie Marion Brando so alles aus den Fingern saugen.“
Trotz seines Interesses für den Film hat John bisher die zahlreichen Angebote aus der Filmbranche abgelehnt, wegen mangelnder Qualität. Doch kürzlich wurde er schwach. Er gab Jonathan Kaplan den Zuschlag für einen Film über einen Country-Musiker.
Meilencamp vor seinem Studio „Ich habe das Angebot angenommen, weil ich dort eine Menge selbst bestimmen kann,,, erklärt John. “ Und ich habe Jon gleich vorgewarnt, daß ich jede Szene nur einmal drehen werde. Ich mag nicht üben. Das ist wie mit den Tourneen. Dort steige ich auch immer erst eine Woche vor dem Start in die Probeläufe ein.“
Wir gehen ins Studio, wo die Band noch probt. John hört ihnen eine Weile zu, klopft Larry auf die Schulter und verabschiedet sich fürs Wochenende. “ Was das betrifft, bin ich auch eine typische Waage“, lacht er, während wir in seinem Sportwagen durch den herbstbunt gefärbten Wald gen Bloomington brausen.‘ „Ich möchte gerne erfolgreich sein und anderen Menschen gefallen, aber ich will dafür weder anderen in den Arsch kriechen noch mir selbst den Arsch aufreißen. „